februar 2004

gehört

Musik

Rhythzomatische Digital-Grooves

Digitaler Cyber-Rhythm & Blues legte 2003 zwar ein kleines Progressions-Päuschen ein, dennoch kamen gerade Ende des Jahrs einige Highlight ans Tageslicht. Da wäre einmal der Südstaaten-Eminem-Herausforderer Bubba Sparxxx, der auf seinem Zweitling „Deliverance“ (Universal) unter der Produzentenschaft des omnipräsenten Timbaland erneut Hillbilly-Stuff (Banjos, Harmonikas & sogar Blasmusikkapellen) mit futuristischsten Voodoo-Beats aus dem Space-lab-Computer kurzschließt und damit eigentlich den sprichwörtlichen Vogel abschießt.

Da kommt selbst Missy Elliott mit „This Is Not A Test“ (Warner) nicht ran. Vielleicht weil Timbaland hier seine die avantgardistischen Groove-Entwürfe eher auf Sparflamme hält. Dafür kommt bei „Pass That Dutch“ mit glücklichem Mojo-Händchen (und tiefstem Bass-Grummeln) ebenfalls Voodoo ins Spiel (die an Lumidees „Never Leave You (Uh Oooh, Uh Oooh)“ erinnernden Hand-Claps wurden beim New Orleans-Klassikaner „Iko Iko“ der Dixie Cups entliehen), kraftwerkelt es bei „I’m Real Hot“ als würde Afrika Bambaataa gerade Electro erfinden und wird Mr. Spock beim abstrakt technoiden Electro-Algebra-Minimalismus von „Wake Up“ sicher sehr fasziniert sein.

Hingegen spiralt sich Kelis auf „Tasty“ (Virgin) in Bereiche, die eigentlich schon jenseits von Cyber-R&B angesiedelt sind. Was auch daran liegen mag, dass die Neptunes nicht mehr die alleinig federführenden Produzenten sind (und wenn, dann kommt dabei Ultra-Funk der Marke „Milkshake“ heraus). Dafür wird so was wie Digi-Riddim & Blues entdeckt („Trick Me“) sowie mit André 3000 von OutKast (der kann ich Moment wirklich gar nichts falsch machen) Funk & Soul im experimentellen Geiste von u.a. Stevie Wonder in derart viele Geschmacksrichtungen ausdifferenziert, das man schon am terrestrischen Ursprung dieser Musik zweifeln mag.

Didi Neidhart

Acid Mothers Temple & The Melting Paraiso U.F.O.

Univers Zen Ou de Zero a Zero

Fractal Rec.: CD-2002, 4-fach LP-2003

Japaner neigen bekanntlich entweder zu Infantilismus oder Extremismus. Oder wie soll man Phänomene vom Kaliber der Pokemon- und Tamagotchi-Plagen, Harakiri oder Kamikaze, Filme von Takashi Miike oder Takeshi Kitano, Schriftsteller wie Yukio Mishima und Soundterroristen wie Merzbow oder Zeni Geva anders einordnen? Apropos Musikszene: In dem ebenso skurrilen wie vielfältigen Biotop gedeihen neben den bizarrsten Elvis-Imitatoren, den umwölktesten Roots-Reggae-Forschern, der putzigsten Psychobilly-Menagerie und einer anerkannten freien Improvisationsszene auch eine ganz spezielle Sorte von narrischen Schwammerln: die Neo-Psychedelic-Freaks. Deren Avantgarde bildet der Acid Mothers Temple, ein Kollektiv (Eigendefinition) unter der Leitung des aus Osaka stammenden Makoto Kawabata. Seit 1996 arbeitet die Gruppe an einer Überführung der alten Grateful Dead-Hippie-Jam-Bandidee in den ultimativen Space-Rock via Krautrock-Raumstation. Als Sound-Basis dieser abenteuerlichen Expeditionen dienen Hawkwind, Neu, Ash Ra Temple und King Crimson. Das Ergebnis hört sich weitaus berauschender und exzessiver als Monster Magnet oder Drone-Rocker vom Kaliber der Melvins oder Earth an. Schicht über Schicht türmen AMT die Sound-Kaskaden in ihren kaum unter zehn Minuten langen Epen auf, um dazwischen immer wieder einmal in akustisch-folkigen Meditationen wegzudriften. Eine hypnotische Intensität, die auch ohne psychotrope Raumfahrerdiät die Synapsen zum Schmelzen bringt. Zen oder die Kunst des Freakouts.

Die unzähligen Tonträger der Band sind bei uns nicht leicht zu bekommen, am besten versuchen Sie es über den Wiener Laden „Rave Up“ (www.rave-up.at) oder gleich bei www.acidmothers.com.

Doc Holliday

Ivan Neville

Scrape

Compendia/Koch 2004

Ivan Neville trägt einen großen Namen. Sein Vater Aaron und seine Onkel Art, Charles und Cyril bilden seit 1977 das Gerüst der legendären Neville Brothers, deren einmalige Mixtur aus schwarzem Delta-Funk, afrikanischen Sklavengesängen, Mardi Gras-Hymnen, Reggae, Jazz und Swamp-Soul bis heute zu faszinieren weiß. In den 50ern spielten die Clan-Ältesten bereits in der R & B-Combo The Hawkettes und später in der funkigsten (fragen Sie einmal den Hip-Hopper ihres Vertrauens) aller Funk-Bands, den Meters. Der Apfel fällt nicht weit vom Stamm. Die Musikalität, speziell der besondere New Orleans-Groove, liegt auch Multiinstrumentalist Ivan im Blut. Der verdingt(e) sich als musikalischer Direktor bei Keith Richards Xpensive Winos, den Spin Doctors, Rufus, Bonnie Raitts Band und arbeitet immer wieder mit den Rolling Stones und Ex-„The Band“-Gitarrist Robbie Robertson. „Scrape“ ist seine vierte Solo-CD (in Wahrheit erst dritte - das kommt von der abenteuerlichen Veröffentlichungsgeschichte des ursprünglich von Bruce Willis finanzierten, aber bald wieder eingestampften „Vorgängeralbums“, das bis auf eine Nummer mit dem aktuellen ident ist). Eine Unzahl von Gästen (neben den oben genannten soll hier noch der alte Warren Zevon-Kumpel Waddy Wachtel erwähnt werden) spielte dieses Werk ein, das die Nevilles-typische Soundpalette bietet: von der Meters-Hommage im Titellied über den bluesigen Stax-Shuffle von „Lil’Humility“ und die Sweet Soul-Balladen bis zum Rap-Reggae mit dem Marvin Gaye-Riff in „Ghetto Street“. Auch eine bisweilen zu glatte Produktion kann die Freude an dieser CD nur unwesentlich beeinträchtigen.

Doc Holliday

Querschläger

zwischn schwachz und weiß

roabee records/2003

Mit „zwischn schwachz und weiß“ haben die sieben Lungauer Querschläger mit Bandleader Fritz Messner sozusagen den dritten Teil des 2002 erschienen Doppelalbums „fedang & stoa“ (Federn und Steine) produziert. Die Querschläger sind ihrer Linie konsequent treu geblieben – nicht nur bei der dialektalen Wahl des CD-Titels: Angesiedelt im Grenzgebiet zwischen Rock, Folk, Volksmusik, Agit Prop und Kabarett widmen sie sich allem, was das globalisierte Dorf so bewegt: Status, Drogen, Entfremdung, Außenseiter, saisonale und echte Liebe ... „schwachz und weiß“ ist mehr als nur Restlverwertung von „fedang & stoa“: Mit dem „tamischen Franz“ ist beispielsweise ein Song über einen Ausgestoßenen gelungen, der mindestens so viel Tiefgang hat, wie das Liebeslied „wann i die nid hätt“ Humor. Wer außer den Querschlägern gesteht sonst seiner Angebeteten, er sei „da Wintertourismus“ und sie „die Schneekanon“, er „der Ministrand“ und sie „da Kardinal“?

Thomas Neuhold