februar 2004

gelesen

Bücher

Hans Landauer/Erich Hackl

Lexikon der österreichischen Spanienkämpfer 1936 – 1939

Wien 2003, Verlag der Theodor

Kramer Gesellschaft

Die historische Situation wird für die meisten jüngeren Leser wohl nur eine Ansammlung spanischer Dörfer sein. Dabei hatte der Spanische Bürgerkrieg zwischen 1936 und 1939 nichts Seltsames an sich und noch weniger mit aktuellen Bürgerkriegen und deren (vorgeblich) ethnischen Ursachen und nationalistischen Zielen zu tun. Im Spanischen Bürgerkrieg ging es um die Verteidigung einer rechtmäßig gewählten, republikanischen Volksfrontregierung, die sich gegen den faschistischen Militärputsch unter General Franco zur Wehr setzen musste. Von Anfang an waren auf beiden Seiten Menschen aus anderen Ländern beteiligt. Die Putschisten wurden materiell wie personell von Mussolinis Truppen und Hitlers „Legion Condor“ unterstützt. Auf republikanischer Seite kämpften Freiwillige aus aller Herren Länder in den Internationalen Brigaden: Linke jeglicher Couleur, Freidenker, liberal gesinnte Demokraten – darunter berühmte Schriftsteller und Intellektuelle wie Ernest Hemingway, André Malraux oder George Orwell. Ein Kampf der Ideologien, der erste Widerstand gegen den nach Weltherrschaft strebenden Faschismus, geleitet von einem heute vergessenen und desavouierten Begriff: der Solidarität. Hans Landauer forscht seit 1983 im Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes (DÖW) über die österreichischen Spanienkämpfer. Landauer, der 1937 mit 16 selbst nach Spanien ging und nach 1945 als Kriminalbeamter tätig war, gebührt große Anerkennung für diese einmalige historische Detektivarbeit (die noch für kein anderes Land geleistet wurde). Es mögen nicht mehr viele ehemalige Interbrigadisten am Leben sein, aber in diesem Kompendium wird ihnen endlich ein würdiges (erstes) „Denkmal“ gesetzt. Nach einem einleitenden Aufsatz aus der Sicht der österreichischen Kriegsteilnehmer folgt der lexikalische Teil: Die rund 1400 Freiwilligen (darunter auch Frauen) erhalten jeweils einen Eintrag mit, soweit bekannt, einer Kurzbiographie. Dieses „notwendig dürre Skelett der wesentlichen Fakten“ ergibt eine faszinierende Lektüre: denkwürdige, nicht selten absurd anmutende Lebensläufe und Schicksale, wie sie Co-Autor Erich Hackl bereits in einigen lesenswerten Romanen verarbeitet hat, werden in Umrissen sichtbar und harren näherer Betrachtung.

Doc Holliday

Georg Seeßlen

Martin Scorsese

Bertz Verlag Berlin (film:6), 2003

576 Seiten, 1063 Fotos und

Bildsequenzen

Martin Scorsese gehört wohl zu den herausragendsten und stilprägendsten Regisseuren des New-Hollywood-Kinos. Und es war nur eine Frage der Zeit, bis eine Kapazität wie Georg Seeßlen sich damit beschäftigen würde. Herausgekommen ist dabei ein dicker Wälzer, der so gut wie nichts im Scorsese-Universum auslässt. Angefangen beim „katholischen Materialismus“, über das „mafiose Rhizom“ bis hin zu Scorseses europäisierten Techniken der Reflexion und der Analyse sowohl des Kinos an sich wie seiner Geschichte(n) führt Seesslen nicht nur tief in das (mitunter sehr dunkle) Herz eines von der Macht der Bidler besessenen cineastischen Maniacs. Er zeigt auch (u.a. in dem er sich wie Scorsese „nie an Eingeweihte, sondern immer an Neugierige“ richtet), dass Pop bzw. Film/Kunst betrieben auch als philosophischer Diskurs ebensoviel Spaß machen kann, wie der Gang ins Kino. Scorsese steht dabei für jene junge Filmemachergeneration, die ab Ende der Sechziger Hollywood/das Kino zu revolutionieren versuchten, indem sie – anders als etwas in Frankreich/Deutschland – ihren Vorgängern (also pragmatische Handwerker wie Hawks, Fuller und vor allem John Ford) in einer dialektischen, radikalisierten Art und Weise Filme zu machen folgen wollten. Was ironischerweise über den Umweg Europa (hier vor allem Nouvelle Vague und der italienische Neorealismus) funktionierte. Scorsese: „Ich entdeckte, dass ich die meisten Filme mochte, von denen die Vertreter der Autorentheorie in Frankreich sprachen. Und ich fand schließlich heraus, dass es nicht notwenig war, alle Filme zu verdammen, die man als Kind bewundert hatte.“ (Scorsese) Dazu kam der Rock’n’Roll: „Sex came on the screen with the music and you knew it.“, was Scorsese spätestens mit dem Cinema-Rock’n’Roll-Juke-Meisterwerk „Mean Streets“ (1973, mit Robert DeNiro und Harvey Keitel) geradezu prototypisch umsetzte. Auch wenn Seeßlen bei „Gangs Of New York“ etwas zu viel Gnade walten lässt – allein die akribisch beschriebene Problematik der „Narrationsfalle“, bei der etwa in „Taxi Driver“ der Held „seine Geschichte schon als Lüge“ schreibt, weist Seeßlen als einen cineastischen Golddigger der Extraklasse aus, dessen gedanklich-theoretische Abenteuerreisen auch immer wieder als Ausgangspunkt/Trampoline für eigenes Weiterspinnen fungieren. Pflichtlektüre!

Didi Neidhart

Eric Hobsbawm

Gefährliche Zeiten.

Ein Leben im 20. Jahrhundert

München-Wien 2003, Hanser Verlag

Was im ersten Moment nach Krimi klingt, ist in Wirklichkeit die Autobiographie eines der wichtigsten Historiker der Gegenwart. Dabei handelt es sich bei „Interesting Times“, so der englische Originaltitel, durchaus um eine hoch spannende Lektüre. Anhand seines Lebensweges erzählt Hobsbawm in bisweilen sarkastischem Stil eigentlich die Geschichte des 20. Jahrhunderts.

Er wird 1917 – dem Jahr der russischen Oktoberrevolution – im ägyptischen Alexandria als Sohn eines aus dem Londoner East End stammenden Vaters und einer Wiener Mutter geboren: eine mehr als sanfte Andeutung des Kosmopolitismus, den Hobsbawm nie ablegen wird. Die Eltern hießen eigentlich noch Hobsbaum, doch ein Schreibfehler des Konsulatsangestellten anglisiert quasi in weiser Vorausahnung den Namen. Mit zwei Jahren kommt Eric nach Wien, wo er bis 1931 bleibt. Als Vollwaise zieht er danach Richtung Berlin und erlebt die letzten Zuckungen der Weimarer Republik. Es folgen „die beiden entscheidendsten Jahre“ für Hobsbawms weiteres Leben. Die Kämpfe zwischen der Linken und den Nazis prägen sein politisches Denken. Seit 1933 auf der Insel, tritt er 1936 der englischen KP bei, 1956 (im Jahr des Ungarnaufstandes) distanziert er sich vom Parteiapparat, um 1968 nach der Niederschlagung des Prager Frühlings auszutreten. Zum Katzenjammer der Kapitalismusapologeten bleibt Hobsbawm aber bis zum heutigen Tag den alten Idealen einer gerechten Welt treu. Die humanistische, jedem Provinzialismus abholde Weltsicht bildet das Fundament seiner wissenschaftlichen Arbeit wie der politischen Haltung.

Der faszinierende Bericht Hobsbawms thematisiert ganz unaufgeregt auch andere, momentan kontroversiell diskutierte Phänomene: Antiamerikanismus oder (vermeintlicher) Antisemitismus und Antizionismus. Neben der verändernden Kraft der Utopie liebt der marxistische Jude Hobsbawm noch zwei Dinge über alles: Jazz und New York.

Dass dies (scharfe) Kritik an der Politik der US- wie auch eine differenzierte an der israelischen Regierung nicht ausschließen kann, schreibt der weise, alte Intellektuelle gerade den einfach gestrickten „Antideutschen“ schön ins Stammbuch.

Doc Holliday