august-september 2004

Didi Neidhart

Aus dem Sack: Mozart 2006

Oder: Wo geht’s hier in die Zukunft?

In seinem Buch „Von Bach zu Mozart“ geht der französische Regisseur Eric Rohmer der Theorie nach, dass Mozart eine „kopernikanische Wende“ innerhalb der abendländischen Musik vollzog, indem er – im Gegensatz zu Bach – das „Zeitalter der Diskontinuität“ einläutete. Bei Mozart bilden die Instrumente keinen geschlossenen sakralen Raum mehr (wie noch bei Bach), sondern sie (und damit auch die Melodien – heute würde man die Rhythmen, die Sounds/Klänge, die Intensitäten hinzufügen) bearbeiten einander, analysieren sich gegenseitig, kommunizieren mit sich und schaffen so eigene autonome sonische Räume entlang der drei Grundparameter Zeitlichkeit (bei Bach als „Ewigkeit“ noch eine fixe Größe), Selbstständigkeit (statt um Gott geht es bei Mozart nun um die Musik als Thema der Musik) sowie Mehrdeutigkeit des musikalischen Materials hin zu einer kristallin-polyvoken Multiperspektivität, die schließlich auch den Akt des Hörens aus seinem vermeintlichen Status des Passiven befreite und somit auch einem neuen (aufgeklärten, vernunftgeleiteten – Mozart war ja auch Freimaurer) Subjektbegriff verpflichtet war und ihn qua Musik zur diskursiven Disposition stellte.

Soweit, so avanciert, so gut. Nur, was hat das alles mit dem bekanntlich doch eher barock-klerikalen Salzburg und dem Mozartjahr 2006 zu tun, dessen Ansinnen ja immerhin die Suche nach „Mozarts Spuren in die Zukunft“ ist? Hört man sich nur etwas jenseits des Mainstreams (auch jenes der „offenen Szene“) um, dann lautet die Antwort/Befürchtung klipp und klar: Nichts! Jedoch weniger, weil die ÖVP darauf pfeift („Die Kulturleute sind nicht unsere Wähler.“) und die SPÖ zwar kräftig Hände schüttelt (besonders wenn Mozartkugeln zu kunstelektronischen Linzer Torten umgemodelt werden sollen), im Endeffekt dann aber den Rotstift immer zuerst kräftig bei der Kunst, der Kultur und den Sozialleistungen/Sozialeinrichtungen zückt.

Die gedämpften Erwartungshaltungen und das nur mühselig gelingen wollende Zurückhalten vorauseilender Polemiken haben ihre Gründe jedoch auch innerhalb der „offenen Szenen“ der Mozartstadt. Was mittlerweile selbst im Ausland als unvermitteltes „Was geht denn bei euch ab?“ in Gesprächen mit Kunst- und Kulturschaffenden mitunter zur Tagesordnung gehört. Dabei soll auch nicht verschwiegen werden, dass die Redenwendung „es salzburgelt“ als Synonym für Unprofessionalität, Leidenschaftslosigkeit und dem stets Jahre zu spät erfolgten, aber dafür umso hartnäckiger betriebenen Aufspringen auf längst abgefahrenen/überholten (Avantgarde-)Zügen immer noch im aktiven Sprachgebrauch so mancher Acts (hauptsächlich aus Österreich) zu finden ist.

Klar klingt so etwas in den Ohren der an der Salzach Agierenden böse und nicht selten wird dann gleich die Neidkeule geschwungen. Aber neidig worauf? Auf eine Lokalpresse, die noch 2004 Hubert von Goisern als de facto sound- und groovetechnischen Ahnherr von Attwenger beschreibt und sich ein DJ „mit Klängen spielt“, auch wenn er in der „Russendisko“ im Prinzip nichts anderes macht als ein DJ in einer Schlagerdisko „für Leute mit Matura“ (Der Standard)? Auf Provinzpossen die im besten Fall unter gut gemeint abzuhaken, im schlimmsten Fall peinlich, platt und schlecht kopiert sind, jedoch immer noch jeder (vorzugsweise mit fremden Federn geschmückten) Ich-AG Distinktionsgewinne und Selbstprofilierungen qua Dampfplaudereien in Politikerohren bringen? Eben!

Warum sollte sich ausgerechnet 2006 daran etwas ändern? Gut, es gibt das mit geschmäcklerisch blödem New Economy-Namen versehene Musik-Avantgarde-Festival „Kontra.com“, das sich auch an die Zielgruppen von bei aller Sympathie ebenso jeweils im Überextrem „salzburgelnden“ Veranstaltungen wie Expanding Realities, Focus On, Elektronik-Land, Basic-Festival richtet. Nur um dann gleich bei der Themenstellung zu scheitern, indem aus der postmodernen Mottenkiste die uralten ars-electronica/steirischer-herbst-Themen „Mensch und Maschine“ und „Der Künstler als Nomade“ hervorgezaubert werden. Fehlt nur noch Peter Weibel! Aber „Kontra.com“ könnte ganz einfach auch „nur“ am Zeitfaktor scheitern. Denn bei einer Ausschreibung ab Herbst 2004 für ein ab Frühsommer 2006 geplantes Festivals schüttelt eigentlich jeder Kenner der Materie nur mit dem Kopf. Qualität ist so nicht zu holen und vor allem droht das Naheliegendste (also alle, die schon mal da waren, oder eh schon in diversen Adressendateien sind). Daher gibt es jetzt auch schon erste Wetten, wer von den weltweit üblichen Verdächtigen in Salzburg 2006 sein/ihr Programm abspulen wird.

Momentan führt der omnipräsente Schallplattenkunsthandwerker DJ Spooky mit einem „Mozart Remixed“-Abend. Auch eine Art Peter Weibel aus sehr viel heißer Luft.

Unser Vorschlag: Warum nicht gleich Mörbisch als Art „Artists in Residence“ für 2006 nach Salzburg einladen – das ist auch lustig, bunt und irgendwie auch ehrlicher im Ansinnen! Denn worum geht es bei zehn Diskussionsforen zwischen Februar und Dezember 2006? Erraten! Um „Sustainable Mozart – Kultur und Nachhaltigkeit“. Und da klingt die Aussage „Wir wollen die Ergebnisse und Impulse des Mozart-Jahres mitnehmen und in der Zukunft weiter entwickeln“ (Bürgermeister Heinz Schaden) fast schon wie eine Drohung.