september-oktober 1998

Gerald Gröchenig
geschaut

AN DER GRENZE DES ERLAUBTEN

Ein wichtiges Dokument neuer Kulturgeschichte macht Station in Salzburg

Erfinder dieses Projekts über Zensurfälle in Österreich ist der Kärntner Gerhard Pilgram vom Klagenfurter Universitätskulturzentrum UNIKUM. Nach einem halben Jahr Recherche war eine Ausstellung zusammengestellt, die in den anderen Bundesländern bereits zehntausende Besucher verzeichnen konnte. Gesammelt wurden Zensurfälle und Zensurversuche, die in den letzten Jahrzehnten in Österreich beobachtet werden konnten. Dokumentiert werden

• Zensurfälle in engerem Sinn

• Fälle polizeilicher oder gerichtlicher Verfolgung von Künstlern

• Versuche der Kriminalisierung von Künstlern

• Bürgerinitiativen und Fälle von Gewalt gegen Künstler

• Fälle von Behördenwillkür gegen Kunst und Künstler.

Bewußt ausgeklammert wurden Themenbereiche wie Selbstzensur oder »kalte« Zensur durch Ausgrenzung und Subventionsverweigerung, die einerseits schwer beweis- bzw. dokumentierbar sind, andererseits wohl auch den Rahmen gesprengt hätten. Und obwohl sich die Schau jeder Wertung oder Interpretation enthält, wird gezeigt, wie manche Staatsanwälte, Politiker, Journalisten, Behörden und Bürger immer wieder der Versuchung unterliegen, zeitgenössische Kunst zu diffamieren und Sanktionen gegen unliebsame KünstlerInnen zu fordern bzw. durchzusetzen.

Geordnet sind die Dokumentationen nach folgenden Werkgruppen: »Verschandelung«, »Nestbeschmutzer und Gesinnungstäter«,« Gottelästerer und Religionsverhöhner«, »Lügner und Verleumder« sowie »Psychopathen und Perverse«. Nach Betrachtung der 70 Einzelfälle, die teilweise durchaus harmlos wie Real- satiren erscheinen, lassen sich allerdings Kontinuitäten eines regelrechten Kulturkampfes gegen zeitgenössische Kunst herauslesen. Auffallend dabei sind ständig wiederkehrende Reaktions- und Verhaltensmuster wie etwa

• die Verwechslung und Gleichsetzung von künstlerischem Subjekt und Objekt (z.B. Cornelius Kolig)

• die willkürliche oder vorsätzliche Fehlinterpretation von Kunstwerken

• die mediale Vervielfältigung und Verstärkung inkriminierter künstlerischer Äußerungen zum Vorwand ihrer Skandalisierung (z.B. Urs Allemann)

• irrationale Distanzierungsreflexe

• die demonstrative Abwertung und Abqualifizierung zeitgenössischer Kunst (z.B. Hermann Nitsch)

• die Beantwortung schwieriger oder kontroversieller künstlerischer Aussagen mit verbaler und/oder physischer Gewalt, wobei die Vehemenz der Reaktion in keinem Verhältnis zum Anlaß steht (z.B. Anton Thuswaldner).

Durch das Aufzeigen dieser Mechanismen wollen die Ausstellungsgestalter zur Immunisierung gegen das sogenannte »gesunde Volksempfinden« und dessen politische Trittbrettfahrer beitragen.

Die Liste der Künstlerinnen und Künstler, die verfolgt, kriminalisiert, von Parteien, Initiativen oder Medien angegriffen wurden, ist lang. Sie reicht von Giselbert Hoke, Max Weiler, Hermann Nitsch über Valie Export und Elfriede Jelinek bis hin zu Thomas Bernhard, Werner Schwab oder Herbert Achternbusch. Doch nicht die großen Namen stehen im Vordergrund, das spezielle Augenmerk gilt auch weniger bekannten, »provinziellen« und »subkulturellen« Fällen.

Ins Auge fällt die Gestaltung der Ausstellung: die ca. 70 Schautafeln werden in Form stilisierter Wäschestücke auf (Stahl-)Wäscheleinen gehängt (die schönste Assoziation hat in diesem Zusammenhang wohl die Tiroler Journalistin Irene Heisz gefunden, die ihre Kritik unter dem Titel »Reiz-Wäsche für fiktive Mehrheiten« abdruckte). In Salzburg werden die Kunst-Wäschestücke auf den Grünflächen vor dem Petersbrunnhof aufgehängt. Auf jeder Tafel ist ein Zensurfall anhand von Fotos, Faksimiles, Texten und einer kurzen Chronologie dargestellt. Zusätzlich zu den Ausstellungstafeln kann man im Foyer der Elisabethbühne in einer detaillierten Fallsammlung weiterstöbern.

Salzburg ist in der Ausstellung mit Wolfgang Kastner, George Tabori, Werner Schwab, Anton Thuswaldner, dem Stück »Was heißt hier Liebe?« sowie Evi Fersterer vertreten. Weitere Beispiele würden ausgezeichnet dazu passen. Nach den Ereignissen in Prinzendorf (Nitsch), Klagenfurt (Kolig)und Salzburg (Schlingensief) scheint das Thema dieses Jahr aktueller denn je. Es darf erwartet werden, daß in den anstehenden Wahlgängen mißliebige Kunstobjekte verstärkt zu politischer Stimmungsmache mißbraucht werden. Insofern scheint die Auseinandersetzung im Vorfeld angebracht.

Gerald Gröchenig