juni-juli 2004

Wolfgang Drechsler
titel

Wir sind Austria Salzburg

Fans und die Leidenschaft, die Leiden schafft

Für Nick Hornby, bekennender Arsenal-Fan, liegt die wahre Bestimmung des Fußballfans in der Kunst, das Elend, das der Fußball bietet, zu genießen. Eine zu theatralische Ansage, möchte man meinen, jedoch lässt sich mittels eines Stadionbesuches jede Art von Zweifel recht eindrucksvoll zerschlagen.

Samstagnachmittag, Anfang Mai am Steher. Wie immer dieselben nicht näher bekannten, vertrauten Gesichter. Der Old-School-Kuttenfan mit Vokuhila-Matte und den Aschenbechern vor den Augen holt kurz vor dem Anpfiff noch ein paar präventive Biere für sich und seine Kollegen, während der unsägliche Stadionsprecher mit sich überschlagender Stimme höchst nebensächliches Infotainment ins Mikro krakeelt. Es geht los. Nach nur 21 Sekunden artikuliert sich aus hunderten zumeist jugendlichen Kehlen die bescheidene Erwartung: Kämpfen, Salzburg, kämpfen!!! Über die eigene Aufgabe ist man sich bewusst. Das Ende des letzten Transparents wird am Spielfeldrand aufgeknüpft, ein „Wir tragen Austria Salzburg im Herzen“ nachgereicht. Mein unaufgeregter Nachbar erzählt mir, dass er sein letztes Geld in einen Wahnsinnstipp investiert hat, natürlich auf Sieg, womit bei einem gerechten Verlauf der Geschichte die Wohnungsmiete eingespielt wäre. Leiden und Leidenschaft, wohin man blickt, doch warum und für wen?

Back to the roots

Im September 1933 fusionieren sich in einer Nacht- und Nebelaktion die rote, sozialdemokratische Rapid mit der bürgerlichen, aus dem christlich-sozialen Lager stammenden, Herta zum S.V. Austria Salzburg. Auslösendes Moment dafür war die Schaffung der Zweiländer- Zehnerliga Oberösterreich/Salzburg, an der Salzburg mit zwei Vereinen teilnahmeberechtigt war. Neben dem Fixstarter SAK 1914 qualifizierte sich überraschend der FC Rapid, worauf führende Funktionäre aufgrund des mangelhaften spielerischen Potentials die Fusion in Gang setzten. Die folgenden Jahre waren geprägt durch die Rivalität zum SAK 1914. Nach dem Anschluss verstärkt mit „Volksgenossen aus dem Altreich“, erringt die Austria in der Saison 1939/40 sowie 1940/41 die Meistertitel in der Liga Oberdonau und Salzburg. Infolge des „totalen Kriegs“ wird der Spielbetrieb immer unregelmäßiger, zuletzt werden zur Gewährleistung des Spielbetriebs sogar die Salzburger Traditionsklubs zur FG (Fußballgemeinschaft) Salzburg zusammengeschlossen. Sieht man von der Auflistung der im Krieg gefallenen Akteure ab, findet über die NS-Zeit in die repräsentative Vereinschronik nicht viel mehr Eingang.

Nach der Neuordnung in der zweiten Republik schafft Austria Salzburg 1953 erstmals den Aufstieg in die höchste österreichische Spielklasse, wo sie bis Ende der 60er Jahre als Paternosterklub – zahlreiche Ab- und Wiederaufstiege – gilt. Aufsehen erregt im September 1971, mitten in der bis dato erfolgreichsten Phase, die Eröffnung der damals modernsten Fußballarena Österreichs: des Lehener Stadions.

Wandel und Identität

Seit damals haben Generationen die Drehkreuze passiert. An die glorreichen Zeiten erinnert lediglich noch der Aufdruck Meister 94,95,97 sowie UEFA-Cup-Finalist 94 auf den zahlreichen Schals. Statt Festspiele für den kleinen Mann wird Abstiegskampf pur kredenzt, der Lehener Beton durch das den EM- Standards nicht entsprechende „EM“-Stadion Wals- Siezenheim abgelöst. Dem Bau im Niemandsland ist die neue Zeit eingeschrieben, gesellschaftliche Entwicklungen finden im Mikrokosmos Fußball ihre Entsprechung. Seien es die Skyboxen für pseudoprominente Selbstdarsteller, der Matchsponsor in Form eines Fondsunternehmens oder die grottenschlechte Stadionpostille „Anpfiff“. Mit zahlreichen neuen Spielern, vornehmlich aus südamerikanischen Ländern, wird Multikulti-Kompatibilität vorgegaukelt. Bei den treuesten Fans auf der Südtribüne kann dies alles keine gröberen Erschütterungen mehr auslösen. Mit wenigen Ausnahmen haben vormals gewichtige Fragen zu Teamaufstellung und Taktik schon des längeren jegliche Bedeutung verloren. „Keiler“, mit seinen 32 Jahren bereits Fossil von Union ’99 Ultra Salzburg, bringt es auf den Punkt: „Wir sind Austria Salzburg.“ Beeinflusst durch die italienische Ultra-Szene werden Transparente und Doppelhalter gemalt, Choreographien einstudiert und gemeinsam beinahe jedes Auswärtsspiel bestritten. Der selbst definierte Steher mutiert damit wöchentlich zum soziokulturellen Ereignis und wird somit zum identitätsstiftenden Kraftfeld. So darf es denn auch nicht verwundern, dass ganz im APO-Stil via Flugblatt, Maßnahmen gegen Polizeiwillkür, keine Sponsoren in Vereinsnamen und -logo sowie das Mitspracherecht bei Stadionneu- und -umbauten gefordert werden. Fehlt nur noch der alte revolutionäre Übersteiger vom Bewusstsein der Fans an sich zum für sich. Vielleicht gehört die Kurve wirklich bald ihnen.