dezember 2003 - jänner 2004

gelesen

Bücher

Kurt Palm

Der Brechreiz eines Hottentotten.

Ein James-Joyce-Alphabet

von Aal bis Zahl.

Wien 2003, Löcker Verlag

Kennen sie Joyce? Im Fall des Wiener Regisseurs und Publizisten Kurt Palm lässt sich diese Frage eindeutig mit Ja beantworten. Damit befindet er sich in Gesellschaft einiger weniger Literatur- und Sprachwissenschafter sowie Übersetzer, die sich normalerweise an den Werken des irischen Poeten jahre-, ja, jahrzehntelang abmühen. Für den Rest der Menschheit, selbst jene, die sich Intellektuelle schimpfen, gilt das aber nicht. Es mag noch angehen eines der Hauptwerke, sagen wir den „Ulysses“, im Bücherregal als Ansichtsexemplar zu lagern – aber den Schinken auch tatsächlich gelesen zu haben, das Kunststück schaffte nicht einmal Marcel Proust (der Joyce ansonsten sehr zugetan war) oder Henri Matisse (der immerhin eine Ausgabe des 1922 erschienenen Romans illustrierte). Irlandfreund Palm hat sich in die Werke von Joyce vertieft und präsentiert nun dieses wunderbare und tatsächlich sehr komische Aufklärungsbuch über die eigenartige Parallelwelt des von Kritikern einst als „Latrinenliterat“ oder „pervertierter Irrer“ geschmähten Autors. Vom „heiligen Aal“ bis zur „Todeszahl 13“ erfährt man (fast) alles aus Werk und Leben des James Joyce. Palm gibt Kochrezepte preis, erörtert die Krankheiten des 1904 auf den Kontinent „geflüchteten“ Joyce, beschreibt dessen Angst vor den „sinnlosen und grässlichen Gewittern“, referiert über die „Nutzbarmachung von menschlichen Exkrementen“ und vergisst auch nicht über die Onanie, den Rausch und Joyces gescheiterte „Karriere“ als Kinobetreiber zu berichten. Dort wo Literaturwissenschafter mit ihren trockenen Abhandlungen oft den Blick auf die Werke eines Autors verstellen, liefert der gelernte Germanist Palm (wie schon für Stifter und Kafka) einen gänzlich anderen Zugang: Leseanimation und Spaß

garantiert.

Doc Holliday

Willi Resetarits/Hans Veigl (Hrsg.): Beatles, Bond und Blumenkinder. Unser Lebensgefühl in den sechziger Jahren

Wien – Köln – Weimar 2003,

Böhlau Verlag

Endlich! Darauf mussten wir lange warten. Eine „Fortsetzung“ des kommerziell sehr erfolgreichen „Wickie, Slime und Paiper“-70er-Nostalgie-Bändchens im gleichen Verlag und in identischer Aufmachung. Freilich mit dem Unterschied, dass die versammelten Autoren von „Beatles, Bond und Blumenkinder“ den politischen Entwicklungen der damaligen Zeit mehr Aufmerksamkeit schenken. In fünf Abschnitte gegliedert, kramen eine Reihe namhafter Persönlichkeiten in ihren Erinnerungen und erzählen Schwänke aus der Jugendzeit. Unter den 25 Autoren befinden sich Literaten wie Peter Turrini, Gerhard Roth, Wilhelm Pevny, Antonio Fian, Rolf Schwendter oder „unser“ Christian Wallner, die Architekten und Künstler Friedrich Achleitner, Timo Huber und Hermann Nitsch, die Musiker Georg Danzer, Ludwig Hirsch, Roland Neuwirth, Schiffkowitz und Stefan Weber, die Journalisten und Medienarbeiter Rudi Dolezal, Wolfgang Kos, Günter Tolar, Alfred Treiber und Wolfgang Maria Gran – letzterer als „Schreibhilfe“ des amtierenden Fußballteamchefs Hans Krankl.

Dazu kommen noch der Schauspieler Ernst Stankowski, der Theologe Adolf Holl, der Soziologe Roland Girtler und last but not least die aus Funk und Fernsehen bekannten Resetarits-Brüder Willi, Lukas und Peter. Eine veritable Ansammlung von üblichen Verdächtigen also, die ihre Hinterstübchen nach Anekdoten über eine gute alte Zeit des Aktivismus durchforstet haben. Freilich bleibt noch genug zu tun, um die 60er und 70er ernsthaft aufzuarbeiten: eine umfassende Oral History (nach Vorbild der Studs-Terkel-Bücher etwa) fehlt bis zum heutigen Tag.

Ein Teil der Erlöse aus dem Verkauf dieses Buches geht übrigens an das Integrationshaus Wien. (Spendenkonto 00671130300 Bank Austria BLZ 20151 lautend auf Verein Integrationshaus)

Veranstaltungstipp: Am 9. Dezember stellen die beiden Herausgeber die Anthologie in der ARGEkultur vor und dazu singen, spielen und lesen Kurt Ostbahn, Hans Krankl, Schiffkowitz, Peter Resetarits, Wolfgang Gran, Roland Guggenbichler, Peter Angerer und Christian Wallner. Erfüllen sie ihren Generationenvertrag und spenden sie für das Altenteil der gezähmten (?) Widerspenstigen!

Doc Holliday

Julius Deutschbauer/

Gerhard Spring

Politisch für Künstler – Der

Lehrgang zum erfolgreichen politischen Künstler in 12 Lektionen

Triton 2003, 319 Seiten

Das Duo Deutschbauer/Spring zeigt seit der schwarz-blauen Wende mit Kunstaktionen wie „Wursteln statt Wählen“, „Widerstandl“ oder „Metzger Morak“, dass so etwas wie „politische Kunst“ auch in Österreich durchaus möglich ist, ohne dabei den einen Begriff durch den anderen zu diffamieren. Daher lauten auch die zwei Grundsatzmaximen, „die das Handeln von politischen KünstlerInnen leiten“ logischerweise „Sei politisch!“ und „Sei KünstlerIn!“.

Dieselbe Logik weiß nun aber ebenfalls um die Schwierigkeiten eines solchen Unterfangens. Denn ohne profunde Kenntnisse spezifischer politischer Theorien und damit einhergehender philosophischer Diskurse verschwimmen bekanntlich die Unterschiede zwischen Kopf- und Bauchweh, und der Stammtisch – auch wenn er sich als „linker“ wähnt – erhebt sein gräuliches Haupt. Was machen nun Deutschbauer/Spring? Kurz gesagt, pointiert-fundierte Vorlesungen zu Themen wie u. a. Subkultur („Es geht darum, mit dem Randständigen, Stückwerkhaften der Subkultur, mit dem Herumbasteln, Fortwursteln, dem Hybriden und Synkretistischen den einen, sich konsolidierenden Sinn der Kultur auseinanderzutreiben.“), Widerstand („Links am Ende, rechts am Ende gibt es viele Widerstände, welche die mittlere Spannung des Apparats regulieren.“), Arbeit („Unproduktive Freiheit statt produktiver Knechtschaft [...], bezahlte Muße statt unbezahlte Arbeit!“) oder Geschlechterverhältnisse („Ziel ist, den Gattungsvertrag des Geschlechts zu brechen, indem man sich zum eigenen Geschlecht als einem Geschlecht verhält, das weder männlich noch weiblich ist.“). Immer verbunden mit der fast schon im Sinne Zizeks gestellten leninistischen Frage/Forderung „Was ist zu tun?“, dabei aber gleichzeitig weniger Farkasch & Waldbrunn oder Bronner/Qualtinger bemühend, als eher Dean Martin & Jerry Lewis (von denen sie sich auch deren berühmten „Hast du ein Bad genommen?“ „Wieso? Fehlt eins?“-Witz leihen) im Sinne des rhizomatischen Denkens von Deleuze/Guattari wie auch schwer eingedenk der radikal-demokratischen Ansätze von Laclau und Negri/ Hardt („Empire“) sowie Derridas „Grammatik“-Theorien weiterdenkend. Thematische Kurzreferate von u. a. Gerald Raunig, Armin Thurnher, Stella Rollig, Wolfgang Zinggl koppeln zudem die Theorie mit konkreten Realitäten. In diesem Sinne: „Wir sind von Kunst und zugleich von Unmengen dummer Bilder und Wörter durchdrungen.“

Kaufen, lesen, handeln!

Didi Neidhart