mai 2004

Martin Wassermair

Ausweitung der Interventionszone

IG Kultur Österreich vergibt Förderpreis zur Politischen Kulturarbeit

„Nostalgische Erinnerung an nächtelange Demokratiediskurse, Chiffre für den Rückzug in sozio-kulturelle Nischen, oder noch immer wesentlicher Antrieb für gesellschaftliche Veränderung? Wofür steht der Begriff der Politischen Kulturarbeit heute?“ – Fragen, die die IG Kultur Österreich seit einem Jahr stärker als zuvor bewegen.

Die Dachorganisation der österreichischen Kulturinitiativen hat es sich in diesem Zeitraum zum Ziel gesetzt, das Verständnis einer politischen Ausrichtung von Kulturarbeit noch mehr ins Blickfeld der Öffentlichkeit zu rücken. Die Überlegung resultiert aus zahlreichen Debatten über Solidarität und Netzwerkbildung und fußt zugleich auf der Einsicht, dass die globalen Entwicklungen in der Sozial- und Wirtschaftspolitik auch im kulturellen Feld Verschiebungen in der Positionierung und Organisationsform nach sich ziehen werden. Neoliberale Gesellschaftsmodelle, die Erosion der sozialen Systeme sowie der rasante Vormarsch neuer Kommunikationstechnologien bringen Herausforderungen mit sich, die mehr denn je auch auf Initiativen außerhalb der Hoch- und Repräsentationskultur zukommen.

Parallel dazu ist zu konstatieren, dass viele engagierte Projekte – mitunter selbst konstitutiv für Öffentlichkeiten – zu wenig öffentliche Aufmerksamkeit finden. Der Quotendruck einer am Mainstream angelehnten Medienrealität bietet kaum Platz für eine Widerspiegelung der zahlreichen Erprobungsformen einer sozio-kulturellen, oft aber auch nonkonformen Partizipation an der Gesellschaft.

Aus diesem Grunde hat die IG Kultur Österreich einen Förderpreis ausgeschrieben, der am 9. Mai an jene Kulturinitiativen und Projektgruppen vergeben werden soll, die exemplarisch für eine verstärkte Politisierung der Kulturarbeit stehen. Der inhaltliche Rahmen orientiert sich an drei Schwerpunktsetzungen.

Vorweg steht der Anspruch nach „Wiederherstellung von Öffentlichkeiten“. Im Zuge einer globalisierten Privatisierungspolitik werden die Handlungsräume des öffentlichen Interesses zunehmend eingeschränkt. Die weltweite Verengung des freien Zugangs zu Wissen, Bildung, Medien und Kultur entwickelt sich zu einem der größten Bedrohungsszenarien für demokratische Gesellschaften. Damit rückt auch das Interesse an gegenhegemonialen Konzepten der Kulturarbeit („Counterstrategies“) in den Vordergrund.

Ob in der breiten internationalen Protestbewegung gegen eine skrupellose WTO oder beim Aufbegehren gegen die alleinige Durchsetzung von Wirtschaftsbundinteressen in der Gemeinde – es stellt sich heute auf allen Ebenen die Frage, wie man sich der Macht der Konzerne und dem Demokratieabbau widersetzen kann. Die besondere Berücksichtigung des Themas „Politischer Antirassismus“ soll als sinnvolle Ergänzung das Bewusstsein schärfen, dass in der so genannten Globalisierung die freie Zirkulation des Kapitals, der Güter, des Konsums zwar massiv gefördert wird, die freie Mobilität der Menschen jedoch massiven Einschränkungen ausgesetzt ist, sobald Armut bzw. rassistische Diskriminierung den Ausschlag dafür geben. Kulturarbeit darf davor die Augen nicht verschließen.

Was aber ist nun der Förderpreis? Als Anerkennung für die Politische Kulturarbeit will die IG Kultur Österreich den ausgewählten Projekten eine breite – und hier vor allem mediale – Öffentlichkeit erschließen, die ihnen in der alltäglichen Arbeit meist vorenthalten wird. Der Preis ist somit ein Paket aus Sichtbarkeit und Ausweitung der Interventionszone, das neue Nachhaltigkeit erzeugen kann – ein Experiment zugegeben, das zu versuchen sich allemal lohnt.