herbst 2004

Wolfgang Drechsler

Die sind wirklich süchtig!

Wettcafés in Salzburg

Während der private Konsum unterlegt von „Geiz ist geil“ Parolen seit Jahren in zahlreichen Bereichen teilweise sogar massiv einbricht, greift parallel dazu eine neue Glücksrittermentalität um sich. Sichtbarstes Zeichen dafür sind die zahlreichen Wettcafés, die in den letzten Jahren ein stetig anwachsendes Klientel bedienen.

Im Wettcafé

In der Stadt Salzburg zählt man gegenwärtig an die zehn Wettcafés, wobei die größte Dichte rund um den Bahnhof anzutreffen ist. Donnerstags abends im „Wettpunkt“. Auf der Großleinwand läuft gerade die Live- Übertragung der UEFA- Cup Qualifikation zwischen St. Petersburg und Pasching. Um die Tische gruppieren sich größere Gruppen, vornehmlich bestehend aus türkischen Migranten. Das Spiel plätschert trotz der bemühten Aufgeregtheit des Kommentators müde vor sich hin und findet gleich den zahlreichen kleineren, flimmernden Bildschirmen kaum Beachtung. Abgesehen von der Technik, die einen Hauch von Raumfahrtszentrum Houston- Atmosphäre versprüht, pendelt das Ambiente zwischen Las Vegas für Arme und einem aufgetunten Bahnhofswarteraum. Lediglich eine verschwindende Minderheit bearbeitet gewissenhaft die Quotenblätter, der Andrang am Wettschalter gestaltet sich dementsprechend. Für die Mitarbeiter bleibt also genügend Zeit einige Besucher mit selbstmitgebrachtem Bier zu stellen und liebevoll maßzuregeln. Das Wettcafé als sozialer Raum, doch wo hat dies alles seinen Ausgang genommen?

Steinzeitlicher Beginn

Schon zu Beginn des letzten Jahrhunderts war klar, dass dem Staat mittels Sportwetten – der Massensport Fußball eignete sich hierfür bestens – ein einträgliches Geschäft winkte. Vor diesem Hintergrund war die Einführung des Fußball-Totos nach dem Kriegsende in Österreich lediglich eine Frage der Zeit. Vorerst wurde von privater Seite erfolglos um eine Konzession angefragt, einige Tageszeitungen führten bei postalischer Einsendung bereits Totobewerbe. Zum Handeln genötigt, sprach sich 1947 erstmals das für den Sport zuständige Unterrichtsministerium für die Einführung eines rein staatlichen Bewerbes, den „Fußball-Totalisateur“ aus. Gleich einem antizentralistischen Reflex versuchte daraufhin die Leitung der Salzburger Landessportorganisation mit einem eigenen, landesweiten Toto diesem Unterfangen zuvor zu kommen. Ohne lange zu zaudern wurde im Oktober 1948 der erste Totoschein ausgegeben. Der Alleingang der Salzburger scheiterte jedoch kläglich, indem nebst einer Verurteilung durch den Nationalrat der Fußball-Bund die auf dem Schein angeführte Meisterschaftsrunde einfach mit einer terminlich später angesetzten Runde tauschte, sodass der Salzburger Totoschein als Folge die falschen Spiele enthielt. Die lang ersehnte nationale Totorunde, die mit 61.000 Teilnahmescheinen einen Einsatz von 200.000 Schilling erbrachte, ging ein Jahr später über die Bühne. Etwas enttäuschend, doch mit dem Ausbau von Annahmestellen, die u.a von Fußballidolen wie Happel, Zeman oder Decker geleitet wurden, ging es umsatzmäßig schon bald steil bergauf.

Times are changing

Sportberühmtheiten wird man heute vergeblich hinter dem Wettannahmeschalter suchen, zu viel hat sich verändert. Die großen Anbieter am heimischen Markt wie Admiral Sportwetten, die ein Tochterunternehmen des Glücksspielkonzerns Novomatic ist, sind längst börsennotiert und verfügen über ein schier unüberschaubares Angebot. Wetten lässt sich auf fast alles. Von Fußball über Tennis bis hin zu Baseball, ja sogar auf Hunderennen, wobei es eine Unzahl von Kombinationen gibt. Auch wenn der Zeit gemäß das Internet eine immer wichtigere Rolle spielt, verliert das traditionelle Sportwettencafé nichts an Bedeutung. Hier gibt es nämlich seit der Einführung von Pay-TV die Möglichkeit, die wichtigsten Spiele live unter Gleichgesinnten mitzuverfolgen. Die Freude sich ein Premiere-Package erspart zu haben verleitet jedoch nicht selten dazu das vermeintlich Ersparte in die ein oder andere „sichere“ Wette zu investieren.

Sunday night fever

Albert kennt seine Stammklientel und die Bandbreite ist beeindruckend. Schwer ökonomisch orientierte Kunden kommen lediglich um ihre Tipps aufzugeben und danach umgehend nach Hause zurückzukehren. Eine Minderheit der traditionellen Wetter schätzt die Live-Wette. Diese bietet die Möglichkeit, bei schlechtem Verlauf der Kombinationswetten während des Spiels neue Wetten – z.B.: wer schießt das nächste Tor – nachzureichen. Den Kollegen am Vordertisch mit der abgefahrenen Kombination aus Italientrikot meets weiße Tennissocken samt Slippers, kann definitiv nichts mehr retten. Werder Bremen bringt einfach nicht die Pille im Tor unter und bei der Partie aus der englischen Premiers League scoret permanent das falsche Team. Der Rest der Gäste – auch diesmal wieder fast ausschließlich Männer – trägt es mit Fassung, lautet doch die nächste, ersehnte Partie Austria Wien gegen den Namensvetter aus Salzburg. Kurz nach Anpfiff der Partie lichtet sich der Schalter und Albert beginnt über seinen Arbeitsalltag und die Beziehungen zu den Kunden zu erzählen. Ja, er ist offiziell angemeldet, aber die versprochene EM- Sonderpauschale hat es dann doch nicht gegeben. Viel Zeitdruck und Verantwortung, nachdem bei eventuellen Abrechnungsdifferenzen der fehlende Betrag persönlich beglichen werden muss, steht ein wenig an Lohn gegenüber. Glücklicherweis gibt es immer wieder gutes Trinkgeld, wofür er sich durch kleinere, legale Sonderservices revanchiert. Überhaupt mag er den Großteil der Kunden gut leiden, lediglich enttäuschte Wettgenossen, die im Extremfall wie geschehen mit dem Barhocker die Auslage einschlagen, sind ihm ein Dorn im Auge. Natürlich ist die Skala des ganz normalen Wahnsinns nach oben hin offen. „Das Verrückteste sind Hunderennen, wo man nicht einmal die Hunde zu Gesicht bekommt. Hier zählt nur noch die Quote und die Leute setzen wirklich immense Beträge. Die sind wirklich süchtig!“

Die Schattenseite

Gerald Granig, Obmann der „Anonymen Spieler Salzburg“, beschäftigt sich mit der dunklen Schattenseite des Wettbetriebes, der Suchterkrankung „pathologisches Glücksspiel“. An Klienten mangelt es nicht, obwohl die aus durchgehend allen gesellschaftlichen Schichten stammenden Betroffenen, wenn überhaupt, laut Studien erst nach neun bis zehn Jahren Hilfe in Anspruch nehmen. Als klassischer Einsteiger gilt die Sportwette aufgrund des niederschwelligen Zugangs, und die Spieler werden immer jünger. Essentielle Probleme in privater wie ökonomischer Hinsicht treten erst später auf: Bei Männern durchschnittlich ab dem 25., bei Frauen ab dem 40. Lebensjahr. Hinsichtlich der Verschuldungsthematik besteht eine gute Zusammenarbeit mit der Schuldnerberatung, doch um der Spielsucht als Krankheit in Zukunft effektiver begegnen zu können, bedarf es politischer und finanzieller Unterstützung durch das Land Salzburg. Was es bis dato kaum gegeben hat, soll sich nun aber ändern. Eine Petition, in der gefordert wird, dass der an das Land vom Bund retournierte Wettsteueranteil zweckgebunden für spezifische Suchtprävention, soziale Beratung sowie ambulante und stationäre Therapie heranzuziehen sei, wurde einstimmig angenommen. Nachdem kein Ende des Glücksspielbooms abzusehen ist, werden zukünftig bessere Betreuungsmöglichkeiten mehr als eine Notwendigkeit sein.

Übrigens: Der österreichische Normalhaushalt gibt viermal mehr Geld für Sportwetten als für Museums- und Ausstellungsbesuche aus. Wetten, dass diese Zahl der Realität entspricht.