juni-juli 2004

Doc Holliday
titel

Mehr als ein Spiel: Emotion, Ekstase, Erstliga-Elend

Die Wahrheit liegt auf den Rängen (Abwandlung des fußballphilosophischen Sinnspruchs der deutschen Übungsleiter Adi Preißler und Otto Rehhagel)

Ankick zur Geldmeister-schaft: Money Makes The Ball Go Round?

Die Balltreterei entwickelte sich im Laufe der Jahre zu einer riesigen Geldbeschaffungs- (und auch Geldvernichtungs-)maschine. Die Paten des Fußballs rittern abseits des grünen Rasens um lukrative Geschäfte: mit welchen Stiefeln die Profis das runde Ding streicheln oder malträtieren dürfen, um Exklusivwerberechte bei Großveranstaltungen, um TV-Übertragungsrechte. Fußball ist ein Milliardenspiel, bei dem mit Haken und Ösen am Rande (und jenseits) der Legalität gekämpft wird. Eine wichtige Vermittlerfunktion nehmen die Medien ein, wobei gerade die Boulevardisierung für den Fußball-Boom der letzten Jahre mitverantwortlich zeichnet.

Fußball ist unser Leben: Fans – die einzige Konstante im Betrieb

Den wichtigsten, weil zutiefst menschlichen, Faktor im System Fußball stellt der Fan dar. Die Emotionen der Anhänger machen aus einem Match überhaupt erst ein Ereignis. Diese Erkenntnis wird inzwischen auch von den Kulturwissenschaften bestätigt. Ohne ein engagiertes Stadionkollektiv gäbe es keine Stars, aber vor allem kein sinnvolles Spiel. Klaus Theweleit, der sich kürzlich als Fußball-Junkie geoutet hat (im Buch „Tor zur Welt“ – eine spannende Lektüre, doch bisweilen neigt der Meisterdenker zur Esoterik), spricht – was die emotionalen Welten der Spieler und Zuschauer angeht - von einer Co-Produktion des Spiels zwischen Tribüne und Rasen.

Für die Anhänger geht es im wesentlichen um die Identifikation mit ihrem Verein. (Es gibt daneben auch noch eine Sorte von Fans, die sich einfach mit der Dramatik und einem ästhetischen, soll heißen schnellen, und kunststückreichen Offensivspiel identifiziert). Die „klassischen“ Fans aber leben in erster Linie für ihre Mannschaft. Sie sind mit allen Emotionen bei der Sache und lassen ihren Gefühlen freien Lauf. Dabei müssen sie oft genug wegen schlechter Aufführungen ihres Teams oder infolge dauerhafter Pechsträhnen eine masochistische Ader entwickeln. Begeisterung, Hingabe und Wahnwitz beschreiben die Hardcore-Fans wohl treffend.

„Klassengesellschaft“ und Repression

Entgegen eines gängigen Vorurteils in intellektuellen Kreisen ist die überwiegende Mehrheit der Fußballfans keinesfalls auf den Kopf gefallen. Mit ihren in vielen verschiedenen Fanzines, Internetseiten und Flugblättern festgehaltenen konkreten Vorstellungen geraten die artikulationsfähigen Fans immer wieder in Konflikt mit den Strippenziehern des Fußballgeschäfts. Während für ein (bisweilen nur vermeintlich) zahlungskräftiges Klientel von Wichtigtuern in den neumodischen Arenen abgeschottete VIP-Lounges hingeklotzt werden, gilt gerade bei Auswärtsfahrten für die Fanclubs „Käfighaltung“. Ordnerdienste und Polizei behandeln auch völlig friedliche Menschen wie den letzten Dreck. Zahlreiche Überwachungsmaßnahmen (in britischen Stadien beobachten Kameras jeden Winkel der Betonburgen) werden offensichtlich zuerst an den Fans ausprobiert, bevor sie generellen Einsatz „im richtigen Leben“ finden. Manchmal eskalieren Situationen erst durch das martialische Auftreten, den rüden Ton und willkürliche Gewaltanwendung seitens der Staats- und Stadionmacht. Das in der BRD beheimatete „Bündnis aktiver Fußballfans“ (BAFF) sammelte die unglaublichsten und skurrilsten Geschichten in dem Buch „Die 100 ,schönsten‘ Schikanen gegen Fußballfans“. Die Aktivisten fordern eine stärkere Unterscheidung im Umgang mit engagierten, aber prinzipiell friedlichen Fans und den nur noch wenigen gewalttätigen Anhängern. Gleichzeitig unterstützen diese Organisationen (zu nennen ist noch FARE) antirassistische Aktivitäten rund ums Wuchtelwesen (siehe Kunstfehler Mai/Juni 02). Für Differenzen sorgen aber nicht nur Versitzplatzung (die kluge Antwort der Fans darauf lautet: Sitzen ist für den Arsch), Vorurteile (jeder Kurvensteher ein Sicherheitsrisiko), Diktate der TV-Sender (Beginnzeiten), Kommerzialisierung und ähnliche Plagen, sondern auch Besonderheiten einer (nicht mehr ganz neuen) Fankultur.

Kurze Fan-Typologie

Kugelnarrische gibt es seit dem ersten Kick. In den 60er Jahren definierten sich Jugendkulturen (auch) durch den Fußball: Mods, Skinheads, Rocker ... Ein tolles Stimmungs- und Gemeinschaftsgefühl sowie der Herrschaftsanspruch über „ihr Territorium“ (den Fanblock, die Heimkurve) kennzeichnen alle Fan-Subkulturen. In den 70ern und 80ern dominierten die Kuttenträger: Diese tragen Vereins-Symbole auf allen möglichen und unmöglichen Kleidungsstücken – wie Mützen, Hüten, Schals, ärmellosen Jeansjacken und Phantasie-Teilen. Dazu kommt ein Hang zu Flaggen, Wimpeln, Fahnen. Den Old School-Stil sieht man noch heute vereinzelt in den Kurven. In einer mutierten Form aber fand er Einzug auf die „besseren“ Plätze, nicht zuletzt, weil die Fanshops der Vereine mit den Logos und Clubinsignien gute Umsätze machen.

Weil die bunten Paradiesvögel von allen Gegnern (Polizei, anderen Fans) leicht auszumachen (und regelmäßigen Angriffen ausgesetzt) waren, gingen die Casuals (wie sich die englischen Hooligans bezeichneten) in den 80ern dazu über, sich unauffällig zu kleiden. Aus dem fußballverrückten Italien (ursprünglich aus Genua) kommen die Ultras. Ihr Stil wurde maßgeblich durch die politischen Demonstrationen der 70er beeinflusst – selbst ihre Namen erinnerten an linke (und später auch rechte) Splittergruppen. Riesige Banner, Fahnen, Pyrotechnik (die Bengalischen Feuer, Leuchtraketen), „Anheizer“ und Vorsänger (mit Megaphon oder Mikros) und komplizierte Choreographien kennzeichnen die Ultra-Subkultur, die inzwischen nahezu in ganz Europa (Großbritannien ist anders) die bevorzugte Ausdrucksform der ernsthaften Anhänger ist. Die besonderen Utensilien, die für die Kurven-Shows vonnöten sind, etwa Fahnenstangen, Trommeln und ähnliches, unterliegen einer Anmeldepflicht und bieten reichlich Gelegenheit, den vorwiegend friedlich zelebrierenden Fans das Dasein schwer zu machen. Als Kulisse für stimmungsvolle Bilder mögen Anhänger in den Augen der Vereins-, Verbands- und Medienbosse noch durchgehen, ansonsten gelten sie aber als ärgerliche Störenfriede. Und von den Mainstream-Medien werden sie mit Ignoranz bestraft. Die Begeisterung kann ihnen freilich keiner nehmen!