herbst 2004

Didi Neidhart

„Can we ever avoid doing gender?“

„Musik“, der neue Roman des Musikers (FSK) und Radio-DJs (Zündfunk) Thomas Meinecke, betreibt erneut Queer Studies als Literatur.

»kunstfehler«: „Musik“ ist ein sehr selbstreflexiver Roman, der seine strukturellen Konstruktionsbaupläne offen thematisiert. Dazu gehören auch Fragen wie und ob es überhaupt möglich ist von heterosexueller Warte aus über Homosexualität, Queerness und das jeweils damit verbundene sexuelle Begehren zu schreiben.

Thomas Meinecke: Durch das Buch zieht sich ein poetologischer Strang aus Äußerungen von Theoretikerinnen, die seit den 1970ern im Feminismus das Thema „weibliches Schreiben“ untersucht haben. „Musik“ hat ja zwei Perspektiven – eine „männliche“, einen Flugbegleiter, der als Mann in einem so genannten Frauenberuf arbeitet, und eine „weibliche“, eine Autorin, die sich schon von Berufswegen Gedanken darüber macht, ob es ein „weibliches Schreiben“ überhaupt gibt. Da solche Diskurse von Frauen erst durch die Ausschlussmechanismen, denen sie unterliegen, formuliert werden konnten, hatte ich immer den Eindruck eine männliche Sicht dieser Dinge wäre eine Art dreister Aneignungs-Act und politisch völlig falsch. Nachdem es mit „Hellblau“ einen Roman gegeben hat, der auch die männliche Konstruktion als eine gemachte betrachtete, hab ich es diesmal von beiden Seiten zu packen versucht.

Da bin ich wiederum dort am fündigsten geworden, wo Frauen darüber geschrieben haben.

»kunstfehler«: Camp und Queerness scheinen ewige Themen bei dir zu sein. Die ersten FSK-Texte waren ursprünglich für die Hamburger Drag Queen Romy Haag gedacht und Songs wie „Frau mit Stiel“ sprechen auch eine sehr deutliche Sprache. Was sich auch mit deinen Vorlieben für Bastardmusiken trifft. Da kommt ein schräges, queeres Lesen beinahe automatisch mit rein. Solche Bastardmomente in der Pop History sind ja nicht nur musikalisch durchlässig, sondern auch entlang der Kategorien race, gender und class. Das ist ja auch das Interessante an Post/No Wave-Punk und Disco.

Thomas Meinecke: Punk und Disco haben sich beide Schulter an Schulter gegen das, was damals Rock war, gewandt. Beide waren queere Genres, aber hatten auch Anteile, die total straight gelesen werden konnten. Der Witz ist ja, dass die erfolgreichsten Disco-Sachen wie Grace Jones, Amanda Lear, The Village People, Sylvester sehr queer waren, aber nicht so wahrgenommen wurden, sondern eher als Bestätigung von Heteronormativität dienten. Das sind für mich auch die eigentlichen popistischen Glücksmomente – wenn nicht nur spezielles, nerdiges „Jungstum“ bedient wird, sondern es wirklich für alle gemacht ist und trotzdem anders gelesen werden kann. Ich finde es eigentlich einen Skandal, dass die größte Trennung, die die Menschheit erfährt, die zwischen Männern und Frauen ist. Das ist das erste, was du wahrnimmst, wenn du mit jemanden zusammen kommst. Aber ich sehe jetzt schon all die Leute, die mir vorwerfen werden, ein Schmarotzer, der ein heterosexuelles Normalleben führt, zu sein. Wobei ich der Meinung bin, dass wir ja alle betroffen sind.

»kunstfehler«: In diesem Zusammenhang nennt Alexander Doty Queer „einen flexiblem Raum aller Aspekte der nicht-(anti-, konter-) heterosexuellen Produktion und Rezeption.“ Eve Kosofsky Sedgwick spricht von einem „offenen Netz von Möglichkeiten, Lücken, Überlagerungen, Dissonanzen und Resonanzen, Fehlern und Überschüssen von Bedeutung“ und ergänzt „es gibt einige Lesben und Schwule, die nie und nimmer als queer durchgehen, und andere Personen, die auf jeden Fall dazugehören, ohne dass sie sich allzu viele homoerotische Anwandlungen haben oder ihre Homoerotik mit der Identitätsbezeichnung ,lesbisch‘ oder ,schwul‘ festlegen“.

Thomas Meinecke: Genau das ist das Interessante und Tolle daran! Die Queer-Theories halten sich nicht mehr damit auf zu definieren, was queer am Queersein ist, sondern fragen, was ist queer am Normalsein. Wenn sich die Queer-Studies mit dem gleichen Besteck der Untersuchung der Heteronormativität zuwenden, wird es wirklich spannend – auch in der Politik. Zu erkennen wie nichts wirklich von sich aus je in der Mitte sein wird, oder ist, sondern wie alles gemacht ist – die so genannte Normalität genauso wie die Exzentrität. Wenn die Queer Studies die Heteronormativität als eine Art Ableitung der Homosexualität erklären, kann man gedanklich schon irre auf Trab kommen. Da gibt es auch schöne historische Fakten. Die Begriffe „Heterosexualität“ und „Homosexualität“ waren ursprünglich nicht als Gegensatzpaar gedacht. Bis ins mittlere 19. Jahrhundert galt „Heterosexualität“ als Begriff für alle Formen von „perversen“ sexuellen Praktiken, die nicht der Fortpflanzung dienten. Also auch für alles, was Männer und Frauen miteinander machten. Dann erst kam der medizinische Begriff „Homosexualität“ als eine spezielle Form und Spielart der Heterosexualität dazu. Wobei es sich eigentlich um ein Dreiecksverhältnis handelt, bei dem es neben sexueller Identität im Sinne des sozialen Geschlechts „gender“ und des anatomischen Geschlechts „sex“ ja auch noch um das sexuelle Begehren geht. Dass es zwischen Begehren, „sex“ und „gender“ keine Übereinstimmungen geben muss, ist ja ein zentraler Topos der Queer Studies. Da kam ich im Laufe des Romans auf ganz irre Quellen – etwa dass neuerdings in Japan die Schwulen nicht mehr in ihre Schwulenkinos reinkommen, weil die mit heterosexuellen Frauen voll besetzt sind, die endlich einmal zärtliche Männer sehen wollen. Es ist schon irre, wie das mit dem Begehren eigentlich auch verschaltet ist.

»kunstfehler«: Danke für das Gespräch.