august-september 2004

gelesen

Bücher

Andrew Phelps

Nature De Luxe

Salzburg 2004,

Verlag Anton Pustet

Wenn einer eine Reise tut, dann hat er etwas zu erzählen – oder wie in diesem Fall: etwas zu fotografieren. Der im Grand Canyon-Bundesstaat Arizona, also im Südwesten der USA geborene und seit 1989 in Salzburg arbeitende Künstler Andrew Phelps ist ein genauer Beobachter menschlichen Treibens. In seinem Langzeitprojekt „Nature De Luxe“ beschäftigt er sich mit einer besonderen Form der Freizeitgestaltung: dem Camping als mobile Architektur und Lebensform. In 107 Fotografien, aufgenommen in Österreich, Slowenien, Kroatien, Tschechien und Italien zeigt Phelps die Spuren, die der Homo Sapiens dank seiner Rituale des alltäglichen Ferienwahnsinns in der Natur hinterlässt. Nach 1945 entsteht mit der sich entwickelnden „westlichen Wohlstandsgesellschaft“ auch eine neue Art des Reisens. Statt der altmodischen „klassischen“ Sommerfrische, der großbürgerliche Blasiertheit anhaftet, begeben sich Menschen aus unterschiedlichen sozialen Schichten mit ihren Motorrollern und Autos auf (mehr oder weniger) große Fahrt. Im Gepäck haben diese Naturfreunde ein Zelt: der Mensch braucht schließlich ein Dach über dem Kopf. Ab den 60er Jahren schützt statt der Zeltplane immer öfter ein richtiges Haus auf Rädern – der Wohnwagen. Oder dessen hoch perfektionierte Variante, das Wohnmobil. Selten genug erfährt der nomadisierende Mensch die Natur, die er als Ort der Erholung vom Mörderstress des modernen Arbeitslebens ja sucht, in unmittelbarer Form: durch Wanderung oder Radtour. Stattdessen errichten sich die Urlauber beim Camping meist ein (beinahe) identisches Spiegelbild ihres Lebens zuhause. Mit all den Zäunen, Absperrungen, Gartenzwergen, kitschigen Vorgärten und dem treudeutschen Schäferhund als Aufpasser an der Kette. Es sind aber nicht allein diese Absurditäten, die dem Camping einen dezidiert kleinbürgerlichen Geruch verleihen – und die Phelps mit seinen sorgfältig komponierten Bildern sowie der Architekturkritiker Oliver Elser in seinem Begleittext sichtbar machen. Der Mensch als Gewohnheitstier und als ein Wesen der Paradoxien?! Die zentrale Frage, die sich beim Betrachten des Buches stellt, lautet: Kann denn Camping Freiheit sein?! Doc Holliday

Gerhard Pilgram/Wilhelm Berger/Gerhard Maurer

Slowenien entgegen. Zu Fuß von

Klagenfurt nach Ljubljana

Klagenfurt 2004, Drava/Unikum

Mit dem Reisen kann man seine liebe Müh und Not haben. Einerseits führt der Mobilitätswahnsinn leicht zum kompletten Stillstand – einfach weil in den Birnen zu vieler Mitmenschen ähnliche Ideen vom Urlaub auf Rädern herumgeistern: das nennt sich dann Stau. Andererseits bleibt in der All-Inclusive-Bequemlichkeit meist die Auseinandersetzung mit „fremden“ Kulturen und Menschen auf der Strecke. In Klagenfurt arbeiten einige Widerborste an einem ganz anderen Konzept, bei dem eine dem Menschen angemessene Form des Reisens propagiert wird. Der Kulturmanager, bildende Künstler und Autor Gerhard Pilgram bereist seine Kärntner Heimat sowie die angrenzenden Regionen (Slowenien, Friaul) bevorzugt auf Schusters Rappen. Bereits in „Kärnten. Unten durch“ arbeitete der geübte Wandersmann mit dem Sozialwissenschafter und Philosophen Wilhelm Berger sowie dem Fotografen Gerhard Maurer zusammen. Im neuesten dieser ungewöhnlichen Reiseführer beschreiben sie eine neuntägige Wanderung von Klagenfurt/Celovec bis in die slowenische Hauptstadt Ljubljana. Zu allen neun Teiletappen werden die wichtigsten Fakten (etwa Länge, Gehzeit, Schwierigkeitsgrad, An- und Abstiege, Einkehr und anderes mehr) in einer Übersicht aufgelistet. In den dazugehörigen Haupttexten schildern die Autoren die oft nur spärlich markierten Wege sowie – genau wie in ihren früheren Wan-derführern – kenntnisreich und lebendig die kunst- und zeitgeschichtlichen Themen, die quasi am Wegesrand liegen. Bereits an der Grenze zwischen Kärnten und Slowenien, dem Loibl-Pass, führt dies in die dunkle Zeit der Naziterrorherrschaft. Noch heute verdrängen nicht nur die unbelehrbaren Heimatdienstler und „Abwehrkämpfer“ die Gräuel, die an den slawischen „Untermenschen“ verübt wurden.

Slowenien mag inzwischen in der EU gelandet sein, die Vielfalt an Landschaften, Menschen und kulturellen Phänomenen (sehr spannend etwa die Geschichte des volkstümlichen Musikanten Slavko Avsenik und seinen „Original Oberkrainern“) bleibt hierzulande unbekannt. Dagegen setzen die Autoren ihre wachen Augen und Ohren, mit denen sie sich ein durchaus kritisches und distanziertes Bild von Land und Leuten gemacht haben. Wer sich auf die Fußreise – davor natürlich auf diesen Reiseführer – einlässt, der wird auch tatsächlich Slowenien ein gutes Stück weit näher kommen.

Doc Holliday

Robert Gordon

Muddy Waters. Der Pate

des Electric Blues

Hannibal 2004

Schwarze Musik und weiße Hörer, das wusste vor Jahren schon Günther Jacob bezüglich Hip-Hop, ist eine mitunter fatale Kombination, bei der (gut gemeintes) Fantum nicht selten vor rassistischen ergo rassifizierenden Backgrounds praktiziert wird. Besonders der Blues hat da als „Master-Fetisch des Authentizismus der Rock-Musik“ (Diedrich Diederichsen) so einiges abbekommen. Eignet er sich doch mit seinem Mythos einer aus Armut, Verzweiflung und Unterdrückung qua enormen Leidendruck geschaffener Musik auch hervorragend dafür (weiße) Konzepte monolithischer Genieschaffe aus dem leeren Bach heraus als ideologisch konstruierte de-facto-Rock-History zu betonieren. Zwar sagen so unterschiedliche afro-amerikanische/ schwarze Theoretiker wie LeRoi Jones, Nelson George, Henry Lewis Gates, Jr., Paul Gilroy, Kodwo Eshun oder Darius James das genaue Gegenteil davon („schwarze“ Musik gibt es nur als weißen Mythos, es gibt keinen „Ursprung“, sondern eine „Black Diaspora“, der„Signifying Monkey“ als Art Wort-im-Munde-Umdreher lässt kein mit sich identisch sein zu, und überhaupt würde die Rede vom „echten Blues“ die Schwarzen immer wieder auf die Baumwollfelder zurückbeamen, sie also am liebsten wieder zu „Nergern“ machen wollen, weil nur Leidende jenen Blues haben können, den mittelständische Bleichgesichter so gerne auf ihren Stereo-Anlagen hören wollen). Aber davon ist leider bei Robert Gordon nichts zu lesen. Stattdessen geht es um Leute mit ähnlich problematischen Einstellungen zum Blues wie Eric Clapton, Rolling Stones, Led Zeppelin. Dafür kommt das Muddy-Waters-Voodoo-Kind Hendrix nur am Rande vor, und auch des 1968er„Electric Mud“-Wah/Fuzz-Gitarristen Pete Coseys spätere Karriere bei Miles Davis bleibt nicht weiter verfolgt. Von wegen Crossroads. Zwar bereicherte Gordon die Muddy-Waters-Forschung um unzählige Daten und Fakten, nur fragt man sich bald, wieso? Wie für die Rolling Stones ist auch für Gordon der im Jänner 1954 erstmals eingespielte „Hoochie Coochie Man“ ein vor allem auf sexuelle Potenz anspielender Knaller (keine Rede davon, dass zu einer Zeit als alle Schwarzen noch mit „Boy“ angeredet wurden, die Verwendung von „Man“ auch ein politisches Zeichen war, was aber auch schon beim exzellenten Hendrix-Biographen Charles Shaar Murray nachzulesen war). Daneben verzettelt er sich auch noch in Unwichtigkeiten wie Gitarrensaitenstärken und Waters zugeschriebenen Sexualpraktiken, was mehr als nervt. Schade eigentlich, aber gegen das hier praktizierte Denken wurde einst Free-Jazz, Funk, Hip-Hop, Detroit-Techno und Deep-House erfunden.

Didi Neidhart