herbst 2004

Hans Lindenbaum
grausame orte

Neue ÖBB-Triebwagen provozieren Rolli-Fahrer

„Wir haben Talent!“ – „Nein, Schrott!“

Wien Westbahnhof, 5. August. Test des Nahverkehrs-Triebwagens Modell Talent durch Fachleute von Ministerium und ÖBB und die Arbeitsgruppe „Behinderte Menschen im Öffentlichen Verkehr“. Mit dabei die Abgeordnete zum Nationalrat, Behindertensprecherin der Grünen und Rollstuhl-Fahrerin Theresia Haidlmayr und Eduard Riha, Generalsekretär der Österreichischen Arbeitsgemeinschaft für Rehabilitation, der Dachgesellschaft für 73 Behindertenverbände.

Die Betroffenen halten fest: In den „Talent“ zu gelangen sei wegen der steilen Auffahrtsrampe geradezu gefährlich, denn der Rolli könne nach hinten kippen; das Klosett sei für 85 Prozent der Rollstühle nutzlos, weil die Tür nicht zu schließen sei; all das nach vielen Gesprächen mit den ÖBB während drei Jahren.

Salzburg Hauptbahnhof, 6. August. Erzbischof Alois Kothgasser segnet eine Garnitur, Landeshauptmann-Stellvertreter Wilfried Haslauer bekleckert sie mit Sekt, ÖBB-Führungskraft Karl Zöchmeister schwärmt vom „Quantensprung beim Kundenkomfort“, den die Bundesbahnen nun in Salzburg als erstem Land („Wir haben Talent“) anböten.

Und übersieht, wohl ob der opulenten Inszenierung, dass neue Fahrzeuge laut Vertrag mit dem Land Salzburg schon seit dem Jahr 2000 auf Schiene sein sollten; dass dieser Schnäppchenkauf Lokführer von lahmen Enten sprechen lässt; dass Garnituren seit einem Jahr in Salzburg nutzlos herumstehen, weil Infrastrukturministerium, ÖBB und Hersteller Bombardier effizientes Erledigen alter und neuer (Sicherheits-) Auflagen (Stichwort Kaprun) nicht schafften.

Auch vom „behindertenfreundlichen Toilettensystem“ ist beim Festakt die Rede. Theresia Haidlmayr macht das zornig: „Dass dieses Klo für uns nicht benutzbar ist, wissen die ÖBB seit Jahren und trotzdem bestellen sie irgend einen Schrott.“ Denn nach elf „Talenten“, die nun in Salzburg unterwegs sind, werden mit den gleichen Barrieren versehene 111 Stück für die Wiener Schnellbahn und die Zentralräume mehrerer Bundesländer beschafft. Für Haidlmayr „unverantwortlich und diskriminierend“.

Alfred Winkler, bei den Salzburger ÖBB als Qualitätsmanager eingesetzt, verteidigt die Fahrzeuge: ihre permanenten Kinderkrankheiten, ihre beschränkte Einsatzfähigkeit, die halbherzige „Behindertenfreundlichkeit“ trotz aufwendiger Nachbesserungen. Bleibt die geeignete Turnübung, mit der sich Rollstuhlfahrer auf die Klomuschel hieven sollen: „Koa Ahnung, wie des geht.“

Hans Lindenbaum