märz-april 2004

Ulli Gschwandtner

Globalisierung des Zorns

Das vierte Weltsozialforum traf sich im Jänner 2004 in Mumbay (Indien)

Als Gegenveranstaltung zum jährlichen Treffen des Internationalen Währungsfonds (IWF) in Davos (Schweiz) konzipiert, trafen sich die KritikerInnen der neoliberalen Globalisierung nun bereits zum vierten Mal im Rahmen des Weltsozialforums. Die letzten drei Jahre fand das WSF am südamerikanischen Kontinent, in Porto Alegre, Brasilien, statt, nun wurde eine Ausnahme gemacht. Im ehemaligen Bombay, nunmehr Mumbay, Indien, trafen sich an die 70.000 Menschen, um über Alternativen zu neoliberaler Globalisierung und Krieg zu diskutieren. Das Novum, Asien als Ort des Treffens zu wählen, hatte vielfältige, nicht nur in der kulturellen Differenz liegende Auswirkungen. War doch das Jahr 2003 geprägt vom Angriff der USA auf den Irak und der damit einhergehenden Friedensbewegung, die sich am 15. Februar 2003 weltweit millionenfach gegen den geplanten Krieg manifestierte. Nun ist der Angriffs-Krieg scheinbar vorbei, die Besatzungsmacht USA führt jedoch nach wie vor Krieg im Irak, und es stellt sich die Frage, wie KriegsgegnerInnen auf die US-Besatzung mit einer gemeinsamen Positionierung reagieren können.

Die Aufregung war groß, als die indische Autorin Arundhati Roy vor tausenden GlobalisierungsgegnerInnen in Mumbay eine Rede hielt. Die Diskussionen kristallisierten sich vor allem um folgende Aussage Roys: „Wenn wir gegen Imperialismus und Neoliberalismus sind, dann müssen wir den Widerstand im Irak nicht nur unterstützen, dann müssen wir zum Widerstand im Irak werden.“ Mit dieser Aussage trifft Roy einen empfindlichen Punkt der Bewegung, und die Reaktionen darauf könnten kontroversieller nicht sein. Während sich der Sprecher der „Deutschen Friedensgemeinschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen“, Jürgen Grässlin, davon „enttäuscht“ zeigte, dass gerade „Arundhati Roy als Inderin auf Sprengstoffattentate und Heckenschützen setzt“, und vorschlägt, der – zwar „völkerrechtswidrigen“ – Besatzung dürfe allein mit „gewaltfreien Blockaden bis hin zu Generalstreiks“ entgegengetreten werden, deutet Attac Frankreich die Sache anders. Christophe Aguiton vom wissenschaftlichen Beirat der französischen Attac-Sektion meint, „natürlich hat das irakische Volk das Recht, gewaltsamen Widerstand gegen die Besetzung durch US-Truppen zu leisten“, und verweist auf das Recht der französischen Résistance, im Zweiten Weltkrieg Widerstand gegen die Besetzung durch Hitler-Deutschland geleistet zu haben.

Was jedoch aus der Rede Roys systematisch verschwiegen wurde, ist jene Passage, in der sie ausführt, dass „unser Widerstand mit der Zurückweisung der Legitimität der US-Okkupation beginnen [muss]. Das bedeutet Handeln, um es dem Imperium unmöglich zu machen, seine Ziele zu erreichen.“ Diese Passage ist deshalb von Bedeutung, weil der Ansatz des Widerstandes nicht auf die Frage der Methode reduziert wird, sondern auf die Delegitimierung der US-amerikanischen Besatzung zielt. Roy schlägt in diesem Zusammenhang vor, bei der Abschlussfeier in Mumbay zwei wichtige Unternehmen zu benennen und auszuwählen, die von der Zerstörung des Iraks profitieren. „Wir könnten ihre Büros in jeder Stadt und in jedem Land der Welt lokalisieren. Wir könnten sie jagen, zur Schließung zwingen.“ Ausgewählt wurden schließlich neben Bechtel (jener US-Konzern, der massiv von Wiederaufbauprojekten im Irak profitiert) – wen wundert’s: Nestlé und Coca Cola – der Konzern pumpt allein im südindischen Kerala täglich 600.000 Liter Grundwasser für die Produktion der braunen Suppe ab, die Folgen sind fatal.

Was Roy verlangt, ist Gerechtigkeit und Überleben. „Aus diesen Gründen müssen wir uns als im Krieg befindlich betrachten“, schließt Roy ihre Rede. Für Europa und Österreich könnte dies – als gemeinsame Strategie der Delegitimierung der US-Okkupation und damit der US-Hegemonie – bedeuten, dass die BürgerInnen die letzte Macht, die ihnen geblieben ist, nämlich jene ihres Verhaltens als KonsumentInnen, in Anspruch nehmen. Konsequenter Boykott von Waren und Dienstleistungen wären die logische Folge. Dies muss nicht nur José Bové in Frankreich mit seinem konsequenten Kampf gegen die US- und EU-Marktpolitik überlassen werden. Jede/jeder kann täglich entscheiden, Coca Cola zu kaufen oder eben nicht.