Vorauseilender Gehorsam
Nachwehen einer ORF-Zensuraktion
Zwischen der Kulturabteilung des Landes Salzburg und dem ORF hängt der Haussegen schief. Und das ganz gehörig. Anlass ist jene Dokumentation über das Leben der mittlerweile 99-jährigen Halleiner Widerstandskämpferin Agnes Primocic, die vom ORF im Mai zwar ausgestrahlt, aber um eine entscheidende Sequenz verkürzt worden war.
Wie vom »kunstfehler« berichtet fehlte jener zweiminütige Einstieg, in welchem der ehemalige Halleiner FPÖ-Gemeinderat Gerhard Cirlea 2001 behauptete, in Hallein habe es während des Nationalsozialismus nie ein Konzentrationslager gegeben. Tatsächlich aber hatte Primocic im Jahr 1945 Häftlingen aus eben diesem Lager zur Flucht verholfen. In einem Mail an den Produzenten Robert Angst begründete die zuständige Redakteurin des ORF, Helene Maimann, den Eingriff: Man habe eine zu erwartende Beschwerde der FPÖ nicht provozieren wollen.
In einem Brief an Helene Maimann verlangte daraufhin Silvester Schröger, zuständig für die Abteilung Film in der Landeskulturabteilung, eine „rasche und rechtlich nachvollziehbare Aufklärung“ des Falles. Die Antwort kam Anfang Juni – allerdings nicht von Maimann, sondern von ORF-Informationsdirektor Gerhard Draxler höchstpersönlich. In diesem dem »kunstfehler« vorliegenden Schreiben weist der ORF den Vorwurf der Zensur „auf das Entschiedenste zurück“. Der Film erwähne nicht, dass die Aussage Cirleas bereits drei Jahre zurückliege und dieser mittlerweile aus der Partei ausgetreten sei. Es widerspreche den journalistischen Grundregeln eine „weit überholte Information aus dem Jahre 2001“ unkommentiert stehen zu lassen. Eine Aktualisierung sei jedoch „auf Grund des Filmschnittes nicht mehr möglich gewesen“, schreibt Draxler.
„Ich war verwundert, dass eine mündige Redakteurin nicht in der Lage ist, auf ein Schreiben persönlich zu antworten“, formuliert Schröger seine erste Reaktion. „Die Entfernung der Schlüsselszene verletzt eindeutig den Urheberschutz. Auf diesen Kern des Problems ist der ORF in seinem Schreiben aber nicht eingegangen.“ Der ORF habe einen Kulturauftrag zu erfüllen und mit Filmkunst respektvoll umzugehen. „Künstler ohne Rückenstärkung haben allerdings keine Chance, gegen eine solch übermächtige Organisation, die noch dazu von der Allgemeinheit getragen wird“, wettert Schröger.
Der Beweis: „Der ORF hat sich inzwischen wieder davon distanziert, den Film in Originallänge wie geplant im August 2004 ausstrahlen zu wollen.“
Das Antwortschreiben der Salzburger Landesregierung an die ORF-Spitze dürfte deftig ausfallen.
-vicky/tom-