herbst 2004

gehört

Musik

The Libertines

The Libertines

Rough Trade/Sanctuary 2004

Vor gut zwei Jahren tauchte die Band aus dem Londoner East End erstmals in unseren Breiten auf. Nämlich als Teil einer von hippen Musikkritikern in gewohntem Understatement als „New Rock Revolution“ betitelten Bewegung. Die Libertines spielten zwar schon seit 1996 in Pubs, aber als Teil der „britischen Klasse von 2002“ veröffentlichten sie damals ihr Debüt „Up The Bracket“, eine rotzige Spurensuche in guten alten britischen Traditionen von den Kinks über die Clash zu den Jam. Seitdem bewegte sich die Band auf sehr dünnem Eis. Sänger und Frontmann Pete Doherty gab sich offensichtlich härteren Rauschmitteln hin. Nicht allein also Hochprozentigem – dies dürften auch seine drei Kollegen goutieren – , sondern Heroin und Crack stehen auf seinem Speiseplan. Nichts Außergewöhnliches mögen Sie sagen, schließlich ist der Rock ’n’Roll kein Kinderfasching. Außerdem kommen solche Verhaltensweisen auch in besten Kreisen vor. Der von britischen Boulevardmedien (und dem Fachblatt New Musical Express) geschürte Hype – mitsamt all den in Wahrheit unwichtigen Details – ließ das eigentlich Spannende – Musik und Texte – in den Hintergrund treten. Zudem konnte die Band kaum eine ordentliche Tour in Originalbesetzung durchführen. Doherty stolperte durchs gesamte Programm: Häfen, Entziehungskuren, Einbruch (in die Wohnung von Bandkumpel Carlos Barat!), Abstürze. Oft bedeuten diese Kalamitäten das Ende der Schaffenskraft, bisweilen entsteht so aber auch ganz große Rockmusik. Die Libertines schafften auf der zweiten LP überraschenderweise letzteres. Dabei thematisieren Doherty und Barat ihre Konflikte in allen Songs auf sehr unprätentiöse Art. Das erreicht dann Dimensionen einer griechischen Tragödie: Freundschaft, Ver- und Misstrauen sowie (Selbst-)Hass sind eben allgemeingültige Gefühle. Die textliche Brillanz eines Ray Davies von den Kinks wird da höchstens um Haaresbreite verfehlt. Und musikalisch gelingt den Problemkindern ein unerwartet abwechslungsreiches Werk. Vom britischen 76er-Punk im Clash-, Jam- oder Only Ones-Stil (etwa „Can’t Stand Me Now“, „The Road To Ruin“, „Arbeit macht frei“ oder „The Saga“) über 60er Referenzen („Don’t Be Shy“) und dem betörenden Schmachtfetzen „Music When The Lights Go Out“ – die beste Loserballade, die der bereits verschiedene Junkie Johnny Thunders nie geschrieben hat und die eine andere Junghupfer-Partie wie The Coral mit Sicherheit gern eingespielt hätte – bis zum sarkastischen „What Katie Did“, einem Lied, das auch gut auf eine Pulp-Platte passen würde, reicht die Palette. Dazu kommt die unauffällige, keineswegs technisch perfekte Produktion des früheren Clash-Gitarrero Mick Jones, die dezente Tupfer (eine plötzlich einsetzende Mundharmonika, Italo-Western-Klänge) genau so wie ein krachendes Rock-Riff („Campaign Of Hate“) gut zur Wirkung bringt. Vergessen Sie den so genannten Brit-Rock der 90er, hier kommt das wahre Ding. Ein schönes, wenn auch höchstwahrscheinlich letztes Lebenszeichen der Libertines in DIESER Besetzung.

Doc Holliday

Wie die Alten sungen ...

1-2-3-Musik-DVDs!!!

„Sonic Revolution: A Celebration of The MC5“ (Universal) zeigt den raunchy 2003er Reunion-Gig im Londoner 100 Club mit den Überlebenden der Detroiter White Panther-Proto-Punks (Wayne Kramer, Michael Davis, Dennis Thompson) plus tollen (Lemmy) und okayen (Ex-Cult-Sänger Ian Astbury) Gästen. Dazu gibt es drei saurare TV-Auftritte (darunter eine „Black To Comm“-Live-Free-Jam) und den originalen 1969er „Kick Out The Jams“-Promo-Film, die sowohl in Puncto sexy Funkyness, High Energy-Rock’n’Roll und Freak-Out-Level nun auch vor Augen führen, warum die MC5 schon mal als „Greatest Band On Earth“ bezeichnet wurden. Dafür fehlt ihr 1972er Beatclub-Auftritt und nervt eine total lückenhafte „Documentray“ mit völlig inkompetenten Rockdeppen des britischen Retro-Magazin „Mojo“ wie Sau.

Es ist vielleicht doch kein Zufall, dass die besten Artikel zu Detroit-Rock in letzter Zeit eher in Schlaumeier-Magazinen wie „Wire“ erschienen sind. Was nun mit „Iggy & The Stooges – Live In Detroit“ (Edel) auch veranschaulicht wird. Wobei sich der Mehrwert weniger aus Iggys Hampelmann-Eskapaden, denn aus dem Tun der Stooges (die Gebrüder Ron und Scott „Rock Action“ Asheton an Gitarre & Drums, Saxophonist Steve Mackay und Initiator Mike Watt am Bass) ergibt. Allein wie hier demonstriert wird, dass technische Fingerfertigkeiten voll für den Arsch sind, wenn man ein Wah Wah-Pedal wie ein eigenständiges Instrument behandelt und damit auch superelektrischer Free-Jazz gemacht werden kann (den Miles Davis 1971 sogar als einzige Weißbrot-Variante seiner damaligen „Bitches Brew“-Phase gelten lies), macht klar, wie sehr all diese Elemente eigentlich immer von Iggys übergroßem Schatten verdeckt wurden. Dazu gibt es einen irren Auftritt in einer Musikalienhandlung, bei der Scott Asheton auf Plastikkübeln trommelt. Was eigentlich keinen Unterschied zum Live-Gig macht. Es gibt nix Cooleres neben Velvet Undergrounds Moe Tucker und der Rhythmusmaschine von Suicide. Und neben Nick Knox, dem stoischen „Psycho“-Look-A-Like-Drummer der Cramps. Die dachten sich 1978, dass die legendären Gefängnis-Auftritte von Johnny Cash eigentlich nur durch einen Auftritt in einer Nervenheilanstalt überboten werden können. Was nun in Form des Target Video-Tapes von „The Cramps – Live At Napa State Mental Hospital“ erstmals auf DVD vorliegt.

Als würde der Psychobilly alleine schon nicht reichen, spielen sie auch noch unter regster Publikums/InsassInnenbeteiligung Nummern wie „What’s Behind The Mask“ und „Human Fly“. Wie sagte einst Greil Marcus: „Rockabilly definierte das grundsätzliche Image des Rock’n’Roll: Der sexy, halbirre Idiot, der auf der Bühne steht und sch die Seele aus dem Leibe singt.“ Nur hier gibt es keine Bühne! Punk als offene Psychiatrie – Mach mit den Anti-Ödipus!

Didi Neidhart