dezember 2003 - jänner 2004

gehört

Musik

Various Artists

Tales From The Australian Underground: Singles 1976 - 1989

Feel Presents Pty Ltd. 2003

Australien: Fünfter Kontinent heißt nicht fünftes Rad am Wagen des Rock’n’Roll. Spätestens ab den frühen 70er Jahren entwickelten sich „down under“ lebendige und aufregende Szenen. Der Konzertveranstalter und Manager Tim Pittman arbeitete fünf Jahre an der Zusammenstellung dieses Samplers, der die produktive Zeit von 1976 bis 1989 auf zwei CDs dokumentiert. Vorzeigefan Pittman versammelt insgesamt 46 Tracks, die im Original allesamt auf Singles erschienen sind. Was mit den hart rockenden Stooges-Apologeten Radio Birdman beginnt, findet mit einigen (zumindest dem Kenner geläufigen) vorzugsweise hierzulande eher unbekannten Bands seine wohlklingende Fortsetzung. Klassischen Punkrock bieten etwa die völlig unterschätzten Saints (mit Chris Bailey und Ed Kuepper – Letzterer gern gesehener Gast in der ARGE!), die Cosmic Psychos, die Hard-Ons, The Celibate Rifles oder die Ramones-Verehrer The Eastern Dark. The Riptides orientieren sich eher an den Buzzcocks, die Lipstick Killers halten es mit Blondie. Auf dem zweiten Silberling tönt es dann roher und primitiver: die grandiosen Scientists (mit Kim Salmon, auch wieder so ein Künstler, der einst in der ARGE aufspielte), The Moodists oder die Feedback-Attacken von den wunderbar verstörenden Thug – deren Sänger Tex Perkins seinerzeit mit den Beasts Of Bourbon die ARGE beehrte. Zwischen all dem Lärm strahlen funkelnde Pop-Pretiosen von The Triffids oder den Lighthouse Keepers und psychedelische Offenbarungen vom Kaliber der düster-orgellastigen Died Pretty, die Dylan und die Doors mit Punk versöhnten. Apropos Offenbarung: Die erste Single von Nick Caves Birthday Party oder die New Christs müssen ob ihrer Qualitäten noch extra hervorgehoben werden. Pittmans Erzählungen sollen übrigens irgendwann fortgesetzt werden. Echte Nuggets aus der üppig gefüllten Schatztruhe verlieren eben nie ihren Glanz!

Doc Holliday

Various Artists

A Touch Of Class Sucks!

A Touch Of Class

Electro-Clash, jener (Retro-)Mix aus Punk-Attitude, No/New-Wave-Ästhetik, Disco-Junk und Glamour-Trash, ist nun auch schon etwas abgefrühstückt. Oder auch nicht. Denn was sich die Fashion-Victims des „A Touch Of Class“-Labels so alles in Sachen 80er-Zombie-Wiederbelebungen leisten, ist mitunter schon ein starkes Stück Tobak. Da werden munter Bee Gees-Vocals gegen den Strich mit Foreigner- („Urgent“) und Surviver-Riffs („Eye Of The Tiger“) verdekonstruiert, wird „Miami Vice“ im Geiste von Dario Argentos psychotischer Edgar Wallace-Italo-Sex-Splatter-Transformation „Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe“ verhackstückt und rappelt es gehörig in der Euro-Trash-Kiste. Bastard-Electro im Geiste von Andy Warhol und John Waters. Didi Neidhart

Silikon Soul

Pouti

Disko B

Das New Yorker Duo Silikon Soul, bestehend aus dem Minimal-Musiker und Artificial Intelligence-Forscher K. L. Schafer und die afro-amerikanische Sängerin Olgalyn, legte 1981 mit dem Prä-Techno-Hit „Who Needs Sleep Tonight“ einen Klassiker in Sachen elektronischer New Wave vor, der sowohl zum ersten Remix von DJ Hell wie zur Katalognummer Eins des Münchner Techno-Labels Disko B führen sollte. „Pouti“ versammelt erstmals alle zwischen 1979 und 1987 produzierten Tracks dieses wohl nur mit Größen wie Suicide vergleichbaren Duos. Visionäre, minimalistisch-hypnotische Sounds, voll versteckt-laszivem Glamour und unterkühlt brodelnden Rhythmiken. Unglaublich seltsame, selbstgenerierte elektronische Analog-Exotica. Meilenstein!

Didi Neidhart

Rhythm & Sound

w/ The Artists

The Versions

Basic Channel

Neben der „Kölner Schule“ um Labels wie Kompakt und Studio 1 gehören die Produktionen der technoiden Berliner Dub-Reggae-Spezialisten von Basic Channel zu den wohl faszinierendsten wie bahnbrechendsten Dokumenten einer durch elektronische Krautrock-Experimente gefilterten Neudefinition von Techno. Wobei gerade bei Rhythm & Sound das Dreieck Berlin, Detroit, Kingston derart gekonnt bearbeitet wird, dass selbst Kraftwerk auf ihrer aktuellen CD „Tour De France Soundtracks“ deren Techno-Dub kopierten. Ganz im Sinne jamaikanischen Musikdenkens gibt es neben der vokalen „Artists“-CD (u. a. mit Reggae-Größen wie Cornel Campell) auch die Dub-Versions. Wenn der Dub-Spezialist Luke Ehrlich schreibt „dub is Africa on the moon“, dann sind das hier Signale vom Saturn. Mindestens!

Didi Neidhart

Kings Of Leon

Youth & Young Manhood

RCA/BMG 2003

Diese Debüt-LP mag die Kings Of Leon (vier Grünschnäbel im Alter von 16

bis 23 Jahren – allesamt aus der Hauptstadt des Country, Nashville/Tennessee) zu momentanen Darlings der Musikpresse gemacht und ihnen die Bezeichnung „Southern Strokes“ eingehandelt haben. Von derartigem Hype (und dem Vergleich mit den notorisch überschätzten Strokes) darf sich der Musikliebhaber aber nicht von der real existierenden Klasse der Band ablenken lassen. Frei nach Sly Stones altem Motto „It’s A Family Affair“ rocken die Brüder Caleb, Nathan und Jared Followill und ihr Neffe Matthew Followill in bester Südstaaten-Manier. Wen schert es, ob ihr Vater tatsächlich als Wanderprediger den White Trash missionierte – wie es Legende und Bandbiografie will. Die Sons Of A Preacherman tanzen mit den Klapperschlangen und spielen eine wunderbare Mischung aus erdigem Boogie, Garagen-, Country- und Hard-Rock mit Punk-Elementen. Der Sound erinnert an die Black Crowes, Credence Clearwater Revival, Lynyrd Skynyrd (alles Bands, in denen bekanntlich auch Brüderpaare werkelten) oder an die Faces. Für Freunde eines mythologischen Amerika, die Freude an Wurzelbehandlungen haben.

Doc Holliday