august-september 2004

Markus Grüner
zu gast

Wladimir Kaminers Russendisko

Botschafter des Ostens

Im Rahmen des stART-Festivals war der russisch-deutsche Autor Wladimir Kaminer mit seiner Russendisko zu Gast. Erst las Kaminer im übervollen Saal der ARGEkultur neue Texte und Geschichten, dann praktizierten er und DJ Yuriy Ghurzy die „Überflutung der westlichen Welt mit russischem Punk-Rock“.

Dieses Konzept ist seit Jahren speziell in Kaminers Wohnort Berlin höchst erfolgreich. Der sympathische Russe trifft mit seinem Programm der anarchistischen Musik mit humorvollen Geschichten die Sehnsucht nach Skurrilem und Echtem. Und der Osten ist musikalisch gesehen bei uns noch immer eine große Unbekannte.

„Der Witz ist, dass ich ein Land verlassen habe, kurz bevor es aufgehört hat zu existieren, um dann in ein Land zu kommen, das dann plötzlich auch ein ganz anderes wurde“, meint Wladimir Kaminer. „Aus der Sowjetunion in die DDR. Die Geschichte zeigt, dass sie oft schneller ist als die Politik. Die Russendisko hat eine gewisse Verantwortung, diesen politischen Rückstand aufzuholen.“

Inzwischen versteht er sich aber auch als Botschafter vieler osteuropäischer Staaten. So wurde auf Kaminers Label „Russendisko Records“ kürzlich ein Sampler mit dem Titel „No – Europe“ veröffentlicht. Damit will er gegen den Hype der neuen EU-Beitrittsländer protestieren.

„Wir wollten eine Platte über die Länder machen, die sehr gerne in die EU gewollt hätten, die man aber nicht reingelassen hat. Wer ist dann reingekommen in diese EU? Das waren doch alles Streber. Zum Beispiel Slowenien: Die hatten es schon immer besser im Vergleich zu anderen Ländern in Jugoslawien, und jetzt durften sie auch noch in die EU. Aber die Musik der Nicht-Beitrittsländer ist viel besser: Kroatien, Ukraine oder Bulgarien, dort gibt es viel bessere Musik.“

Kaminers Bücher verkaufen sich in den letzten Jahren blendend. Die Qualität der Kurzgeschichten steigert sich durch das Live-Erlebnis, Kaminer liest mit russischem Akzent und improvisiert gekonnt. Ein Autor, der sich gerne zwischen Kafka und Konsalik sieht.

„Ich halte Kafka für einen sehr lustigen Autor, mit einem traurigen Schicksal. Konsalik ist auf seine Weise auch sehr lustig. Und meine Bücher stehen im K-Regal, also zwischen Kafka und Konsalik, da passt es gut, dass ich auch Humorist bin. Hinter diesen Geschichten sind aber immer tragische Figuren, insofern muss man die Aussage, ich sei ein Humorist, als Witz verstehen.“

Pläne zur Verfilmung der Russendisko gibt es auch schon, aber Kaminer ist pessimistisch. „Theater und Film sind so kompliziert und immer von staatlicher Unterstützung abhängig. Und alles, was der Staat anfasst, verwandelt sich in schlechtes Zeug.“

Markus Grüner