juni-juli 2004

Thomas Neuhold
editorial

Liebe Leserinnen! Liebe Leser!

„Salzburg – heimliche Kulturhauptstadt Europas.“ Fallweise fügt einem der Unsinn, der aus den Tiefen des hiesigen Größenwahns nach oben steigt, richtiggehend körperliche Schmerzen zu. Auf wen auch immer der Kulturhauptstadt-Sager letztlich zurückgehen mag, zuletzt beglückte uns Mitte Mai die PR-Beauftragte der Salzburger Festspiele Ulla Kalchmair in einem Artikel des Info-Blattes der Altstadt-Marketing Gesellschaft mit dieser grandiosen Selbstüberschätzung. Berlin, London, Paris, Florenz ...? Geschenkt! Salzburg ist die heimliche Kulturhauptstadt. Was ist schon die Tate-Gallery gegen unser Museum am Mönchsberg?

Und dann geht ausgerechnet Salzburg – merke: „heimliche Kulturhauptstadt Europas“ – daran, sein Kulturamt aufzulösen. Gerhard Ruiss von der IG AutorInnen merkt in einem Brief an SP-Bürgermeister Heinz Schaden an, dass „eine Stadt, die sich immer schon gerne als ein europäisches kulturelles Zentrum verstanden hat und ein solches Abschaffungszeichen setzt“, wohl kaum davon ausgehen könne, „dass ihre Werbebotschaft über sich selbst in Zukunft noch irgendeine Art von Glaubwürdigkeit hat“. Ruiss weiter: „Eine ausgerufene ‚europäische Kulturhauptstadt‘ wie Graz läuft nicht deshalb einer gewachsenen europäischen Kulturhauptstadt wie Salzburg den Rang ab, weil die eine Stadt diesen Titel verliehen bekommen hat und die andere nicht, sondern weil die eine Stadt einen kulturellen Nimbus durch Errichtungen und Eröffnungen erwirkt hat und die andere diesen Nimbus durch Abschaffungen und Schließungen verspielt.“