mai 2004

Didi Neidhart
geschaut

TV makes it – TV even breaks it!

Televisuelles Leben in Salzburg – Das Kabinett des Salzburger Künstlerhauses als Fernseh-Raum

»kunstfehler«: Für den französischen Psychoanalytiker Jacques Lacan stellt das Fernsehen den privilegierten Ort ideologischer Erfahrungen dar. Kann das in Zeiten minimalster Unterschiede zwischen privatem und öffentlich-rechtlichem Fernsehen überhaupt noch unzynisch argumentiert werden?

Häufler: Ja. Es geht auch darum, die Möglichkeiten zu haben, selber Fernsehen zu machen. In Italien schließen sich immer mehr Leute zusammen und installieren in ihren Häusern eigene Fernsehsender. Das sind offene Hauskanäle mit denen in bester Radiopiratenmanier gegen Berlusconi gesendet wird. Das ist eine radikale Art, Fernsehen als eigene Produktion umzudeuten.

»kunstfehler«: Italien hat aber auch seit Mitte der 70er mit „Radio Alice“ eine solche Tradition, die es bei uns so nicht gibt.

Häufler: Das stimmt schon. Aber wenn es angeblich so viel Scheiße gibt, warum versuchen dann so wenige, etwas anderes machen? Die TV-Wahrnehmung im Feuilleton klafft mit den Bedürfnissen der Leute, die Quote bringen, extrem auseinander. Noch dazu wird ihnen das Recht auf eine durchaus selbstbestimmte Wahl der Unterhaltung abgesprochen.

»kunstfehler«: Selbstbestimmt in welchem Sinn?

Häufler: Die Wahl zwischen einer Daily Soap oder einem Krimi ist eine aktive, momentane Entscheidung zwischen verschiedenen Möglichkeiten des Entspannens. Einfach das Hirn ausschalten geht nicht so linear. Der Fehler war eher, das Fernsehen als Austauschmedium im Sinne von Brechts Radiotheorie zu sehen. Nur scheint Interaktivität nicht das primäre Interesse beim Fernsehen zu sein. Dafür gibt es andere Medien wie Internet oder Computerspiele.

»kunstfehler«: Dennoch suggerieren TV-Anstalten Interaktivität und gehen dabei auch so weit, Televotings als Art direkter Mediendemokratie mit Betonung auf Demokratie zu verkaufen. Daneben haben wir es bei den Daily Soaps und ihren zweiten, simulierten Alltagen mit Formaten zu tun, die weder eine Rückkopplung zu einer „Realität“ haben noch als fiktiv gekennzeichnet sind. Wenn es früher bei Adorno um die Frage eines wahren Lebens im falschen ging, geht es dann jetzt um ein falsches Leben als medial vermitteltes wahres?

Häufler: Doku-Soaps mit ihren verwackelten Handkameras suggerieren Realität und werden als Wahrheit verkauft. Ich glaube nicht, dass Sender die Verantwortung von sich schieben können, zu kennzeichnen, was ist real und was nicht. Formaten wie „Talk, Talk“ vermischen hingegen ganz bewusst „echte“ und inszenierte Shows miteinander.

»kunstfehler«: Ermöglicht die Kunst hierbei einen privilegierteren Blick?

Häufler: Televisuelles Leben und die Kunst, die daraus entstehen kann, darf nicht mit Medienkunst oder Video-Art verwechselt werden. Uns geht es um das Leben vor dem Fernseher und was dabei an Auseinandersetzungen, Reflexionen, Reaktionen und Effekten passieren kann. Fernsehen bestimmt nicht nur unser Leben, es hat auch eines und es ruft auch eines hervor.

»kunstfehler«: Ein neues Leben im Sinne des „New Flesh“ wie bei „Videodrome“ von David Cronenberg?

Häufler: So ähnlich. Wenn ich den Ton abschalte, wirft mich dieses „Mute-TV“ auf das Auge zurück, und das Bild bekommt einen neuen Stellenwert, den es sonst nicht hätte. In einem Kunstraum wie dem Künstlerhaus ist das TV-Bild zusätzlich in einem anderen, von der Wohnzimmersituation total entfernten, Setting. Das verändert den Blick, und Fernsehen ist nicht mehr Fernsehen wie zuhause.

»kunstfehler«: Um den eher abwesenden Blick geht es beim „Büro für interpassive Dienstleistungen“. Was ist darunter zu verstehen?

Häufler: Es geht um delegiertes Genießen in Verbindung mit dem TV, etwa wenn ich einen Film aufnehme, ihn mir aber nie anschaue. Dabei delegiere ich den Genuss des Ansehens an den Videorecorder und beschrifte nicht einmal die Kassette. Der Akt des Aufnehmens erfüllt das eigentliche Begehren und ersetzt dabei gleichzeitig den Akt des Anschauens. Diese Kassetten können nun zu uns gebracht werden, wir erstellen Tape-Protokolle, und es gibt Formulare sowie Zertifikate, die man nun auch wieder einfach anheften kann und nie lesen muss. Das Feld der Interpassivität ist ein extrem ausbaufähiges.

»kunstfehler«: Ein visuelles Archiv baue ich damit aber nicht auf.

Häufler: Es ist eher der Zufall, der hier ein Archiv entstehen lässt. Alte Videokassetten werden gerade wegen dem, was man eigentlich nicht aufnehmen wollte, wie etwa Werbeunterbrechungen, zu enorm wichtigen Zeitdokumenten. Dieser Retro-Aspekt wird immer interessanter. Die TV-Anstalten sind die Archivare unserer televisuellen Geschichte.

»kunstfehler«: Danke für das Gespräch.

Das Gespräch führte Didi Neidhart