herbst 2004

gelesen

Bücher

Martha Cooper (Fotos), Akim Walta aka ZEB.ROC.SKI (Hrsg.)

Hip Hop Files –

Photographs 1979-1984

From Here To Fame Publishing/MZEE.com/CARHARTT

Selbst wer den Namen der diplomierten Ethnologin und ehemaligen „New York Post“-Fotografin Martha Cooper noch nie gehört hat, kennt ihre Bilder. Waren es doch vor allem ihre Schnappschüsse von Breakern und Graffitis, die HipHop erst weltweit bekannt machten. Wobei Schnappschüsse nicht ganz stimmt. Denn Coopers Kontakte zur ganz frühen New Yorker HipHop-Szene von 1979 verdanken sich auch ihrem Interesse an der urbanen, „vergänglichen Kunst im alltäglichen Leben“, die sich bekanntlich gerade dort am heftigsten zur Wort, Bild und Tanz meldet, wo schon Gilles Deleuze „Löcher im urbanen Gewebe“ diagnostizierte. Cooper interessierte, „was Kinder machen, wenn sie ohne elterliche Aufsicht waren“. So machte sie die ersten Breakdance-Fotos, als sich ein „Aufstand“, zu dem sie als Fotografin geschickt wurde als „Tanzwettbewerb“ herausstellte. Später organisierte sie zusammen mit dem Fotografen Henry Chalfant (mit ihm bringt sie 1984 die mittlerweile schon in der 16. Auflage vorliegende Graffiti-Bibel „Subway Art“ heraus) unter dem Motto „Graffiti Rock“ Meetings von MCs, DJs, B-Boys und Sprayern, denen kurze Zeit später ein Leitartikel inklusive Coverfoto in der „Village Voice“ folgen sollte. Womit HipHop sozusagen erstmal „offiziell“ erwähnt wurde. Coopers Fotos aus einer Zeit, als „Breaking, bei dem Pappe als Dancefloor benutzt wurde und Open Air-Jams, mit Straßenlaternen als Stromquelle“ das Genre definierten, zeigen zusammen mit Interviews namhafter ProtagonistInnen (Fab 5 Freddy, Rock Steady Crew, Grandmaster Caz, Run DMC, Afrika Bambaataa, Pink, Rammellzee, Futura 2000) aber auch schon den Weg von der Bronx in die Club- und Kunstszene (etwa zu Keith Hearing) von Manhattan (wo Cooper später auch die Standfotos für den Kult-Film „Wild Style“ schoss).

Vor allem zeigen die 400 Farb- und 50 S/W-Fotos aber auch, dass HipHop in den Anfängen nicht ausschließlich nur von afroamerikanischen Kids gemacht wurde und sich in Sachen Mode der so genannte „Street Style“ immer schon von jenseits der Straße bedient hat. Denn: „Die Ski-Mode war wichtig im HipHop, weil sie futuristisch wirkte und funktional war. Die Zukunft repräsentierte Hoffnung für die Großstadtkids, die die Vergangenheit als eine Zeit der Unterdrückung sahen.“

Wenn wir Bleichgesichter das nur damals beim Schikurs auch so gesehen hätten – wie wären wir uns cool vorgekommen.

Didi Neidhart

Karl Heinz Ritschel

Salzburger Miniaturen 3

Otto Müller Verlag

Frederick Baker

Europa erlesen: Salzburg

Wieser Verlag

Zu Herbstbeginn sind gleich zwei Lesebücher zum Thema „Salzburg“ neu auf den Markt gekommen: Der inzwischen dritte Band der kleinen Story über Salzburg aus der Feder des ehemaligen SN-Chefredakteurs Karl Heinz Ritschel und das „Salzburg“-Lesebuch, das der Wieser Verlag im Rahmen seiner Reihe „Europa erlesen“ zusammengestellt hat. Die Konzepte der beiden Textsammlungen sind durchaus unterschiedlich. Ritschels Miniaturen ist Salzburger Geschichte, aufbereitet in kleinen Geschichten. Der thematische Bogen spannt sich von der Story über Salzburgs ersten Buchdrucker über den Kauf des gesamten Gasteinertals durch das Erzbistum bis zur „weltlichen Wahlfahrt“ ins Müllnerbräu. Kleine erhellende Schlaglichter auf die Geschichte Salzburgs, vor allem für SalzburgerInnen verfasst. Der Wieser Verlag hingegen stellt Salzburg anhand einer Vielzahl von – überwiegend ziemlich prominenten – AutorInnen einer breiten europäischen Öffentlichkeit vor. Mit dabei beispielsweise Peter Handke, Karl Markus Gauß, Gerard Mortier und auch die Volxtheaterkarawane.

Thomas Neuhold

Georg Trakl

Am Moor. – Ausgewählte Gedichte

inklusive einer CD.

Innsbruck 2004, Kyrene Verlag

„Die Poesie des Nüchternen ist nichts gegen die Poesie des Rasenden“ (Platon) – Rekapitulieren wir erst einmal das Schulbuchwissen: Georg Trakl ist ein großer Sohn Salzburgs. Seinen Namen bemühen Politiker und Tourismusstrategen noch immer, um der Festspielstadt eine besondere Affinität zur Kunst nachzusagen. Freilich kann ein Trakl in punkto Massenattraktivität mit der singenden Trapp-Familie nicht mithalten. Daran ändert auch eine weitere Schulbuchweisheit nichts: Trakl ist einer der bedeutendsten Lyriker des Frühexpressionismus. Dabei steht er in einer Tradition der schwarzen Romantik, die ihn mit der Rockkultur verbindet. Trakl stammt eigentlich aus gutbürgerlichen Verhältnissen, seine Kindheit erscheint ihm rückblickend jedoch „erfüllt von Krankheit, Schrecken und Finsternis“. Diese düsteren Stimmungen bleiben seine restlichen Lebensjahre vorherrschend. Schon die Titel der Gedichte lassen erahnen, dass Trakl nicht unbedingt eine Stimmungskanone von frohem Naturell war: „Die Schwermut“, „Gesang des Abgeschiedenen“, „Verwandlung des Bösen“, „Am Friedhof“, „Die tote Kirche“, „Andacht“, „Auf den Tod einer alten Frau“, „Melancholie des Abends“ – sind allesamt in vorliegender Sammlung vertreten. Andere Poeme Trakls geben noch klarer Zeugnis von seiner seelischen Verfasstheit: „Menschliches Elend“, „Verfall“, „Nähe des Todes“, „Trübsinn“, „Traum des Bösen“, „Grauen“. Das sind denn auch die zentralen Themen in seinem mit den französischen Dichtern Rimbaud und Baudelaire vergleichbaren Werk. Letztere teilen mit Trakl aber noch ein anderes Hobby: den Gebrauch von allerlei Rauschmitteln. Nicht zuletzt, um der öden Spießbürgerwelt zu entfliehen, nehmen diese „Code-Brecher“ (Peter Weibel) Opium, Morphium, Kokain und Alkohol. Trakl, der die Schule abbricht, um passenderweise Apothekerlehrling zu werden, findet in diesen Rauschzuständen etwas Erlösung von seinen Depressionen. Das Eindringen in diese künstlichen Paradiese mag einerseits mit Eskapismus zu tun haben, andererseits induzieren die Substanzen starke Traumbilder, die sich zweifelsohne in den Werken der Symbolisten ebenso wie bei Trakl wiederfinden. Für herausragende Galionsfiguren der Rockkultur seit den 60ern gilt Ähnliches. Nicht umsonst berufen sich etwa Bob Dylan, Doors-Sänger Jim Morrison oder die Punk-Poetin Patti Smith – um nur einige wenige zu nennen – immer wieder auf Charles Baudelaire, Arthur Rimbaud oder Paul Verlaine. Dass dies mehr als Koketterie ist, haben Literaturwissenschafter inzwischen zur Genüge in langatmigen Wälzern nachgewiesen. Der stilistisch eigenständige Trakl fehlt in den Referenz-Listen der Rockmusiker. Dabei bringen sein Hang zur Morbidität und der Metaphernreichtum seiner Gedichte die besten Voraussetzungen mit, um Gothic Rock oder Industrial eine bislang unausgesprochene Traditionslinie zu weisen. Vom richtigen Leben müssen wir da gar nicht weiter reden: Trakl nahm nicht nur das Bewusstsein verändernde Substanzen, sondern pflegte auch noch eine inzestuöse Beziehung zu seiner Schwester. Welch positiven Eindruck Trakls schwermütig schöne Poesie auf einen rationalen Sprach- und Gesellschaftskritiker vom Format eines Karl Kraus machte, ist zumindest in Literaturarchiven aktenkundig. Trakl als Vorläufer der Rockexzentriker zu sehen, mag bei Germanisten verpönt sein. Dass der in Existenzfragen glücklose, zu Lebzeiten erfolglose und von den widerwärtigen Zuständen der bürgerlichen Welt (Egoismus, Machtkämpfe, Krieg) sich abwendende Außenseiter dann auch noch sehr jung – mit 27 Jahren – stirbt, passt ins Bild. Das reale Grauens des 1. Weltkriegs treibt den Militärapotheker Trakl zum Wahnsinn – er erleidet einen Nervenzusammenbruch. Im Lazarett, in das er umgehend eingeliefert wird, nimmt er eine Überdosis Kokain. Der vorliegende Band überzeugt nicht nur durch die 28 versammelten Gedichte, sondern auch durch den davon inspirierten Zyklus von zwölf Radierungen des Salzburger Malers und Grafikers Hubert Sommerauer. Der Zyklus wurde bereits 1987 geschaffen und legte den Grundstein zur Veröffentlichung des Buches.

Doc Holliday

Tipp: Die Galerie der Stadt Traun zeigt vom 10. 11. bis zum 5. 12. die Ausstellung „Tombouctou“: Arbeiten auf Papier von Hubert Sommerauer.