februar 2004

Matthias Part

„Alles in dieser Stadt ist gegen das Schöpferische!“

Auf Thomas Bernhards Spuren durch seine „Heimatstadt“ Salzburg

„Nun, ich bin ja Salzburger! Nicht?“ So Thomas Bernhard in einem Interview, das er 1976 anlässlich der öffentlichen Erregung wegen seines Stücks „Die Berühmten“ gab. In einem Jahr also, in dem er längst nicht mehr in der Festspielstadt wohnte. Um seiner Salzburg-Beziehung auf den Grund zu kommen, gehen wir am besten auf Bernhards Spuren durch die Stadt. Im Rucksack seine autobiographischen Bände, Hans Höllers Rowohlt-Monographie oder auch die von Manfred Mittermayer und Sabine Veits-Falk herausgegebenen 22 Annäherungen an „Thomas Bernhard und Salzburg“. Das Gehen führt zum Erinnern, wenngleich diese Stadt – laut Bernhard – „ihre Erinnerung ausgelöscht hat“. Vor allem, was die Kriegszeit anbelangt.

Kreuz statt Hitlerbild

Ausgangspunkt der weiten Stadtwanderung sei jener Ort, wo Thomas Bernhard zuerst als Hauptschüler und später als Gymnasiast wohnte. Nämlich im „Schulknabenasyl“ in der Schrannengasse 4, gegenüber der Kirche St. Andrä. 1943 war dort der Nationalsozialist Grünkranz der absolute Herrscher. Nach dem Krieg, nun im katholischen Heim, hieß der Leiter Franz Wesenauer. Er wurde später Stadtpfarrer von Salzburg und war einer von jenen, die gegen Thomas Bernhard prozessierten, weil sie sich von ihm verunglimpft sahen. Ob „NS-Schülerheim“ oder „Johanneum“, für Bernhard gab es keine wesentlichen Unterschiede: „Statt dem Hitlerbild war halt dann das Kreuz an der Wand, genau auf dem selben Nagel.“ In seiner Rede anlässlich der Verleihung des Kleinen Staatspreises für Literatur im Jahr 1968 sprach er dann vom „Requisitenstaat“, in dem „alles austauschbar“ sei.

Wir nehmen von hier aus jenen Weg, den Thomas Bernhard gemeinsam mit den anderen Internatszöglingen in den letzten Kriegsjahren immer wieder gehen musste: zur Wolf-Dietrich-Straße in Richtung Kapuzinerberg zum sogenannten „Glockengassenstollen“. Dorthin flüchteten Tausende Salzburger, um sich vor den Bombenangriffen zu schützen. Eine Stätte der Angst, der Enge, der Atemnot. In der „Ursache“ beschreibt der Dichter, wie er im Stollen zweimal ohnmächtig geworden und dann mit einem Autobus in das Neutor gefahren worden sei. Der Stollen und der Tunnel als ideale Orte für den jungen Bernhard, um seine „Beobachtungskunst“ zu schulen.

Von der Glockengasse in die Linzergasse und zum Sebastiansfriedhof. Für Thomas Bernhard ist dieser stille Ort inmitten der Stadt immer „der unheimlichste und dadurch faszinierendste gewesen“, und er habe sich dort „oft stundenlang“ aufgehalten, „allein und in todessüchtiger Meditation“. Auf dem Sebastiansfriedhof liegt auch der Vater und die Witwe jenes weltberühmten Komponisten begraben, dessen „Zauberflöte“ für Bernhard höchstes Glück und eine „ureigene Welt“ dargestellt hat. Wolfgang Amadeus Mozart hatte – nach heftigem Streit mit der katholischen Allmacht – Salzburg den Rücken gekehrt. „Alles in dieser Stadt ist gegen das Schöpferische“, schreibt Bernhard. Dieser Satz findet sich auf einer „BeDenktafel“ von Günther Nussbaumer, die genau zehn Jahre nach Bernhards Tod im zweiten Stock des Salzburger Literaturhauses angebracht wurde.

Runterspringen!

Wir gehen die Linzergasse hinunter und biegen links ab auf jenen Weg, der zum Kapuzinerkloster hinaufführt. Dort hatte auch einmal der Volksschauspieler Karl Merkatz sein Quartier, als er noch – so wie Thomas Bernhard später auch – Student am Mozarteum war. Der Zufall wollte es, dass Merkatz und Bernhard sich Anfang der 50er-Jahre in Salzburg besser kennen lernten und des Öfteren in Kaffeehäusern und Lokalen zusammensaßen. Die Musik (Mozart) und die Dichtung waren bevorzugte Gesprächsthemen der beiden. „Der Rilke war ihm besonders wichtig damals“, erzählt Merkatz. „Er hat ihn immer wieder rezitiert und in die Nacht hinausgeschrien. Einmal auch, als er mit mir am Kapuzinerberg auf die Mauer gestiegen ist und mich bei der Hand genommen hat und gesagt hat: ‚So, jetzt nehmen wir uns das Leben, jetzt springen wir da runter!‘ Aber dann habe ich gesagt, das ist doch sinnlos, und dann bin ich runtergestiegen und er auch.“

Links liegt die Stefan-Zweig-Villa. Dieser Autor mag ein Vorbild für viele Theaterfiguren Bernhards gewesen sein. Jüdische Intellektuelle, die gezwungen waren, Österreich zu verlassen. Oft in Richtung England. Stefan Zweig hat den „Todesboden“ Salzburg nach seinem Abschied 1934 nie mehr betreten. Vier Jahre später wurden auf dem Residenzplatz seine Bücher verbrannt, acht Jahre später beging Zweig Selbstmord.

Schönheit und Macht

Hans Höller verweist auf „die vertrackte Beziehung von Schönheit und tödlicher Macht in diesem kulturellen und geschichtlichen Raum“. Wie zum Beweis gleich neben dem Stefan-Zweig-Weg ein Aussichtspunkt, der einen herrlichen Blick auf die barocke Stadt erlaubt: „Ich habe sehr oft das besondere Wesen und die absolute Eigenart dieser meiner Mutter- und Vaterlandschaft aus (berühmter) Natur und (berühmter) Architektur erkennen und lieben dürfen“, so Bernhard.

Langsam die Imbergstiege hinunter bis zur Staatsbrücke, die zur Nazi-Zeit nach dem Reichsminister Dr. Todt benannt war. Ein Werk von Kriegsgefangenen, wie Bernhard betont. Weiter zum Landestheater, das der Journalist Thomas Bernhard 1955 noch als „Königreich des Dilletantismus“ beschimpft hat. Und wo der Theatermacher – und sei’s wegen der Notbeleuchtung – in den siebziger Jahren für Skandale und in den Achtzigern – mit „Am Ziel“ oder „Ritter Dene Voss“ etwa – für dramatische Höhepunkte gesorgt hat. Zum Siebziger des berühmten Autors wurde an der Außenwand des Landestheaters eine Gedenktafel aufgehängt, mit der man stolz auf die fünf Salzburger Bernhard-Uraufführungen verweist.

Geld und Widergeld

Über den Makartsteg bis zur Getreidegasse. Thomas Bernhard bezeichnet Salzburg auch als „perverse Geld- und Widergeld produzierende Schönheits- als Verlogenheitsmaschine“.

Weiter zum Alten Markt und mitten hinein in die Erinnerungen Bernhards an die Stunden nach dem ersten Luftangriff auf Salzburg am 16. Oktober 1944: „...den Dom hatte eine sogenannte Luftmine getroffen, und die Domkuppel war in das Kirchenschiff gestürzt.“

Das Grauen des Krieges wurde Thomas Bernhard endgültig bewusst, als er auf dem Weg in die Gstättengasse auf eine abgerissene Kinderhand trat. Die Verkrüppelung und die Vernichtung sind für den Dichter fürchterliche Kennzeichen dieses „Jahrhunderts der Wölfe“.

Nun dem Mönchsberg entlang, auf die „Müllner Hauptstraße, die Selbstmörderstraße“. Weiter bis zum Landeskrankenhaus, wo Thomas Bernhard 1949 schon im Sterbezimmer lag. Aber kraft seines ungeheuren Lebenswillens hörte er doch nicht zu atmen auf. Im Gegensatz zu seinem geliebten Großvater, der in Bernhards „erster Existenz“ etwa jene Bedeutung hatte, die in seiner „zweiten Existenz“ Hedwig Stavianicek zukam. Freumbichler starb am 11. Februar 1949 im LKH an einer Nierenkrankheit.

Thomas-Bernhard-Straße

Jetzt rüber in die Radetzkystraße Nr. 10. Das war die Fabjan-Bernhard-Freumbichler-Adresse in der Nachkriegszeit. In der zweiten Hälfte der 50er-Jahre wohnte Thomas Bernhard übrigens auch im Johannes-Freumbichler-Weg (!) in Parsch.

Von der Radetzkystraße sind es nur zwei Ecken bis zum „Ganshof“, der im Roman „Der Untergeher“ lobend erwähnt wird. Dann weiter zum Maxglaner Friedhof, wo sich das Ehrengrab des „Heimatdichters“ Johannes Freumbichler befindet. Und dann nach Lehen in die Scherzhauserhauserfeldsiedlung, wo der sogenannte „Keller“ war. Das kleine Lebensmittelgeschäft des Karl Podlaha, in dem Thomas Bernhard als Lehrling arbeitete und tagtäglich „Unglücksmenschen in Armut und Verzweiflung“ beobachten konnte. Diesen Außenseitern der Salzburger Gesellschaft fühlte er sich nahe: „ich war nützlich, und meine Nützlichkeit war zur Kenntnis genommen worden.“

Ein längerer kulturpolitischer Kampf, an dem sich auch die ARGE mittels Schaffung eines nicht genehmigten Thomas-Bernhard-Weges im Nonntal beteiligte, war vonnöten, bis einige Jahre nach Bernhards Tod beschlossen wurde, diese Straße in Lehen nach dem Weltliteraten zu bennen.

Wir sind in der Thomas-Bernhard-Straße. Am Ziel.