juni-juli 2004

gehört

Musik

Chumbawamba

Un

Edel Records

„Tubthumping“ hieß jener Hit, mit dem die britischen Politbarden von Chumbawamba Ende der neunziger Jahre einen Welterfolg gelandet hatten, den bis heute so gut wie alle demokratisch Orientierten zumindest mitsummen können. Auf „Un“ erinnern die linken Briten noch einmal in einem eigens dazugestellten Videoclip und einer Dokumentation an „Tubthumping“. Die zwölf neuen Songs auf „Un“ selbst beweisen zweierlei: Politische Musik kann musikalisch souverän sein ,und linkes Engagement muss nicht moralisierend bleiben, sondern kann (mit viel Bezug auf lateinamerikanische Einflüsse) auch mit einem positiven Lebensgefühl daherkommen. Die Themen spannen sich dabei vom US-Einmarsch im Irak bis zum grundsätzlichen „Buy less, live more.“ Kategorie: Besonders hörenswert!

Thomas Neuhold

THE BEAUTIFUL KANTINE BAND

Rock’n’Roll hat unserem Leben einen neuen Sinn gegeben

Wohnzimmer

Wenn es eine heimische Band gibt, die mit dem (Trash-)„Erbe“ (deutscher) Schlager so liebevoll-unverschähmt umgeht wie einst US-Acts vom Kaliber Alex Chilton, The Cramps, Tav Falco & Panther Burns mit Obskuro-Rockabilly, dann sind es diese vier Burgenländer mit ihrem Bambis („Melancholie im September“) meets Link Wray Binnengewässer- & Baggersee-Bizarro-Surf-Sound! Ösi-Low-Fi-Wuchteln in absolutem Schräglagenstil, die FM4-Kollege Fritz Ostermayer schon mal mit den polkafizierten FSK der 1990er verglichen hat. Abgesehen davon – wer Hits wie „Schüchtern“, „Mein Gott“ oder „Rosen und Narzissen“ schreibt, muss (zumindest zwischen Neusiedlersee und der Isar) zum Kult werden. Die beste Rock’n’Roll-Kapelle des Landes!

Didi Neidhart

Oneida

Secret Wars

Jagjaguwar/Rough Trade 2004

Der New Yorker Stadtteil Brooklyn schenkte der Welt nicht nur die Eisenfaust Mike Tyson, sondern auch Ohrwaschelterroristen mit halbwegs ausgeglichenem Gemüt. Die Rede ist von dem 1997 in Williamsburg gegründeten Quartett Oneida. Inzwischen hat Gründungsmitglied Papa Crazee die Combo verlassen – natürlich um Countrymusiker zu werden. Die Mitglieder des übrig gebliebenen Trios tragen auch lustige Namen: Fat Bobby oder Bobby Matador, Kid Millions und Hanoi Jane (der trotzdem noch immer zum männlichen Geschlecht gehört). Oneida bleiben auch mit leicht reduziertem Personal auf ihrer aktuellen, der sechsten LP zwei Gestaltungsprinzipien treu: dem anarchischen Stileklektizismus und dem Faible für die Monotonie. Dabei kommt „Secret Wars“ viel zugänglicher daher als der Vorgänger „Each One Teach One“. Letzteres ein Album, auf dessen ersten Track ein und derselbe Akkord knapp 15 Minuten lang in die Schädel der Zuhörer gehämmert wurde. Dagegen also nun ein melodisches Werk, dem dennoch der repetitive Charakter keinesfalls abzusprechen ist. Die scheinbar unterschiedlichsten Sounds gießen die drei Klangtüftler in eine passable Form: Psychedelic, Krautrock, Progressive, No Wave, Synthie-Pop, Heavy-Rock. Präzise wie ein Metronom bildet Schlagzeuger Kid Millions das Rückgrat, gnadenlos malträtiert Keyboarder Fat Bobby dazu sein Instrument. Der gigantische orgellastige Soundmonolith erinnert bisweilen – wie in „$ 50 Tea“ – an eine energetische Mixtur aus Suicide und Captain Beefheart oder auf „Caesar’s Column“ an einen Bastard aus Neu! und den wahnsinnigen Acid Mothers Temple. Wem die versponnenen Tempo-Kapriolen aus der Progressive-Schule zu viel Esoterik in die Gehörgänge kleistern, der kann bei „Wild Horses“ mit seiner eher konventionellen, Neil Young & Crazy Horse mäßigen Schwere Zuflucht suchen. Schon beim nächsten Track leisten Wall Of Sound-Attacken mit wuchtigen Orgel-Riffs schier Unmögliches: nämlich Devo mit Brian Auger zu versöhnen oder Deep Purple (mit Jon Lord an den Tasten) und die Butthole Surfers zu kreuzen. Dem Wagemut scheint bei Oneida keine Grenze gesetzt. Das hat natürlich Konsequenzen. Während momentan die New Yorker „The“-Bands bei Publikum und Kritik heftig abgefeiert werden, bleiben Oneida als Veteranen der Brooklyner Loft-Party-Szene ein weit gehend unbeachtetes Underground-Phänomen. Damit teilt die Combo das Schicksal der historischen Oneida: Einer utopischen Gemeinschaft des 19. Jahrhunderts (im Staat New York), in der die Monogamie als Verbrechen gegen Gott betrachtet wurde. Wegen des sturen Ignorierens und Aufbrechens von Konventionen passt denn der Name Oneida auch perfekt auf die Psychedelic-Mutanten.

Mit „Secret Wars“ erschien übrigens erstmals eine ihrer Platten auf Rough Trade (wo bekanntlich auch eine momentan schwer gehypte und erfolgreiche New Yorker Band, The Strokes, veröffentlicht).

Doc Holliday

IN MEMORIAM

Anfang Mai starb mit Clement „Sir Coxsone“ Dodd nicht nur der Entdecker von Bob Marley, sondern auch eine der wichtigsten Figuren des Reggae überhaupt. Angefangen bei seiner rollenden Soundsystem-Disco in den 1950ern bis hin zur Gründung des legendären „Studio One“ (dem ersten eigenen Studios eines schwarzen Jamaikaners) 1963 legte er wie kein anderer die Grundsteine für Ska und Reggae. Die ganze Bandbreite dieses Spektrums kann jetzt auch auf den beiden Samplern „Studio One Ska“ und „Studio One Dub“ (beide Soul Jazz Records/Hoanzl) nachgehört werden. Wobei auch wieder mal klar wird, dass Ska nie als Witzigkeits-Missverständnis aus Sauf-Punk, Bierzelt-Polka und Karnevals-Polonaise gedacht war (weil einfach auch gerade groovetechnisch einfach zu elegant) und Dub auch weit radikaler daherkommen kann, denn als Sofa/Couch-Potatoe-Chill-Out-Lachkraut-Dösgewabere für schlappe Drum & Bass-Bleichgesichter. Einige Tage vor Sir Coxsones Tod wurde übrigens in Kingston eine „Studio One“-Straße eingeweiht. Das mindeste an Respekt.

Didi Neidhart