herbst 2004

Doc Holliday

Der Spurensucher

Ein Gespräch mit dem Salzburger Historiker und Germanisten Gert Kerschbaumer.

»kunstfehler«: Deine letzte Arbeit, die auch in Buchform veröffentlicht worden ist, beschäftigt sich mit Stefan Zweig. Der Großschriftsteller lebte von 1919 bis 1934 auf dem Kapuzinerberg in Salzburg. Was waren die Gründe für deine Beschäftigung mit Zweig?

Gert Kerschbaumer: Es gab zwar vorher schon eine umfangreiche Biografie, aber auch einige blinde Flecken in der Zweig-Forschung. Besonders was das Verhältnis dieses weltberühmten Schriftstellers und Juden zur Kleinstadt Salzburg betrifft. Es reizte mich seinen Freundeskreis oder seine politischen Einstellungen aufzuzeigen.

»kunstfehler«: Wie lässt sich Zweig politisch einordnen? Er ist doch eher ein bürgerlicher Individualist. 1928 reiste er zwar in die Sowjetunion und nahm in Moskau an einem feierlichen Bankett zu Ehren Tolstois teil. Aber war das nicht ein einmaliger „Ausrutscher“?

Gert Kerschbaumer: „Ausrutscher“ - das kann man wohl sagen. Im Grunde genommen hat er sich von allen politischen und staatlichen Institutionen fern gehalten. Das kann aber nur gelingen, wenn der nötige Erfolg vorhanden ist. Zweig hat sich den Erfolg selber geschaffen, er hat nicht von seiner wohlhabenden Herkunft gelebt. Nicht umsonst hat man ihn gehässiger weise als „Erwerbszweig“ bezeichnet – und nicht „Erfolgszweig“ wie fälschlicherweise in meinem Buch steht. Aber das hat er auch ertragen. Die Nichtanerkennung durch andere wie Hugo von Hofmannsthal dürfte ihn schon mehr gewurmt haben.

Ich habe in meinem Buch die gesamte Exildebatte – wie sie etwa in der DDR geführt wurde – weggelassen, um den Blick auf einen zu lenken, der sich partout nicht vereinnahmen lassen wollte. Andererseits wollte ich aber auch keine Rechtfertigung schreiben. Die Arbeit ist der Versuch gewesen diese ganze Zerrissenheit Zweigs zu zeigen. Er kommt aus dem liberalen jüdischen Bürgertum. In welches Lager hätte er sich denn einordnen sollen? Bei der Sozialdemokratie hatte er einen großen Freundeskreis, die waren aber auch durch die Bank deutschnational und vom Anschlussgedanken beseelt. Bei den Christlichsozialen konnte er jedenfalls nicht sein.

»kunstfehler«: Welche Rolle spielte Zweigs jüdische Herkunft?

Gert Kerschbaumer: Zweig war ein Liberaler. Für Liberale, gleich welcher Religion auch immer, ist Kirche und Glauben aber immer Privatsache. Bestimmt ist er nicht in einer kleinbürgerlichen Gemeinde wie Salzburg in die Synagoge gegangen, wahrscheinlich aber auch nicht in Wien.

»kunstfehler«: Welche Erkenntnisse zeitigte deine Arbeit?

Gert Kerschbaumer: Diese blinden Flecken, die mich ursprünglich so gereizt haben, sind der Zweig-Forschung offenbar bekannt gewesen. So etwa auch im Fall der Aberkennung seines Doktorates. Diese Geschichte fehlte aber in den großen Zweig-Biografien. Ich habe dann ein Dokument gefunden, in dem grundsätzlich zu lesen ist, dass Ausgebürgerten oder verurteilten Widerstandskämpfern alle bürgerlichen Rechte und erworbenen Würden aberkannt werden. Erst mit der im Jahr 2002 durch meine Recherchen aufgetauchten Liste ist das aufgefallen. Die Republik Österreich hat es 1945 versäumt das geschehene Unrecht für null und nichtig zu erklären. Das geraubte Vermögen ist auch nicht automatisch zurückgegeben worden. Man hätte nämlich einen Antrag stellen müssen, aber wenn kein Erbe vorhanden ist, fällt das Vermögen an den Staat. Vor allem jüdische Intellektuelle waren davon betroffen.

»kunstfehler«: Wie reagierte die Forschergemeinde auf deine Erkenntnisse?

Gert Kerschbaumer: Also dieses Dokument war allen zugänglich. Dass dort auch der Name Zweig auftaucht, hat mich stutzig gemacht. Offensichtlich besteht bei Forschern ein Glaube an dieses Land, den ich mir nur aus einem anerzogenen Normalitätsblick erklären kann: Was heute normal ist, gilt auch für vergangene Zeiten. Diesen Normalitätsblick muss man als Autor oder Wissenschafter aber ablegen.

»kunstfehler«: Kann man dies von Intellektuellen nicht ohnedies erwarten, da es zu ihrer Profession gehören sollte?

Gert Kerschbaumer: Unter den Intellektuellen gibt es in erster Linie das Bedürfnis nach Karriere – und nicht danach sich mit dem Staat anzulegen. Anfeindungen von alten Nazis sind ja heutzutage selten. Von wenigen Ausnahmen abgesehen hatte ich überhaupt nie Probleme von dieser Seite. Die Probleme machen dann unsere Institutionen.

»kunstfehler«: Wie war das im konkreten Fall?

Gert Kerschbaumer: Also hier muss man differenzieren. Das Rektorat der Wiener Universität hat sehr gut auf meine Recherchen reagiert. Ich bin eingeladen worden und dort habe ich gesagt, dass es meines Erachtens falsch ist, Zweig das Doktorat wieder zuzuerkennen, weil ja die Aberkennung als solche damit anerkannt wird. Der einzig richtige Weg ist, wenn das geschehene Unrecht für null und nichtig erklärt wird. Dies ist dann auch passiert und das ist schon ein Meilenstein in Österreich. Das gilt ja für alle – auch für neue Namen, falls welche auftauchen sollten. So hätte man auch beim Vermögensraub verfahren sollen. Dann gäbe es heute nicht diese Konflikte.

Also von Seiten des Rektorats war ich keinen Anfeindungen ausgesetzt. Es ging nur um ein paar Neider, die meinten die ganze Sache sei eigentlich die ihre. Mit Neid, Verleumdung und Intrigen muss man von vornherein rechnen und damit umgehen lernen.

»kunstfehler«: Handelte es sich bei dieser Doktoratsgeschichte um grundlegend neue Erkenntnisse?

Gert Kerschbaumer: Wenn man ein bisschen nachliest und misstrauisch an die Sache herangeht, ist das mit der Aberkennung der bürgerlichen Rechte und der wohl erworbenen Würden in Historikerkreisen allgemein bekannt. Noch ein Satz zu diesem ursprünglichen Plan der Rückgabe des Doktortitels: In diesem Zusammenhang finde ich das Wort „Wiederverleihung“ ohnedies falsch. Oder ist die Universität etwa ein Faschingskostümverleih?!

»kunstfehler«: Wie reagierte die Öffentlichkeit?

Gert Kerschbaumer: Die Medien haben kaum berichtet. Die SN hat nur geschrieben, dass Stefan Zweig seine Doktorwürden wieder zurückbekommen hat. Mein Name blieb unerwähnt, nicht dass ich mich brüsten wollte damit – aber sie haben schon sehr genau gewusst, wer das initiiert hat. Letztlich war ich aber sehr froh, dass ich in diesem Bericht nicht angeführt wurde: Bei der Auflistung der Namen der Personen, die das Doktorat zurückbekommen haben, sind der SN peinliche Fehler passiert. Aus Bruno Bettelheim haben sie etwa Bruno Bettelmann – oder so ähnlich – gemacht.

»kunstfehler«: Wie wird das Zweig-Buch rezipiert?

Gert Kerschbaumer: Über die Rezeption im Ausland kann ich mich nicht beschweren. Es gab Besprechungen in der „Neuen Zürcher Zeitung“, der „Süddeutschen“ und „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ sowie in der „Welt“. Die schönste Rezension erschien aber in Österreich, nämlich im „Mostviertler Basar“.

»kunstfehler«: Und wie schaut die Rezeption in der Forschergemeinde aus?

Gert Kerschbaumer: In Österreich herrscht meist Schweigen im Walde. Positive Reaktionen kommen vom Ausland. Auf Grund meines Buches erhielt ich eine Einladung nach Jerusalem, wo ich im Juni am Stefan Zweig-Kongress teilgenommen habe.

»kunstfehler«: Beim Lesen des Buches stach mir mitunter eine Parallele zwischen Zweig und Dir ins Auge: zwei Einzelkämpfer, die auf Selbstständigkeit großen Wert legen. Stimmst Du dieser Einschätzung zu?

Gert Kerschbaumer: Ich bin überzeugt, Zweig würde bei keinem Verein sein, und ich bin auch nirgends dabei. Aber ansonsten meine ich, dass man sich schon die richtigen Koalitionen suchen muss. Ich glaube nicht, dass man allein irgendeine Erfolg versprechende Aktion starten kann. Das mit dem Doktortitel war etwas anderes, das funktioniert auf der persönlichen Ebene.

»kunstfehler«: Dein Hauptforschungsfeld ist ja die Salzburger Zeitgeschichte – vor und nach dem Dritten Reich sowie die Nazidiktatur selbst. Wann und wie begann diese Aufklärungsarbeit?

Gert Kerschbaumer: In den 80ern habe ich auf der Germanistik unterrichtet und war dort eingeladen über die NS-Zeit sowie die Exilliteratur zu arbeiten. Aus dieser Beschäftigung ist dann eine Debatte über Straßennamen entstanden. Es gab so 20 Straßen und Plätze, die nach belasteten Personen benannt waren – diese Benennung geschah übrigens nicht in der Nazizeit, sondern zwischen 1960 und 1980! Jetzt sind wir bei der vorigen Frage mit den Koalitionen: Als Einzelner konnte ich nichts bewirken, deshalb habe ich mich mit der Salzburger Autorengruppe in Verbindung gesetzt. Wir haben eine Resolution verfasst, die von namhaften Autoren unterzeichnet wurde und es fand eine Veranstaltung statt, bei der Erich Fried aufgetreten ist.

»kunstfehler«: Wann war das ?

Gert Kerschbaumer: 1987. Ein Jahr später starb Fried. Interessant ist, dass nach diesem in Österreich sehr umstrittenen Autor bereits 1989 ein Weg benannt worden ist. Auch das war natürlich umstritten.

Zurück zur Diskussion um die Straßennamen. Unsere Aktivitäten lösten eine ziemlich wüste Diskussion aus. Es wurde uns Bildersturm unterstellt und die Politiker meinten, dass Antisemitismus – den wir an Hand von unzähligen Zitaten bei den verschiedenen Straßennamensgebern belegen konnten – kein ausreichender Grund für die Umbenennung der Plätze sei. Bis in die späten 70er galt Antisemitismus als ein natürlich gegebener Zustand. Letztlich gab es eine einzige Umbenennung, sonst blieb alles beim Alten. Später gab es eine weitere Initiative, nämlich vom Antifaschistischen Personenkomitee.

»kunstfehler«: Wer waren denn

eure „Gegner“?

Gert Kerschbaumer: Die beiden großen Parteien haben sich für Umbenennungen nicht erwärmen können. Befürworter gab es nur auf Seiten der Bürgerliste.

»kunstfehler«: Obwohl damals noch viele sozialistische Widerstandskämpfer gelebt haben?

Gert Kerschbaumer: In der SPÖ gibt es einen rechten Flügel, der alles auf die lange Bank schiebt. Das beginnt schon 1946, als der erste Antrag gestellt worden ist, ein zentrales Mahnmal zu errichten. Der Rudolfsplatz sollte in Befreiungsplatz umbenannt und dort ein Antifa-Mahnmal errichtet werden. Daraus wurde aber nichts. Obwohl der damalige Bürgermeister Anton Neumayr selbst von den Nazis verfolgt worden war und im KZ saß, wurden in seiner sechsjährigen Amtszeit gerade einmal drei Wege, besser gesagt Einbahnen, umbenannt.

»kunstfehler«: Wie erklärt sich solch ein Verhalten?

Gert Kerschbaumer: Nach der Befreiung 1945 haben die revolutionären Sozialisten natürlich an die ermordeten oder inhaftierten Widerstandskämpfer gedacht. Bald setzten sich in der SPÖ aber die Pragmatiker durch, die eine neue Art von Versöhnungspolitik mit dem ehemaligen Gegner, den Christlichsozialen – also der heutigen ÖVP, bevorzugten. Der wirkliche Wendepunkt ist das Jahr 1948, als der gemeinsame Verband der KZ-Opfer, diese Koalition der Lagerstraße, zerschlagen wurde und es keine gemeinsamen Veranstaltungen von Sozialisten und Kommunisten mehr gab.

Eine Aktionseinheit zwischen Juden und Nichtjuden hat es im Übrigen ohnehin nie gegeben.

»kunstfehler«: Danke für das Gespräch.