herbst 2004

Georg Wimmer

„Institutionelle Habgier“

Das Land Salzburg hat 19 Gemälde aus dem besetzten Frankreich noch immer nicht zurückgegeben.

Es wäre nicht Gert Kerschbaumer, hätte er nicht auch an seinem Ehrentag ein fettes Ausrufezeichen gesetzt. „Die Nazi-Zeit interessiert mich gar nicht. Ich habe nie mit den Nazis zu kämpfen gehabt“, erklärte er spitz vor den geladenen Gästen, nachdem ihm der Kulturfonds-Preis der Stadt Salzburg für Wissenschaft überreicht worden war. Tatsache ist: Mehr noch als die Vergangenheit selbst interessiert Gert Kerschbaumer, wie heute mit der Vergangenheit umgegangen wird. Wenn in der Nazi-Zeit Kunstschätze geraubt wurden, so sei das eine Sache. Die andere sei, wie zäh bis heute an diesen Besitzständen festgehalten werde. Nachsatz: „In der Residenzgalerie befinden sich noch immer 19 Gemälde, die eindeutig in die Kategorie Raubkunst fallen.“ Gerne hat das die anwesende Polit- und BeamtInnenprominenz nicht gehört. Widersprechen mochte aber niemand. Denn Kerschbaumer hat diesen Fall von – wie er es nennt – „institutioneller Habgier“ ausführlich dokumentiert.

Der Krimi um die 19 Bilder beginnt mit der Besetzung Frankreichs im Frühjahr 1940. Im Gefolge der deutschen Truppen strömen allerlei Kunsthändler nach Paris, sie profitieren nicht nur vom Umstand, dass jüdische Sammler ihre Kunstwerke vor der Flucht zu Schleuderpreisen abgeben müssen. Der von Deutschland oktroyierte Wechselkurs drückt die Preise noch einmal um satte 300 Prozent. So kann der Salzburger Kunsthändler Friedrich Welz in Paris von Nazi-Kollaborateuren ungezählte Schnäppchen erwerben. Davon inventarisiert er später 312 Bilder und Plastiken für die damalige Landesgalerie Salzburg, als deren Leiter er während des Hitler-Regimes dient.

Nach dem Krieg müssen geraubte Kunstschätze zurückgegeben werden. Die „Londoner Deklaration“ legt fest, dass alle in besetzten Gebieten erworbenen Vermögenswerte zu restituieren sind. Auf Druck der Amerikaner kommen die meisten der 312 Objekte wieder nach Frankreich. Ein Teil war allerdings von der Residenzgalerie bereits weiterverkauft worden. Und von 40 Bildern fehlt vorerst jede Spur. Beinahe ein halbes Jahrhundert später macht sich Gert Kerschbaumer auf die Suche nach ihnen. Zunächst erfolglos, die offiziellen Stellen mauern.

Im Februar 2000 werden dem privaten Cheffahnder in Sachen Beutekunst Listen aus Frankreich zugespielt. Der Vergleich mit Salzburger Angaben ermöglicht den Nachweis, dass sich mindestens 19 Gemälde alter Meister noch in Salzburg befinden müssen, darunter ein Jakob Grimmer aus dem 16. Jahrhundert im Wert von mehreren Millionen Euro.

Und siehe da: Nachdem die Medien den Fall publik machen, gibt auch das offizielle Salzburg zu, dass die Bilder in der Residenzgalerie sind. Kerschbaumer hatte erwartet, dass die Kunstwerke nun endlich dem französischen Staat übergeben werden. Der damals für die Museen zuständige Landesrat Othmar Raus hingegen entscheidet, die Inventar-Listen der Residenzgalerie aus der Nazi-Zeit gemeinsam mit Fotos der 19 Gemälde auf der Homepage des Landes zu veröffentlichen. Bis jetzt hat sich daraufhin niemand gemeldet. Mittlerweile sind die Museums-Angelegenheiten bei Landeshauptfrau-Stellvertreter Wilfried Haslauer gelandet, der noch unschlüssig ist, wie sich das Land verhalten wird. Nachdem sich niemand gemeldet hat, könnte man sich auf den Standpunkt stellen, dass die Bilder jetzt dem Land gehören. Aber das wäre eine allzu plumpe Ausrede, meint Kerschbaumer. Und eine gefährliche noch dazu, denn in diesem Fall würde sich auch die Frage stellen, ob sich das Land Salzburg als Rechtsnachfolger des 3. Reiches sieht. „Wenn das so ist, dann ist das Land Salzburg auch verantwortlich für die Massenmorde.“