mai 2004

Wiglaf Droste

Al Qaida wird durch Bild erst schön

Der deutsche Journalismus ist Al Qaida zu Dank verpflichtet. Noch direkt vor den massenmörderischen Anschlägen von Madrid im März 2004 wälzten sich deutsche Chefjournalisten in der lebenswichtigen Frage herum, wie sie Gerhard Schröder zu Interviews mit Bild zwingen könnten. Schröder, der stets extensiv mit Bild geknutscht hatte, war infolge der Kampagne von Bild gegen ihn vom Boulevard abgerückt und gefiel sich in der Rolle der beleidigten Leberwurst.

Man kann Schröders Gebaren mit Recht dumm, peinlich und verlogen finden – sich mit Bild solidarisieren kann man nicht.

Bild ist keine Zeitung. Man kann nicht einmal Fische darin einwickeln – sie verfaulen auf der Stelle. Dennoch wollten allerlei Chefredakteure ihren Lesern weismachen, Schröders gnatzige und pampige Erklärung, nicht mehr mit Bild sprechen zu wollen, sei eine schlimme Sache und eine große Gefahr für die Demokratie. Schließlich gebe es eine Informationspflicht, und der Bundeskanzler könne nicht selbstherrlich bestimmen, mit wem er spreche und mit wem nicht. Was aber hat Bild mit Information zu tun? Auch darum gehe es nicht, erklärte das journalistische Bild-Solidaritätskommando; schließlich könne es ja jeden treffen, man müsse den Anfängen wehren und dergleichen.

Seitdem Frank Schirrmachers FAZ Kampagnen in Absprache mit Kai Dieckmanns Bild durchzieht, gilt nicht etwa die FAZ als Jauchegrube, sondern Bild als salonfähig. Im Journalismus geht die Panik um, die Stellen sind knapp, da scheint auch ein Job als Spermakellner bei Bild noch attraktiv. Journalisten, die nicht an buchstäblich jedem Tisch mitkumpeln können, werden von Existenzangst geschüttelt. Das sagen sie aber nicht, sondern erzählen die Legende vom tapferen Journalisten, der vollinvestigativ große Enthüllungsgeschichten schreibt. Mag sein, dass es irgendwo so etwas gibt. In Deutschland ist „Journalist“ die Berufsbezeichnung für besonders aggressive Mitläufer.

Dass Helmut Kohl es während seiner gesamten Amtsszeit ablehnte, mit dem Spiegel zu sprechen, weil er das Blatt ulkigerweise als „linke Kampfpresse“ ansah, hatten die mit Bild solidarischen Demokratiewarte vergessen; es soll damals sogar Spiegel-Journalisten gegeben haben, die Kohls Haltung als Auszeichnung verstanden.

Das ist lange her; heute wird schön mitgeschnackt.

Seit den Massenmorden von Madrid ist Gerhard Schröders Bild-Boykott aber nicht mehr die größte Gefahr für die Demokratie; Al Qaida hat ihn knapp überholt. Nun nimmt das Blutblatt die demokratische Pflicht wahr, die Angst vor weiteren Blutbädern und den Wunsch nach einstweiligen Erschießungen mutmaßlicher Verdächtiger zu schüren.

Zu Panik und Hysterie gehört auch der Trost von der Stange. Alltägliche Banalitäten werden zu Heldentaten umcodiert; immerzu ist die Phrase zu hören, wenn man jetzt nicht mehr U-Bahn fahre, Brötchen kaufe, mit dem Hund rausgehe oder sich am Gesäß kratze, dann habe Al Qaida gewonnen.

So gewinnt das Leben mächtig an Bedeutung. Mitte der Achtzigerjahre gab es Solisaufen für Nicaragua und Einparken für den Frieden; zwanzig Jahre später kauft man Bild, damit Al Qaida nicht gewonnen hat.