märz-april 2004

Wolfgang Drechsler

Vom Schaufenster ins Geschäft

Vor der Fußball-Europameisterschaft in Portugal

Fußball und Alltag

Der Versuch eines Vergleichs auf Basis oberflächlicher Grundparameter ist ein verlockendes Mittel, um sich Kommendem anzunähern. Und auf den ersten Blick scheint sich das aktuelle Gastgeberland Portugal dafür gut zu eignen. Wesentlich aufschlussreicher und dabei nicht annähernd so langweilig ist jedoch das Eintauchen in die portugiesische Alltagskultur, in der Fußball mit all seinen Facetten einen nicht zu unterschätzenden Stellenwert genießt. Diese nicht allzu neue Erkenntnis hat sich auch der faschistische Diktator Salazar zunutze gemacht. Den üblichen Repressionsmaßnahmen standen die drei F’s – Familie, Fado & Fußball – als subtil gestaltete Herrschaftsinstrumente zur Seite. Ohne simple Eindeutigkeiten ausreizen zu wollen, wirkt dies bis heute nach, und führt selbst fußballbegeisterte Menschen nur zu oft in eine teilweise surrealistische Welt, die im Kleinen beginnt. In Lissabon gibt es fast kein Café oder Tasca, wo nicht eine der beiden Fußballtageszeitungen „Record“ oder „A Bola“ aufliegt, und wem dies nicht genügen sollte, der kann beruhigt auf das wöchentlich erscheinende Vereinsmagazin seiner Präferenz zurückgreifen. All diese scheinbar sinn- und substanzlose Nullinformation zu inhalieren erscheint immens wichtig, gilt es doch z. B. den Nachbarn am gegenüberliegenden Tisch trotz mehr als 40-jähriger Erfolglosigkeit davon zu überzeugen, dass die Löwen, konkret Sporting, die Zukunft gehört. Indes wird in den Fernsehnachrichten die juristische Aufklärung des Pädophilenskandals vom wirklich brennenden Thema Präsidentenwahl bei Benefica abgelöst. Werbespots, Talkshows und Plakatschlachten der verschiedenen Kandidaten mögen hierzulande befremdlich wirken, doch wer über mehr als doppelt so viele Mitglieder wie die große Regierungspartei verfügt, ist, ob beabsichtigt oder nicht, Teil der politischen Landschaft und reproduziert folgerichtig die mediale Gaukelei.

Prinzip Hoffnung

Mit freudigen nationalen Anlässen in Portugal verhält es sich wie mit weißen Weihnachten im Alentejo: Sie liegen unvorstellbar weit zurück, und nicht einmal der tröstlichen Sage vom aus dem Atlantiknebel entsteigenden König, der das 5. Empire errichtet, wird mehr so richtig Glauben geschenkt. Wenig verwundlerlich, dass der Zuschlag für die Euro 2004 sowohl vom Establishment als auch den Untertanen freudig begrüßt wurde, muss doch einem Ereignis dieser Kategorie die Hoffnung geradezu eingeschrieben sein. Nichts wie raus aus der Abstiegszone, bürokratisch festgehalten in sämtlichen EU-Statistiken, und hinein ins exklusive Schaufenster der Modernität, doch schon bald liegt der schale Geschmack von den Mühen der Ebene in der Luft. Die Zeit drängt, um aus den alten Netzwerken – u. a. „verdiente“ Manager der EXPO 98 – vertraute Bodentruppen zusammenzustellen. Zivil nennt sich dies Gesellschaft, und so wurde neben der „Euro 2004 S. A.“, verantwortlich für die sportliche Komponente, die „Portugal 2004 S. A.“ installiert. An letzterer mit dem enormen Aufgabenbereich „Errichtung der notwendigen Infrastruktur“ hält die portugiesische Regierung offiziell einen 95-prozentigen Anteil, die dafür erforderlichen 100 Prozent Hoffnung wurden in jedem Konzeptpapier wohlweislich ausgespart. Vielmehr wurde selbstsuggestiv ein nationaler Kraftakt beschworen, wissend, dass trotz leerer Kassen und Konjunkturflaute die Errichtung von fünf neuen Stadien sowie die Sanierung und Ausbau nochmals so vieler am Plan stand.

Besuch mit Konsequenzen

Anfang des Jahres 2002 füllt sich der ansonsten recht glitschige Begriff des Controllings mit Leben. Zu Gast im Lande ist wieder einmal Ernie Walker, UEFA-Verantwortlicher für Stadien und Sicherheit. Was er zu sehen bekommt, entspricht nicht annähernd seinen Vorstellungen. Anstatt zukunfsträchtiger Konturen angehender Fußballkathedralen zu bewundern, drehen lustlose Baggerfahrer auf den Baustellen ihre Runden.

Gleichzeitig ist mit den politischen Verantwortlichen auch nichts anzufangen, sind doch diese aufgrund der aus den Regionalwahlen resultierenden erdrutschartigen Machtverschiebung nun damit beschäftigt, über die Rechtmäßigkeit zuvor abgeschlossener Verträge zu diskutieren. Die UEFA droht als Reaktion, Portugal die Europameisterschaft zu entziehen, während die ersten Leichenfledderer des offensichtlich Scheintoten ihren Abgesang anstimmen. In einem Artikel der spanischen Tageszeitung „El Pais“ wird das ungebetene – für Portugiesen schlicht und einfach unmoralische – Angebot offeriert, dass der galizische Fußballverein Celta de Vigo sein Stadio Balaidos liebend gerne für die „Realisierung des Events“ zur Verfügung stellen würde. Dem nicht genug, legt die lokale Führung der spanischen PP (Partido Popular) ein Schäuferl nach und unterstreicht den möglichen synergetischen Tourismuseffekt, der aus einer gemeinsamen Austragung resultieren könnte. Die Demütigung scheint gewirkt zu haben. Rund ein Jahr später zeigt sich derselbe Ernie Walker überwältigt und beeindruckt. Ein Stadion nach dem anderen wird im Monatsrhythmus eingeweiht. Besonders rührend gestaltet sich die volkstümlich gehaltene Inauguration des neuen Stadio Algarve. „Wir sind ein armes Land. Wir können unser Geld nicht für aufwendige Eröffnungen verschwenden. Wir müssen mit dem leben, was wir haben, und stolz auf das Erreichte sein“, teilt Bürgermeister Vitorino holprig den Journalisten mit.

Geschäft bleibt Geschäft

Ein Blick auf die aktuellen Bauprojektabrechnungen zeigt wie recht dieser Mann hat. Bei einer zugesicherten Fördersumme von 25 Prozent der vorveranschlagten Gesamtkosten in Höhe von 426 Mio. Euro seitens der „Portugal 2004 S. A.“, steht gegenwärtig unter dem Strich ein Betrag von rund 650 Mio. Euro, und ein Ende ist noch immer nicht abzusehen. Noch zu Jahresende erweckte die unmittelbare Umgebung des Stadio Alvalade (Sporting) und des nicht einmal drei Kilometer entfernten Stadio de Luz (Benefica) unmittelbar Assoziationen an ein Erdbebenszenario, während das geplante Verkehrskonzept weiterhin nur als Modell existiert. Indes schiebt man sich in der Frage der Defizitabdeckung gegenseitig den Ball zu, und ohne prophetisch sein zu wollen, ist abzusehen, dass der Großteil an den Kommunen haften bleiben wird. Natürlich gibt es auch Gewinner, wie den Baukonzern Samague, der allein die Hälfte alle Projekte abwickelt(e), was der Filmemacher Joao Botelho mit der Aussage „wir leben im Königreich der Baukonzerne“ kommentiert.

So führt einen am Ende das Schaufenster der Modernität direkt hinein ins Geschäft. Dem Spanier ist nach der wackeligen Qualifikation – selbst beim alten Portugiesen kam leichtes Nervenflackern auf – mit Blick auf das erhoffte touristische Potenzial sein kleiner Fauxpas verziehen und in einigen der in den Stadien integrierten Freizeit- und Shopping-Malls klingelt bereits heute die Kassa. Wer einmal die erschütternd freudigen Gesichter gesehen hat, kann es unschwer erahnen: One for the money, two for the show!