mai 2004

gehört

Musik

TEXTA

So oder so

Tonträger Records/Hoanzl

Nach dem Hit „Hedi Wari“ legen Texta mit „Koida Kaffee“ noch einen grandiosen Dialekt-Track im Geiste von Attwenger (plus deren Roots bei Jandl, Bronner/Qualtinger) vor, vertiefen sich dialektisch in und mit (orientalischen) „Gastarbeiter-Samples“ in multiperspektivische Österreichbilder und haben mit der nicht nur selbstironischen Nerd-Hymne „Willkommen im Club“ schon das nächste As im Ärmel. Ösi-Hip-Hop zwischen OutKast & Bubba Sparxxx, der auch so manchen anderen heimischen Wort-Reimern dringend einen Berufswechsel nahe legt.

Didi Neidhart

Bobby Conn & The Glass Gypsies

The Homeland

Thrill Jockey, 2004

Dem Eklektizismus hat sich der 36-jährige Bobby Conn schon immer hemmungslos hingegeben. Als bevorzugte Objekte seiner musikalischen Ausgrabungsarbeiten wählte der Chicagoer Musiker Stilformen, die jahrzehntelang von hippen Konsumenten bestenfalls als Stilverwirrung abgetan worden waren: vom Bubblegum über pompösen West- Coast-AOR-Pop und weißen Plastik-Soul bis zu Spät-70er- und 80er-Metal. Dabei liebt Conn eigentlich (auch) Black Flag. Die andere große Liebe gilt dem (vornehmlich) britischen Glam-Rock. Mit seiner letzten Platte „The Golden Age“ sicherte er sich Zustimmung von höchster Ebene – nämlich vom (einstigen) Glitter-Papst David Bowie. Wenig verwunderlich, handelten die sexy Songs doch vom Horror des Erwachsenwerdens, und musikalisch gibt sich Conn schon seit den Tagen seiner ersten Band Condeucent (die vornehmlich Yes-kompatiblen Progressive Rock fabrizierte – schon wieder ein strenger Tabubruch!) als exaltierte Diva. Bowie zur Zeit der wunderbaren „Diamond Dogs“-LP (also 1974) bildet denn auch auf der aktuellen (seiner fünften) Platte einen wichtigen Bezugspunkt. Steve Harley & Cockney Rebel, Gitarrenlicks aus dem Robert-Fripp-Katalog, Sparks, Styx, Journey, Alan Parsons Project, Rush kann der nervenstarke Hörer ebenso herausfiltern wie schwarze Grooves aus den 70ern/ Früh-80ern (Funkadelic, Parliament, Jackson 5, Prince). Dazu hätte eine hymnische Piano-Ballade wie „Home Sweet Home“ auch gut auf ein Mötley-Crüe-Album gepasst. Dass eine derartige Melange auf dem Chicagoer Post-Rock-Label Thrill Jockey erscheint und die LP vom Tortoise-Mitglied John McEntire aufgenommen wurde, mag allen „Schubladendenkern“ wenig plausibel erscheinen. Aber (vermeintliche) Widersprüche können anregend auf die Birne wirken. Zwischen dem campy Retro-Gaga mit den üppigen Orchestrierungen und perfekten Arrangements finden sich übrigens auch ebenso kurze wie verrückte Soundeffekte und Ambient-Geräusche. Zum nie konstruiert wirkenden Stil-Mix gesellt sich noch die aus den 70ern bekannte Aufmachung (ein Konzeptalbum, das auch als Vinylplatte mit aufklappbarem Cover erhältlich ist) und der rote Faden, der sich durch die Texte des Werkes zieht. Aufgenommen kurz nach der offiziellen (und wie man spätestens jetzt weiß scheinbaren) Beendigung des dritten Irakkriegs, beschäftigt sich Conn in seinen Mini-Epen mit den Machenschaften des US-Empire und dessen Vollstrecker George W. Bush. Dabei gibt sich der Mann aus dem Amiherzland nicht oberlehrerhaft, sondern als Zyniker, der dem Wahnsinn mit schwarzem Humor begegnet. Vor einigen Wochen konnte man die grandiose Band mit ihrem bei Bedarf hysterisch überdrehten Entertainer (samt gelegentlichem Wechsel in die Falsett-Stimmlage) in der Linzer KAPU bewundern: Theatralik, Ironie, Authentizität – Bobby Conn und seine Glass Gypsies lieben das scheinbar Gegensätzliche und haben von allem reichlich. Sympathisch, dass dazu zeitlos gerockt wird.

Doc Holliday

SHY

35 Sommer

Paul!-Records/Ixthuluh

Die „beste Pop-Band Österreichs“ (Der Standard) gibt neoliberalen Lifestyles als „angry young men“ Saures und erweist sich dabei endgültig als Linzer Stahlstadtkinder-Flügel der „Monarchie & Alltag“-Phase der Fehlfarben. Sozusagen die linke Alternative zur aktuellen Konsens-Fadesse von Blumfeld. Manche Platten sind größer als andere. „35 Sommer“ ist noch größer. Didi Neidhart

Powderfinger

Vulture Street

V2/Zomba 2003

Einmal mehr eine Band aus Australien: diesmal jedoch weder im Hochgeschwindigkeits-Punk der Ramones-Schule eingeschrieben noch Mitglieder des Stooges-Fanclubs, aber auch der seltsamen Welt der Blues-Mutanten nicht zugehörig. Stattdessen hört man auf dieser (ihrer vierten) LP Einflüsse von US-Blues-, Country- und Southern-Rock. Wenig spektakulär, aber sehr solide. Und in Zeiten der Kings-Of-Leon-Euphorie eine trefflicher Soundtrack für die Reise zu unaufschiebbaren Auswärtspredigten. Down Under liegt ja auch im Süden, und die Trecks nach „Americana“ führen Frontmann Bernard Fanning und seine Spießgesellen schon mal durch staubiges Indsmenterritorium (wo Crazy Horse samt Goldgräber Neil Young wartet). Weiß der Geier, ob die gelegentliche Led-Zeppelin-Referenz nicht schon mit den Pilgervätern zu diesen Hinterwäldlern geflogen kam.

Doc Holliday

Arthur Russell

The World Of Arthur Russell

Soul Jazz/Hoanzl

Für David Toop („Ocean Of Sound“) hat der 1992 an AIDS gestorbene Cellist (!) Arthur Russell schlicht „jede verbotene Grenze überquert“. Was angesichts von Russells Output sogar noch als Untertreibung bezeichnet werden kann. Denn das Beinahe-Mitglied der Talking Heads, das durch ein paar Bläser-Arrangements dann doch David Byrnes musikalischen Anspruch radikal änderte, bewegte sich Ende der 1970er/Anfang der 1980er derart radikal durch die New Yorker Musikszene, dass auch ein Miles Davis-Vergleich nicht hinken mag. Dabei bastardisierte (und revolutionierte) Russel gleichermaßen Jazz, No Wave, Disco (er war ständiger Gast in der legendären House-Geburtsstätte Paradise Garage) wie das Remix-Wesen an sich. Man höre nur die zusammen mit dem Lee „Scratch“ Perry des Disco-Re-Mix, Walter Gibbons, und damals selbst vom englischen Vertriebslabel Rough Trade (!) als unverkäuflich eingestuften, futuristisch dekonstruierten 1986er Dance-Tracks „Treehouse/Schoolbell“ und „Let’s Go Swimming“ an, und es wird klar, was Hausnachbar Allen Ginsberg meinte, als er Russels Arbeiten als „Buddhist bubble-gum music“ beschrieb.

Didi Neidhart