märz 1999

Ulrike Ramsauer
gelesen

DUBRAVKA UGRE-SIC: Das Museum der bedingungslosen Kapitulation

Suhrkamp, Frankfurt/M. 1998, 297 S

»Auf meinem Schreibtisch steht ein vergilbtes Foto. Es zeigt drei unbekannte Frauen beim Baden.« Das Rätsel um die Identitäten der Frauen im Wasser, das die beschädigte Fotografie auf dem Umschlagbild des Buches aufgibt, kann nicht gelöst werden.

Dubravka Ugresic, in Zagreb geboren und seit dem Krieg in ihrem Land in verschiedenenen Großstädten Europas lebend, präzisiert auf den ersten Seiten ihres Romans mit unvergleichlicher Genauigkeit, was ihre Lebenszäsur ausmacht und ihr Schreiben bestimmt - der Verlust der Heimat, Emigration und Exil. »Von dem Foto weiß ich lediglich, daß es zu Beginn des Jahrhunderts an der Pakra aufgenommen wurde. Das Flüßchen verläuft unweit der kleinen Stadt, in der ich meine Kindheit verbracht habe.« Das Bild aus einer zu lokalisierenden aber sonst nicht bestimmbaren Vergangenheit, das sie als »Fetisch« auf ihren Lesereisen und Umzügen ständig begleitet, wird zur Folie und zum Antrieb für den Prozeß des Erinnerns. »Manchmal starre ich sie langsam an und vertiefe mich in die Reflexe der drei Frauen auf dem Wasser, in ihre Gesichter, die mich ansehen. Ich tauche in sie ein...«. Auf dem Grund lagern Szenarien aus der Kindheit und aus den Jahren des Studierens, zu deren Personal die aus Albanien eingewanderte Mutter und die Freundinnen von der Zagreber Universität gehören, ständig präsente BegleiterInnen auf den Reisen durch ein unwirtliches Europa. Lissabon und Berlin markieren die gegenwärtige Etappe einer Emigrantin, die sich in zweifacher Hinsicht fremd fühlt, weil sie anderen Flüchtlingen ihren privilegierten Aufenthaltsstatus als Künstlerin verschweigt. Dubravka Ugresics genaue, autobiographisch inspirierte Beschreibung einer Befindlichkeit im Exil führt letztendlich an einen Ort, der nach der politischen Neuordnung Europas eigentlich gar nicht mehr existieren dürfte - das ursprünglich von den sowjetischen Besatzern eingerichtete »Museum der bedingungslosen Kapitulation« in Berlin. »Ich bin immer fester davon überzeugt, daß wir alle lebende Museumsstücke sind.« - Dort, wo man sich trifft, um türkischen Kaffee zu trinken, benennt einer ihrer Landsleute den Schwebezustand der Emigration als die vergebliche Anstrengung, im Gegenwärtigen Haftung zu gewinnen. Die Exilsituation, eine vermeintlich schicksalhafte Konstellation, ein »Deja-vu«, das die Reihenfolge vergangener und zukünftiger Bilder außer Ordnung geraten läßt, ermöglicht es Dubravka Ugresic, die Lebensgeschichte einer Exilierten als Roman auf großartige Weise neu zu erfinden.