mai 2004

Doc Holliday
leitartikel

Open Access

Wie das Netz verkrustete Strukturen im Wissenschaftsbetrieb aufbricht

Beim Nachdenken über das Internet mit allen seinen Konsequenzen für die Gesellschaft gilt es einen klaren Kopf zu behalten. Weder blauäugige Technikeuphorie noch widerborstiger Kulturpessimismus dient einer sachlichen Erörterung. Die Liste mit akuten Problemen ist lang: Es geht um Kryptographie und Zensur, freie Software, Domain-Bezeichnungen, die digitale Kluft oder geistiges Eigentum. Zu all diesen Fragen haben Netzaktivisten prononcierte Meinungen, und die Diskussionen darüber stoßen auf öffentliches Interesse. Wenig Beachtung schenken Netzfreaks dagegen realen Arbeitsbedingungen in der Branche. Aber auch manch positive Auswirkungen bleiben beinahe unbemerkt.

Wissenschafter dokumentieren ihre Forschungsarbeiten bekanntlich vornehmlich durch Publikation in einschlägigen, in der Regel sündteuren Fachblättern. Im Jahr 2003 erschienen etwa 24.000 Journale mit ungefähr 2,5 Millionen Beiträgen. Dabei stiegen in den vergangenen Jahren die Preise der Fachjournale in derart exorbitante Höhen, dass viele Universitäten den Bezug radikal einschränken mussten. Von den Auswirkungen auf Forschungsstätten in der Dritten und Vierten Welt einmal ganz zu schweigen. Da in unserer Wissenskultur Quantität noch immer vor Qualität kommt, nimmt in den hermetisch abgeschlossenen Forschungsgemeinden vieler Disziplinen oft die Anzahl der veröffentlichten Texte und das Zitiertwerden in anderen Arbeiten eine herausragende Stellung ein.

Anfang der 90er Jahre etablierten Physiker in den USA einen „eprint Server“, auf dem Forscher ihre Texte vorab präsentieren konnten. Anfänglich begegneten viele Wissenschafter dieser Publikationsplattform mit unverhohlener Skepsis. Die Gralshüter der wissenschaftlichen Lauterkeit befürchteten einen Qualitätsverlust der Beiträge. Schließlich entfiel durch den offenen Zugang die früher übliche Prüfung der Arbeiten vor ihrer Veröffentlichung durch ein Fachgremium. Dieses hatte aber bereits in Gutenberg-Zeiten die Fälschung von Ergebnissen zur Beschleunigung der Karriere nicht immer erkennen können. Die Möglichkeit in den Online-Journalen in einem erweiterten Kreis über die Ergebnisse zu diskutieren, bleibt nicht der einzige Vorteil, der dem Einzug des Internet in die Wissenschaftspublizistik geschuldet ist.