märz 1999

Mario Jandrokovic
gelesen

Coco Schumann Der Ghetto-Swinger/Eine Jazzlegende erzählt. Aufgezeichnet von Max Christian Graeff & Michaela Haas.

München: DTV 1997

Der Gitarrist Coco Schumann hat ein gutes Stück des deutschen Jazz der Nachkriegszeit mitgeprägt - als eine äußerst agile Figur, die die Fäden zusammenhielt, die zwischen der Unterhaltungsmusik und jenem Jazz, der sich weit darüber hinauswagt, gespannt waren. Gerade mit der gegenwärtigen Aufarbeitung des Exotica-Sounds der späten Fünfziger und frühen Sechziger hat dieser Musiker auch mehr Gewicht bekommen. Seine biographischen Wurzeln reichen jedoch auch in das swingende Berlin der Dreißiger zurück, das trotz der Repressalien nationalsozialistischer Kulturpolitik lange ein äußerst lebendiges Pflaster für afroamerikanische Musikeinflüsse geblieben war. Es ist dies jedoch auch die Geschichte eines Musikers, der als Halbjude in die zynische »heile Welt« des Vorzeigekonzentrationslagers Theresienstadt deportiert wurde und später in Auschwitz und Dachau nur durch puren Zufall nicht das Schicksal Abertausender erlitten hat. Coco Schumann bleibt in der Darstellung dieses grauenvollen Lebensabschnitts, über den er jahrzehntelang geschwiegen hatte, nicht auf die Rolle des Opfers beschränkt. Er erzählt jedoch auf eine nur selten zu lesende, leicht lakonische und ungemein berührende Art und Weise davon, wenn das Spielen von »La Paloma« im Konzentrationslager nicht mehr ein trostspendendes privates Refugium war, sondern die Verordnung einer heilen Welt durch die Nazi-Schergen. Dieses Buch ist auch ein lebendiges Dokument der wilden Nachkriegszeit und der Ruhelosigkeit eines Berliners, der letztendlich ohne wirkliche Heimat geblieben ist. Denn gerade in Zeiten, wo Begriffe wie »Auschwitzlüge« an die Grenze der Salonfähigkeit gelangt sind, wird sich Coco Schumann sicherlich keine teuren Möbel leisten, und der kleine Koffer ist im Hinterkopf stets gepackt.