märz-april 2004

Doc Holliday

Das Andräviertel – Fine Arts, Little Italy und Big Money

Über die widersprüchliche Vielfältigkeit eines Salzburger Grätzels. Teil zwei: kleine Läden, laute Spelunken und der ewige Spießer.

Noch einmal geriert sich ihr ergebener Schriftführer als „weltläufiger Citoyen“ (wie Matthias Altenburg den Flaneur charakterisiert) und schnürt die Wanderstiefel der Marke Doc Martens. Letzten Monat legte der Flaneur eine rekordverdächtige Strecke zurück: von der Andräkirche über das Café Wernbacher zur Volks- und Hauptschule in der Haydnstraße. Dort wo Albert Einstein vor bald 95 Jahren einen Vortrag hielt und der große Heimatdichter Thomas Bernhard die Stadt Salzburg und die Autoritäten lieben lernte, fängt plötzlich der Magen zu knurren an. Leider sind gerade Semesterferien, die SchülerInnen, denen man das Pausenbrot abschnorren könnte, also abwesend. Kein Problem im Andräviertel, wo viele gastliche Stätten zur Einkehr einladen.

Klein-Italien für Kleinbürger?

In keinem anderen Stadtteil der Festspielstadt bieten so viele italienische Ristorantes, Trattorien und Osterien ihre kulinarischen Köstlichkeiten an. Und das Überraschende daran: Die Mitarbeiter, Pächter oder Besitzer sind auch noch meist „echte“ Italiener. Also auf ins „Pasta e Vino“ in der Wolf-Dietrich-Straße. Bei schönem Wetter vermittelt schon der piccolo Schanigarten etwas mediterranes Flair. Spätestens beim Überschreiten der Schwelle der kleinen Wirtschaft stellt sich südländische Atmosphäre ein. Es gibt wegen der geringen Auswahl keine Speisekarte - dafür schmeckt das Essen umso köstlicher. Der Wein taugt auch nur zum Trinken und nicht als Frostschutzmittel oder Essig. Wer im „Pasta e Vino“ keinen der – nicht gerade im Übermaß – vorhandenen Sitzplätze ergattern oder schlicht keine Zeit erübrigen kann, dem bleibt immer noch der Gassenverkauf. Zu diesem Zweck befindet sich eine Vitrine im Lokal, die ordentlich gefüllt ist mit Spezereien aus unserem südlichen Nachbarland. Überhaupt, das muss an dieser Stelle einmal ausgesprochen werden: ein allgemeines und vorbehaltloses Lob der Vitrine! Vorausgesetzt hinter der Glasscheibe befinden sich kulinarische Schätze. Ein erfreulicher Anblick, der zum Glotzen verleitet. Spannender und anregender als beinah jedes Fernsehprogramm, vielleicht mit Ausnahme eines Videos von „Das große Fressen“ oder einem gut sortierten Terrarium mit allerlei exotischem Kriechgetier darin.

Mit gut gefülltem Wanst verlässt der Flaneur den Laden, nur um verwundert festzustellen: Ich bin doch eigentlich gar nicht in Little Italy. Obwohl sich im Andräviertel viele Friseure niedergelassen haben, sucht man den Barbier, bei dem sich die Capos zum „Wilden gestikulieren mit dem Rasiermesser“-Showdown treffen, vergebens. Die Gambino-Familie oder der ehrenwerte Don Corleone, diese erfreulich klischeefreien Bilder des italienischen Patenonkels, verirren sich eher selten in die Salzburger Neustadt. Auch verkehren im Andräviertel nur wenige Vespas oder Moto Guzzis. Was wiederum den heimischen Unfallstatistiken nicht weiterhilft. Wer Klein-Italien sucht, soll nach New York oder Bologna. Von Groß-Italien reden wir erst gar nicht. Basta!

Das Andräviertel

und die Weltkugel

Gut genährt und abgefüllt weiß der Flaneur nach Verlassen des exotischen Lokals oft nicht mehr so genau, wo er sich gerade befindet. Kein Problem, in diesem Grätzel haben die Weltenlenker wirklich an alles gedacht.

Nur einige Meter vom „Pasta e Vino“ steht ein Globus in der grünen Wiese. Um den gewissenhaften Weinverkoster nicht vollends zu verwirren, dreht sich die Weltkugel nicht allzu schnell und übermittelt uns (zumindest) drei Botschaften: Du bist noch von dieser Welt (und das ist gut so). Dein momentaner Standort auf dem Erdenrund ist hier nicht eingezeichnet (das ist ein tourismusfeindlicher Skandal). Und schließlich klärt der Globus die Frage, wem denn die Welt eigentlich gehört. Nämlich der in einigen Meter Entfernung angesiedelten lokalen Dependance der Österreichischen Nationalbank. Was ja wohl nur als Metapher verstanden werden kann, im Sinne von: Den Banken gehört die Welt.

Tatsächlich errichteten in den 80er Jahren zahlreiche Geldinstitute ihre örtlichen Zentralen in dieser Gegend und „übernahmen“ Gebäude, die einst populären Vergnügungen dienten. Bestes Beispiel dafür sind die 1926 gegründeten „Kammerlichtspiele Mirabell“, in denen 1988 die Projektoren endgültig abgeschaltet wurden. Seitdem befinden sich dort Büros der Salzburger Sparkasse. Die unermüdliche Aufklärungsarbeit, die im Mirabellkino in Sachen Trash-Film geleistet wurde, droht in Vergessenheit zu geraten.

Im Immobiliengeschäft mischen neben den (Groß)Banken auch die Versicherungen munter mit. Vor allem die Wiener Städtische, die in der Gegend Wohnhäuser und auch die „Senioren Residenz Mirabell“ besitzt. Letztere liegt in der Faberstraße/Ecke Franz-Josef-Straße am früheren Standort des Hotel Winkler.

Gutbürgerliche Hochstapelei und niedere Instinkte

Wer wie ihr Flaneur aus Lehen kommt, dem sticht trotz (oder vielleicht gar wegen?) all des im Andräviertel ansässigen „bunten“ Künstlervolkes, der aufgeklärten Medienmenschen und der ebenso lebensfrohen wie kritischen Geister doch eines schnell ins Auge: das ist ein im Grunde gut- bis kleinbürgerlicher Stadtteil. Damit das gediegene und gehobene Klientel bis zum bitteren Ende ein wenig Lebensfreude behält, heißt das Altersheim hier auch „Senioren Residenz“. Die gewieften Werbefuzzis wissen schließlich um die Macht der Semiotik. Ein schöner Schein, darf es schon sein.

Ein Blick in einschlägige Lokale, die man im Grätzel zuerst gar nicht vermutet, zeigt noch eine andere Seite: das geistferne Rülpsen des Stammtischs. Ein gängiges Vorurteil lautet, dass es die richtigen Wiener Branntwein-Stuben in der Festspielstadt gar nicht gibt. Ein Irrtum, wie der Blick in ein Tschecherl in der Linzer Gasse verrät. Nicht lange verschafft die seltsame Lokalität dem Flaneur Erlösung vor der anderenorts zur Schau gestellten Bürgerlichkeit. Spätestens wenn im euphemistisch mit der Aufschrift „Spirituosen“ gebrandmarkten Branntweiner-Verschnitt der (zahlenmäßig übermächtige) Pöbel die zweifellos existierenden Weltübel lautstark den Juden anlastet, sucht jeder vernünftige Mensch das Weite. Um mindestens eine Erkenntnis reicher: Zuviel Inländer-Stroh-Rum kann inländische Hohlbirnen nicht kurieren.

Die Reiseachterl und andere Verzweiflungstaten

Der geneigte Leser mag sich jetzt fragen, ob denn Flaneure aus Sicherheitsgründen nicht bewaffnet sind. Nein, lautet die Antwort. Salzburg ist ja nicht Tombstone – und darf es auch nie werden. Abhilfe schafft eventuell ein Besuch einer anderen nicht eben gut beleumundeten Spelunke: dem „Weinfassl“. Wer den richtigen Zeitpunkt erwischt, könnte hier eine veritable Puffen gegen ein geringes Entgelt (in Form eines Obstlers) ausleihen – sofern das Schießgerät nicht gerade hinter der Theke zur Friedensstiftung Verwendung findet. Nein, war nur Spaß. Auch „Omas und Opas Spielzeugladen“ in der Auerspergstraße führt bloß harmlose Militaria für Jung und Alt.

Dann doch wieder lieber zum Slow Food und Fast Wine mit den diversen Toskana-Fraktionen beim Italiener. „Benvenuti da Celestino – Bar di Vino“ heißt der Shop und die Vinoteca im Crowne Plaza Pitter Hotel. Beim guten Celestino trinkt man bekömmliche Weine und futtert dazu Salami vom Wildschwein. Dass sich hierher großitalienische Duce-Anhänger verirren, erscheint unwahrscheinlich. Mit Herrn Celestino hätten sie jedenfalls keine Freude. Genau wie die heimischen Rechtsextremisten, die sich früher bisweilen im Pitter-Keller zusammenrotteten. Das stimmt dann doch wieder sehr fröhlich.