juni-juli 2004

Dieter Braeg

„Die Depperten ham s’ verheizt.“

Zur Wiedereröffnung der Ausstellung „Wert des Lebens. Gedenken – Lernen – Begreifen“ im Schloss Hartheim

Mein Freund Peter ist Epileptiker. Er hat Glück gehabt, wäre er vor 1945 geboren worden, hätte ich einen Freund weniger, denn Epileptiker waren im 3. Reich geistig Behinderte und wurden ermordet. Schon im Jahre 1929 forderte Adolf Hitler, „sieben bis achthunderttausend der Schwächsten zu beseitigen“. Allerdings gab es in den national-konservativem Kreisen Deutschlands zur Euthanasie schon viel früher ähnliche Meinungen. Mit brutaler Härte forderten allerdings erst die Nationalsozialisten „Tod dem unwerten Leben“. Da wurde, nach der Machtergreifung, auch die massive Beeinflussung des Volkes praktiziert.

Es blieb nicht bei dieser menschenverachtenden Propaganda, es folgten Taten: Ende Juli 1929 fand in Berlin ein Ärztetreffen zu diesem Thema statt. Sechs Jahre nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland, folgte dann im Jahre 1933 im Jahr 1939 eine Ermächtigung mit folgendem Wortlaut:

„Reichsleiter Boubler und Dr. med. Brandt sin unter Verantwortung beauftragt, die Befugnisse namentlich zu bestimmender Ärzte so zu erweitern, dass nach menschlichem Ermessen unheilbar Kranken bei kritischer Beurteilung ihres Krankheitszustandes der Gnadentod gewährt werden kann.“

Sofort begann man alle Heil- und Pflegeanstalten zu erfassen.

Die Zentrale dieser Aktion zur Vernichtung menschlichen Lebens befand sich in Berlin, Tiergartenstraße 4. Unter „Aktion T4“ waren diese Mordaktionen bekannt. Das Reichsministerium des Inneren begann mit Meldebögen künftigen Opfer zu erfassen. Das waren Patienten die an Schizophrenie, Epilepsie oder Schwachsinn litten, aber auch Schwererziehbare und „Lernschwache“ gehörten dazu. Natürlich auch Kinder, die sich den „Erziehungsmethoden“ der Eltern nicht fügen wollten.

Dem Thema und der Mordanstalt Schloss Hartheim näherte ich mich, als ich mich im Jahre 1996 mit dem Kassiberdichter Richard Zach (Österr. Widerstandskämpfer, der in Potsdam hingerichtet wurde) beschäftigte.

Im Verlag Bibliothek der Provinz entdeckte ich das Buch „Hartheim wohin unbekannt“. Bei Renovierungsarbeiten im Evangelischen Diakoniewerk Gallneukirchen hatte man Briefe verzweifelter Eltern gefunden, die in diesem Buch veröffentlicht wurden. „Aus kriegswichtigen Gründen“ wurden die Kinder und Erwachsenen verschleppt und später ermordet. Die Todesnachrichten kamen meist nicht aus der Anstalt in der man die Menschen ermordet hatte. So war es auch mit Schloß Hartheim. „Die SS hatte Mörderschulen. Eine solche Mörderschule war Schloß Hartheim bei Linz an der Donau in Oberösterreich. 1940 wurden zunächst Schwachsinnige und Körperbehinderte im Rahmen des Euthanasie - Programms getötet. Später wurden Tötungen ausschließlich zum Zwecke der Heranbildung von abgehärteten SS-Männern vorgenommen.“ So eine Meldung die im April des Jahres 1964 über die Fernschreiber lief und weder großen Protest noch Nachforschungen auslöste. .

Ab Ende Mai 1940 begannen die Transporte nach Hartheim. Aussage eines Krematoriumsheizers nach 1945: „Die Transporte kamen in ganz unregelmäßigen Zeiten... in Hartheim an... Die Zahl der Ankommenden schwankte zwischen 40 und 150. Vorerst kamen die herbeigeschafften in den Auskleideraum. Dort mussten sie sich oder wurden die Frauen und Männer in zwei verschiedenen Abteilungen entkleiden oder entkleidet.“

Die Menschen wurden dann durch einen Gang geführt, am Tisch eines Arztes vorbei, der einige Helfer hatte. Die Ankommenden wurden nicht untersucht sondern es war eine Überprüfung der Übereinstimmung der Person mit den vorliegenden Krankenakten. Die Vorgeführten wurden mit einer fortlaufenden Nummer auf der Schulter oder Brust abgestempelt. Personen mit Goldzähnen oder Goldbrücken wurden am Rücken zusätzlich mit einem kreuz gekennzeichnet.

Der Krematoriumsheizer weiter: „Nach dieser Prozedur (Kennzeichnung) wurden die Personen in eine nebenan befindliche Kammer geführt und dort photographiert. Von der Photokammer weg führte man die Leute durch einen zweiten Ausgang wieder in den Aufnahmeraum und von dort durch die Stahltüre in die Gaskammer.

Der ganze Raum war so eingerichtet, dass man annehmen konnte, es handle sich um ein Badezimmer. An der Decke waren drei brausen angebracht. Die Entlüftung des Raumes besorgten Ventilatoren. Ein im Gasraum befindliches Fenster war mit einem Scherengitter versehen. Von diesem Raum führte eine zweite Stahltüre in jenen Raum, wo sich die Gasanlage befand. War der ganze Transport abgefertigt, das heißt, waren die Aufnahmen vorgenommen, die Bestempelungen durchgeführt, das Fotografieren erledigt und die Bezeichnung jener Personen, die Goldzähne hatten, kamen alle Personen in den Bade-Gasraum. Die Stahltüren wurden geschlossen, und der jeweilige Arzt leitete Gas in die Gaskammer ein. Nach kurzer Zeit waren die Leute in der Gaskammer tot.“

Meistens war es entweder der ärztliche Leiter von Hartheim, Kurt Lonauer (Selbstmord nach Kriegsende) oder Kurt Renno (siehe dazu das Buch von Walter Kohl „Ich fühle mich nicht schuldig“, erschienen im Zsolnay Verlag), der von 1940, nicht nur in Hartheim, insgesamt an die 15.000 Menschen in den Tod schickte und der, strafrechtlich kaum belangt, im Jahre 1997 starb. Was dann geschah, ist heute nur zu genau bekannt. Die Leichen wurden aus dem Gasraum transportiert, die Goldbrücken und Goldzähne gezogen, um dann die Leichen zu verbrennen. Die Hinterbliebenen bekamen, meist aus ganz anderen Anstalten, Urnen mit Sterbeurkunden übermittelt, die vorgaben, das Opfer sei an einer Krankheit gestorben. Es blieb aber in Hartheim nicht bei der Ermordung von Behinderten, auch nachdem das NS-Euthanasieprogramm per Führerbescheid Ende 1941 gestoppt worden war, ging das Morden weiter und aus den „überlasteten“ Konzentrationslagern Mauthausen und Dachau wurden Häftlinge nach Hartheim überstellt und dort ebenfalls ermordet. Der letzte Transport erreichte am 5. 2. 1945 Schloss Hartheim. Anschließend wurde der gesamte Tötungstrakt baulich in den alten Zustand zurückversetzt. Dann war das Schloss zunächst eine Unterkunft für Flüchtlinge. Erst 1969 wurde im Schloss, dessen Räume als Wohnungen vermietet waren, eine Gedenkstätte eingerichtet. Erschütternd war eine nach dem Krieg entdeckte Statistik in der die Ersparnisse an Lebensmitteln bei 70.273 „Desinfizierten“ und einer Lebenserwartung von 10 Jahren mit insgesamt 400.244.520 kg und einem Wert von 141.775.573,50 Reichsmark errechnet worden war.

1999 bekamen die noch im Schloss wohnenden Mieter Ersatzwohnungen zur Verfügung gestellt. Anschließend wurde bis Anfang 2003 renoviert und die nun zu besichtigende Ausstellung realisiert. Die Ausstellung zeigt im Erdgeschoss und im Keller von Schloß Hartheim den Weg jener Menschen aus über 20 Nationen, die hier ermordet worden waren. Eine Lichtspur zeigt die Todesstrecke, die die Opfer gehen mussten – kurz nach ihrer Ankunft in den grauen Bussen der Transportgesellschaft GEKRAT. Noch im Jahre 1999 wurden bei Grabungsarbeiten mehr als 8000 Einzelstücke gefunden, die zum Teil in der Ausstellung zu sehen sind oder noch identifiziert werden müssen. Es ist eine Ausstellung, die zeigt, wie mit den Behinderten, Unterdrückten und Schwachen in einer verbrecherischen Gesellschaft umgegangen wurde. Die Ausstellung zeigt aber auch die Entwicklung, die Schritt für Schritt vom „Aufbewahren“ der Schwachen und Wehrlosen zum Übergang im Nationalsozialismus, zu den Nürnberger Rassengesetzen, den Eheverboten und zu Zwangssterilisierungen führte.

Antwort auf eine Anfrage im Dorf: „Die Depperten ham s’ vahazt.“

Der große Dichter Christian Geissler, den man schon lange dem Vergessen überantwortet hat, war im Jahr 1965 in Hartheim. Sein langer Bericht endet:

„Wenn alles so bleibt?

Das ist jetzt unsere Sache.

Keiner von uns hat Zeit.

Ende der A n f r a g e.“

Mein Freund Peter ist Epileptiker. Er lebt. Aber wie sicher ist man noch in dieser Gesellschaft, die die Wehrlosen und Schwachen jagt?

Ihr Weg zum Tod ist – schon wieder – sehr kurz geworden!