märz 1999

Didi Neidhart

»TATORT« ANTIFASCHISMUS

Wie in Salzburg »SehStörungen« das Gedenken an durch die Waffen-SS ermordete Deserteure und Juden zu provokativen Straftaten machen

Jetzt ist es offiziell. Ende Jänner wurde gegen den in München lebenden Künstler Wolfram Kastner von der Salzburger Bundespolizeidirektion (BPD) eine Straferkenntnis von 2000 Schilling (oder zwei Tage Freiheitsstrafe) plus 200 Schilling Strafverfahrenskosten plus Strafvollzugskosten ausgesprochen. Begründung: Er, Kastner, habe am 1.1.1997 am Salzburger Kommunalfriedhof vor dem »Tatortbereich« (O-Ton BPD) Kriegerdenkmal (jenem Ort, an dem zeitgleich die Kameradschaft IV jedes Jahr Kränze mit der Aufschrift »Unseren gefallenen Kameraden der Waffen-SS« niederlegt) trotz rechtskräftigem Unterlassungsbescheid eine Versammlung veranstaltet. Bei dieser »Kranzniederlegung in Verbindung mit Demonstration« (O-Ton BPD) handelte es sich um eine Trauerfeier im Gedenken an jene Deserteure, die von der SS ermordet wurden (der »kunstfehler« berichtete). Erfolgt sei die Anzeige »aufgrund eigener dienstlicher Wahrnehmungen«, die eine »Verwaltungsübertretung« als erwiesen betrachteten, »zumal diese von den Einschreitern in rechtmäßiger Ausübung ihres Amtes und Dienstes wahrgenommen und nachhaltig durch ihre schriftlichen Stellungnahmen bestätigt wurde«. Neben Kastner waren auch MozarteumsstudentInnen (mit weißen Rosen), die Sozialistische Jugend (teilweise mit aufgenähten Davidsternen und roten Winkeln) sowie Salzburger KünstlerInnen und PolitikerInnen beim verbotenen Gedenken an die durch die SS Ermordeten im »Tatortbereich« um das Kriegerdenkmal beteiligt. Wobei sich die Frage stellt, warum bis jetzt nur Kastner eine Straferkenntnis zugeschickt bekam. Immerhin hätte es ein Verwaltungsstrafverfahren für dasselbe Delikt auch gegen die Stadtgrünen Helmut Hüttinger und Elisabeth Moser gegeben. Dieses sei jedoch Ende Jänner 1999 fallengelassen worden, so Kastner. Er sehe sich auch nicht als Veranstalter besagter Kranzniederlegung, da die Initiative eigentlich von Studierenden des Mozarteums ausgegangen sei. Jedoch könne auch er sich nicht des Eindrucks erwehren, daß sich die Salzburger BPD - allen voran Oberrat Johann Sommerauer, der an jenem 1. November ein »provokantes Tragen von Davidsternen« (Zionistische Wiederbetätigung, oder was?) feststellte, irgendwie in ihn verbissen hätte. Jedenfalls seien nun auch weitere Strafverfügungen an die Beteiligten eingelangt. Diesmal geht es um das - ebenfalls von der BPD Salzburg untersagte - Gedenken an die von der SS ermordeten Salzburger Juden, das am 1.11.1998 erneut in der Nähe des Kriegerdenkmals im Salzburger Kommunalfriedhof stattgefunden hat.

Mit den Reaktionen der Salzburger BPD gegenüber jenen, die am 1. November den Opfern des Nationalsozialismus gedenken, beschäftigte sich jedoch auch eine schriftliche parlamentarische Anfrage, die der grüne Nationalrats-Abgeordnete Karl Öllinger Ende Oktober letzten Jahres an das Bundesministerium für Inneres stellte und in der es um die mögliche »Duldung nationalsozialistischer Wiederbetätigung durch die BPD Salzburg« ging. Immerhin gäbe die Kameradschaft IV jeden 1. November am Salzburger Kommunalfriedhof ein Bekenntnis zur Waffen-SS ab. Wie könne es, angesichts dieser Tatsache, dann sein, daß sich die Salzburger BPD beim jährlich stattfindenen Trauerbekenntnis der Kameradschaft IV zur Waffen SS auf eine »30 - 40 jährige Tradition« beruft und diesen Tatbestand der Wiederbetätigung als »volksgebräuchliche Feste oder Aufzüge« definiert? Was nicht nur einen unglaublichen Akt der Verharmlosung neonazistischer Betätigungen darstellt, sondern diese gleichsam als »Volksfest« im Versammlungsgesetz subsumiert und somit nicht anzeigepflichtig macht. Auch müsse die Frage gestellt werden, aufgrund welcher politischen Weltbilder »ein Bekenntnis zur Waffen-SS« als »Volksbrauch« wahrgenommen werde, eine Trauer um von der SS ermordeten Salzburger Juden jedoch seitens der Salzburger Polizeidirektion als »rechtswidrige Kundgebung« untersagt werde. Gleichsam als Wiederholung der sattsam bekannten Argumente seitens der Salzburger BPD antwortete drauf der ressortzuständige Innenminister Karl Schlögl (SPÖ), daß die Versammlung und die Kranzniederlegung der Kameradschaft IV nach dem Versammlungsgesetz nicht anzeigepflichtig seien und auch »keinen Akt der Wiederbetätigung« darstellen würden. Immerhin seien zwei Mitglieder der Kameradschaft IV nach dem Abzeichengesetz (Tragen von Hakenkreuzbinden) angezeigt worden. Jedoch wäre das Trauergedenken an ermordete Salzburger Juden auch dazu angetan gewesen, als »Be- oder sogar Verhinderung der Trauerfeierlichkeiten der Kameradschaft« zu fungieren, womit »das öffentliche Wohl als auch die öffentliche Sicherheit gefährdet erschien«, so Schlögl.

Das Bekenntnis zur SS durch Niederlegung eines Kranzes zu Ehren »Unserer gefallenen Kameraden der Waffen-SS« soll also »keinen Akt der Wiederbetätigung« darstellen, das Gedenken an jene, von eben diesen »Kameraden der Waffen-SS« ermordeten Juden hingegen die »öffentliche Sicherheit« gefährden. Mit welchen rechtspopulistischen Sprüchen argumentieren hier eigentlich Sozialdemokraten wie Innenminister Schlögl und sein Parteikollege, Salzburgs Polizeipräsident Karl Schwaiger? Immerhin war Schwaiger letztes Jahr doch selber vor Ort, um sich ein Bild zu machen. Hat er dort die aggressiven Ausbrüche ehemaliger SSler gegen Kastner und Co.(die auch in »Salzburg Heute« zu sehen waren) nicht gesehen? Gegenüber dem »kunstfehler« wollte Schwaiger jedenfalls keine diesbezüglichen Auskünfte geben - auch nicht zum aktuellen Stand der »Causa Kastner«.

Dafür bringt eine Mitte November erneut vom grünen Nationalratsabgeordneten Karl Öllinger eingebrachte Berufung gegen jenen Bescheid der Salzburger BPD, mit dem die für den 1.11.1998 vorgesehene Trauer um die von der SS ermordeten Salzburger Juden am Salzburger Kommunalfriedhof untersagt wurde, etwas mehr Licht in die Sache. Immerhin sehe das Versammlungsgesetz bei Kollidierung einer angezeigten Versammlung mit einem »volkstümlichen« Aufzug als erstes den Versuch eines »akzeptablen Kompromisses« vor. Von einer »Güterabwägung« ganz zu schweigen sei dieser jedoch unterlassen worden. Dazu Öllinger: »Wenn daher am gleichen Ort und zur geichen Zeit Veranstaltungen stattfinden sollen, wobei die eine die Trauer um von der SS ermordete Salzburger Juden bezweckt, die andere aber eine Huldigung der Waffen-SS zum Inhalt hat, so rechtfertigt diese Kollision bei verfassungskonformer Interpretation des Versammlungsgesetzes keinesfalls eine Untersagung der erstgenannten Versammlung.« Auch hätte die Salzburger BPD bei ihrer Entscheidungsfindung eine Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes berücksichtigen müssen, in der es heißt: »Es darf kein behördlicher Akt gesetzt werden, der eine Mitwirkung des Staates an nationalsozialistischer Wiederbetätigung bedeuten würde.« Völlig unverständlich seien in diesem Zusammenhang daher auch die Begründungen der Salzburger BPD, mit denen sie ihren negativen Bescheid gegenüber der Trauer um die von der SS ermordeten Salzburger Juden untermauert hat. Hier sei von Verletzung »religiösen Empfindens« (wegen »Juden«-Gedenken auf einem »christlichen« Friedhof, oder was?), »Verhöhnung der Gefallenen der beiden Weltkriege« und somit einer »unerträglichen Provokation« die Rede. Daß der Aufmarsch der Kameradschaft IV vor dem Kriegerdenkmal am Salzburger Kommunalfriedhof in einer parlamentarischen Demokratie die eigentlich unerträgliche Provokation darstellt, wird hingegen einfach ausgeblendet.

Um dieses »volksgebräuchliche Wegsehen« (Kastner) geht es auch im Ende März erscheinenden und von der ARGE Nonntal sowie der Galerie 5020 herausgegebenen Band »SehStöhrung oder Brauner Star?«, der sich als Dokumentation der seit 1994 stattfindenden Verwaltungsstrafverfahren, PolitikerInneninterventionen und Drohungen gegen Kastners Kunst- und Gedenk-Arbeit versteht. Wobei - nicht nur für Kastner -, neben der BPD-Definition der Kameradschaft IV als eine Art »Trachtenverband«, vor allem die negativen bis ablehnenden Haltungen von Personen mit »ganz andersfarbiger politischer Grundausstattung« gegenüber dieser Art antifaschistischer Erinnerungsarbeit einen signifikanten Punkt darstellen. Besonders die »Furcht vor der eigenen Courage innerhalb gewisser Kreise der Sozialdemokratie, mit Ausnahme der SJ«, so Kastner, sei auffällig. Wenn sich die »Zukunftsfähigkeit einer Partei« (Kastner) vor allem auch in der Auf- und Bearbeitung der Geschehnisse der Vergangenheit manifestieren sollte, dann ist es mit gutgemeinten, aber bei konkreten Konfliktfällen jegliche antifaschistische Solidarität vermissen lassenden Lippenbekenntnissen sicherlich nicht getan. Einen »Antifaschismus Light« gibt es nur in Form von Verharmlosung.

Der Dokumentationsband »SehStöhrung oder Brauner Star? Straferkenntnis und Strafverfügung der Bundespolizei Salzburg gegen den Künstler Wolfram Kastner« (ca. 70 Seiten, Preis öS 80.-) ist über die ARGE Kulturgelände und die Galerie 5020 sowie in ausgewählten Buchhandlungen erhältlich. Vollmitglieder der ARGE Kulturgelände bekommen nach Erscheinen des Bandes ein kostenloses Exemplar frei Haus.