märz 1999

Romana Klär

Liebe deinen ÜberNächsten

Nachlese zur Notschlafstelle Maxglan

Mitte April wird nach heftigen Protesten in Salzburg die erste Notschlafstelle für Minderjährige eröffnet. Dem zuweilen katholischen Motto »liebe deinen ÜberNächsten« entsprechend, wäre das Projekt, für das in der Landeshauptstadt dringender Bedarf besteht, beinahe gescheitert.

Die Vorgeschichte

Beschlüsse eines Kirchenrates erhitzen zwar selten die Gemüter weit über die engen Grenzen einer Pfarre hinaus. Auch betreffen die Entscheidungen der katholischen Räte meist nur jenen Teil der Bevölkerung, der sich unmittelbar mit dem kirchlichen Geschehen in den Gemeinden befaßt. Eine Ausnahme, die diese Regel hoffentlich bestätigt, spielte sich jedoch jüngst im Stadtteil Maxglan ab. Dort stellte sich der Pfarrkirchenrat mit einstimmigem Beschluß gegen das Vorhaben der Caritas, im ehemaligen Mesnerhaus eine Notschlafstelle für Kinder und Jugendliche einzurichten.

»Wollen wir nicht!«, protestierten die umsichtigen Kirchenmänner, die »das Wohl aller im Auge haben müssen, nicht nur derer, die's besonders nötig brauchen« (Pater Franz Lauterbacher). In einem vorweihnachtlichen Brief an die Elternvertreter der benachbarten Volksschulen sprach der Geistliche von einem »Projekt mit ungeheuren Folgen« von »raschem Handlungsbedarf« und von einer »Gefahr«, der die kleinen MaxglanerInnen womöglich auf dem Weg zum Unterricht oder zum Pfarrzentrum ausge- setzt seien.

Der Konflikt

Die Verwirrung im Stadtteil war perfekt, eine abwehrende Haltung nicht mehr auf einige wenige beschränkt. Mehr als 200 MaxglanerInnen versammelten sich in der »Unterkirche« und forderten Aufklärung von Seiten der Betreiber.

»Werden unsere Kinder mit den Drogen- und Alkoholproblemen der Obdachlosen konfrontiert? Lungern die Jugendlichen tagsüber im Stadtteil herum?«, fragten etwa besorgte Eltern. Anrainer machten ihrem Unmut Luft, schon wieder übergangen worden zu sein, hatte man ihnen doch bereits »ungefragt einen Sexshop ins Wohngebiet gesetzt«. Politische Stimmen forderten im Wahlkampftrubel, daß das Projekt gleich ganz abgeblasen werde.

Das Projekt

Dabei schienen die Voraussetzungen für eine Eröffnung der Notschlafstelle recht gut: Einerseits wäre ausreichend Platz vorhanden. Ein Wohnprojekt, bei dem seit 11 Jahren täglich bis zu 12 obdachlose Erwachsene im Mesnerhaus Unterkunft und Unterstützung durch die Caritas finden, sollte geschlossen werden, nachdem die Bewohner in andere betreute Wohngemeinschaften vermittelt oder in die Selbstständigkeit begleitet wurden. Landesregierung und Gemeinderat sicherten mit einer Finanzierungszusage von 3,3 Millionen Schilling den Betrieb. In Stadt und Land war man sich einig, daß der Bedarf einer Notschlafstelle für junge Leute dringend gegeben ist. Rund 100 Kinder und Jugendliche, die jedes Jahr auf der Straße landen, bräuchten eine »niedrigschwellige Einrichtung«, bei der nicht Erziehung im Vordergrund steht, sondern in der als erster Schritt zu einem Hauch von Stabilität in den jungen Lebensläufen die Grundbedürfnisse der Kids erfüllt werden können. Die heißen eben: erst einmal ein Dach über dem Kopf und etwas zu essen bekommen und danach langsam Vertrauen zu Sozialarbeitern gewinnen. Freiwilligkeit ist dabei Voraussetzung.

Sechs bis zehn Betten sollten im Mesnerhaus zur Verfügung stehen und professionelle Betreuung durch Sozialarbeiter und Psychologen während der Öffnungszeiten (18 bis 10 Uhr) gewährleistet werden. Tagsüber bleibt die Notschlafstelle geschlossen.

Franz Neumayer von der Caritas: »Die Augen vor der Realität zu schließen und keinerlei Kontakt zu Randgruppen zu haben, ist eine Möglichkeit. Die zweite ist, man tut etwas.«

Das Vorbild

In Graz stehen in knallgelben zweigeschoßigen Bau-Containern seit Dezember '96 im »Schlupfhaus« zwölf Betten für Burschen und Mädchen zwischen 14 und 21 Jahren zur Verfügung. Das Durchschnittsalter der Obdachlosen liegt bei 17 Jahren. 300 Jugendliche konnten seither vorübergehend »unterschlüpfen«. »Es gibt keine Gelage, wir sind kein Drogenumschlagplatz und haben auch mit den Nachbarn keine Konflikte«, schildert der Grazer Notschlafstellen-Leiter Gregorz. Von 170 Jugendlichen im vergangenen Jahr konnten mehr als 100 in Einrichtungen der Jugendwohlfahrt weitervermittelt oder eine Regelung mit den Eltern gefunden werden. Die Übergangslösung in den Baucontainern wird bald zu Ende sein. Auf Caritas-Grund wird ein Haus gebaut, die Notschlafstelle zu einer langfristigen Einrichtung.

Die Lösung

Wenn es wider Erwarten zu schwerwiegenden Konflikten mit den Anrainern kommt, wird die Notschlafstelle laut Caritas geschlossen. »Aber vorher muß ich's probieren«, betont Neumayer. Ein Beirat aus Elternvertretern, Anrainern, Mitgliedern der Pfarre, Behörden und Sozialarbeitern soll - wie im Konzept zur Notschlafstelle schon immer vorgesehen - für einen regelmäßigen Erfahrungsaustausch mit den Nachbarn sorgen.

Pikantes Detail

Auch wenn das Haus im Besitz der Kirche ist, hätte das Veto der ortsansässigen Kirchenmänner eigentlich keinerlei rechtlichen Einfluß auf die Verwendung des Gebäudes. Hat doch die Caritas vor etwas mehr als einem Jahrzehnt das Mesnerhaus aus Spendengeldern beim damaligen Papstbesuch die dringend notwendige Sanierung finanziert und mit dieser »Mietvorauszahlung« das Recht zur langfristigen Nutzung für soziale Zwecke erworben. Dennoch: Die breite Öffentlichkeit, die der laute Einspruch des Pfarrers und seiner Mitarbeiter mobilisierte, setzte Betreiber und Befürworter kräftig zu. Traurig zwar, daß soziale Initiativen gerade bei Kirchenvertretern um Verständnis für ihre Anliegen kämpfen müssen, klingt doch für jene, die's hören wollen, in jedem karitativen Projekt die christliche Botschaft, »zu helfen und jemanden so zu unterstützen, daß er oder sie selber aus dem Schlamassel herausfindet«, laut und deutlich mit. Dennoch sind umfassende Infos an alle, die meinen, in einer heilen Welt zu leben, sich nicht vorstellen können, was Kinder und Jugendliche aus ihren Herkunftsfamilien treibt und deswegen verunsichert sind, notwendig. Ansonsten ginge der Vorwurf, die Augen vor einer - vielleicht anderen - Realität zu verschließen, nach hinten los.