august-september 2004

Wiglaf Droste

Sondermann im Erdbeerhimmel

In der Nacht zum 6. Juli starb der große Zeichner und Maler Bernd Pfarr in einem Kölner Krankenhaus. Er wurde nur 45 Jahre alt. Seine Bilder gehören zum Besten, das die komischen Künste hervorgebracht haben.

1958 geboren, studierte Bernd Pfarr an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach, zeichnete für Fanzines wie „Hinz & Kunz“ und „Mark & Bein“, kam später zu „Titanic“ und „Kowalski“ und fand ein zahlenmäßig großes Publikum beim „Zeit magazin“ und beim „Magazin“ des Zürcher „Tages-Anzeigers“. Richtig berühmt wurde er durch seine Figur Sondermann, einen scheinbar matten und durchschittlichen Büromenschen, der dem Leben jedoch mit größtmöglicher Originalität begegnet. Seinem Sondermann stellte Pfarr nicht minder faszinierende Figuren wie den explosiomanen „TNT-Schulze“ oder das mit einem gewaltigen Glied ausgestattete „Negerradio“ zur Seite. Der Dialog zwischen Sondermann und Negerradio, „Negerradio, ich liebe dich!“ – „Weiche von mir, schwuler Fußball!“, ist bis heute so legendär wie die von Bernd Pfarr erfundene Tätigkeit „Negerschrubben“, die es in einer seiner Zeichnungen sogar zur Olympischen Disziplin brachte und die Pfarr ein paar ebenso wohlfeile wie stockdumme „Rassismus!“-Anwürfe eintrugen.

Schon Ende der achtziger Jahre kam der Krebs, der ihn das letzte Drittel seines Lebens nicht mehr verließ. Bernd Pfarr hatte eine beeindruckende Art, die ständige Drohung des Todes zu verarbeiten. Eins seiner Bilder zeigt einen Sensenmann, der eine Reklametafel mit der Aufschrift trägt: „Kommt der Schnitter, wird es bitter! – Lieber vorher zu Dr. Höfner Metzstr. 6.“

Mit Gott stand der nichtgläubische Pfarr auf bestem Fuße; er malte ihn als älteren kauzigen Herrn mit weißem Bart, der sich an einem kleinen Mäuerchen freut, „welches Ihm bei der Erschaffung der Welt von allem wohl am besten gelungen war“, oder der sich, einen Karren TNT hinter sich her ziehend, soeben „bei Dynamit-Müller mit den nötigen Utensilien für den Weltuntergang versorgt“ hat. Christen, also Leute, die zu Gott ein eher zwanghaftes Verhältnis haben, fanden diese liebevollen, komischen Blätter gar nicht lustig; als Pfarr auf einem im „Zeit magazin“ veröffentlichten Blatt Gott mit einem Taxifahrer eher sehr niedlich über den Fahrpreis streiten ließ, kamen die erwartbaren Leserbeschwerden über „Pietätlosigkeit“ und all das, was der Christ so braucht, um auf Touren zu kommen.

Bernd Pfarrs Bilder hauchen dem Alltag traumhaftes Leben ein und gewinnen ihm die entzückendsten Überraschungen ab. Brandgefährlich ist ein Sofa mit Treibsandfüllung; Herbert, die graue Restmülltonne, muss eine mülltrennende Dame mit vorgehaltener Waffe dazu zwingen, ihn gefälligst mit lecker Altglas, Plastikbechern und Altpapier zu füttern. Auch die Tiere sehen sich oft zu höchst ungewöhnlichen Maßnahmen gezwungen: Der Dinosaurier Hektor geht mit einem Protestschild auf die Straße, um sich zu beschweren: „Mein Zoowärter stinkt!“ Der Yeti sucht sein Heil ebenfalls in der Öffentlichkeit. Auf dem Transparent, das er durch die Berge trägt, lesen wir: „Abscheulicher Schneemensch sucht Arbeitsstelle“.

Bernd Pfarr hat sich ein eigenes Genre geschaffen, ein eigenes Reich, das der gemalten Literatur. Mit einem Bild und einer kurzen Legende in Prosa erzählt er ganze Lebensgeschichten. Bevölkert sind die Bilder von reizend seltsamen, eigenartigen Geschöpfen: Heinz Schindel mit seiner Fliegenklatsche, der einen ermüdeten Rasputin an der Bushaltestelle erwischt, ein Pistazien essender Gernot ohne Nachnamen, der nicht bemerkt, „daß die Ameisen wieder heimlich mit Boston telefonieren“, Odysseus, der dem geblendeten Zyklopen über die Straße hilft, der Bär Bruno, der Großwildjägern so gern Saures gäbe, die Antilope Kurt beim Fußballspiel mit einem alten Löwen, der Wachhund, der Einbrechern ihre Beute beim Kartenspiel wieder abnimmt.

In Pfarrs Bildern walten eine innige Sorgfalt und Liebe, wie sie in der wirklichen Wirklichkeit, im so genannten richtigen Leben, oft so gar nicht vorhanden sind. Welcher Aufwand für jede Zeichnung, jedes Bild! Und seine Farben: zum Niederknien und Sich-Hineinwerfen. Allein schon als Kolorist war Bernd Pfarr ein Meister. Ende Februar 2004, nach der Eröffnung seiner großen Ausstellung im Wilhelm-Busch-Museum Hannover, gewann ich eine sehr genaue Vorstellung vom Paradies: das von Ramsch, Dummheit, Plunder und Spam-Personen dominierte Diesseits eintauschen gegen ein Leben in den Bildern von Bernd Pfarr.

Der Tod macht traurig, und er macht sentimental. Von nicht wenigen weiß ich, die wünschen, Bernd Pfarr werde ab nun im Zeichnerhimmel weiterleben. Ich hoffe aber, dass wir ohne falschen Trost auskommen können; Bernd Pfarr selbst hat uns mit seinen Bildern so oft wahrhaftig getröstet. Und einen Himmel gemalt, wie es einen schöneren nicht geben kann, einen leuchtenden, erdbeerfarbenen Himmel.