dezember 2003 - jänner 2004

Hans Lindenbaum

Ostbahn-Conny und die Chefpartie

Frauen auf Lokomotiven sind eine äußerst seltene Spezies. In einem Jahr soll sich ihre Quote vervielfachen.

„Servas Karin, derfst schon weiterfahrn, geh i halt wieder hoam“, grinst der Lokführer auf dem Freilassinger Bahnhof, als seine Kollegin den Führerstand verlässt und ihm die Maschine übergibt. Kurz nach Mittag. Dienstschluss für Karin Pastötter, 30 Jahre und seit fünf Jahren Lokführerin, nunmehr im Regionalverkehr der Deutschen Bahn auf südostbayerischen Strecken.

Sie ist an diesem Tag seit rund acht Stunden auf den Beinen, war schon in aller Früh in Salzburg, hat dann ein paar hundert Berufspendler nach München gebracht und fährt Mittag schon wieder über die Salzach – freilich immer nur bis zu den Hauptbahnhöfen. Ist das einer der Gründe, warum Frauen auf der Lokomotive gar so selten sind?

Schließlich ist Karin Pastötter in weitem Umkreis eine von ganz wenigen mit Lizenz zum Lokfahren. Fertig ausgebildet sind zwei Lokführerinnen der aus dem DB-Konzern „outgesourcten“ Tochter Südostbayernbahn in Mühldorf, bei der Salzburger Lokalbahn durchläuft eine weitere die Lokführerinnen-Lehre. „Und die Eva in Traunstein, die gibt’s a no“, fällt Karin Pastötter ein. Insgesamt steigen beim Deutsche-Bahn-Konzern rund 20.000 Männer und rund 300 Frauen auf Führerstände, bei den ÖBB gibt es unter 6800 „Radltreibern“ gar nur zwei.

Werben im Wahlkampf

Geht es nach dem Salzburger Arbeitsmarktservice (AMS) und den ÖBB, soll sich das bald ändern: Just während das Kräftemessen schwarz-blaue Bundesregierung gegen Gewerkschaft der Eisenbahner seine spannendste Phase erreicht; von künftig Tausenden Überzähligen bei den ÖBB die Rede ist; blauer Infrastrukturminister und schwarzer Staatssekretär verbissen versuchen, der Staatsbahn Reste sozialistischer Unternehmenskultur abzuringen, und sich das Bahn-Management ausschweigt, wie das sonst nur der Kanzler tut – just da geht man in Linz und Salzburg mit EU-Förderung daran, potenzielle Lokführerinnen mit dem Berufsbild zu konfrontieren.

Weil am 7. März 2004 ein neuer Salzburger Landtag gewählt wird, gerät der Einstieg ins Projekt im vergangenen Oktober zum Event für Gabi Burgstaller und Walter Blachfellner, beide Regierungsmitglieder der SPÖ. Entzückt gibt sich Burgstaller, als sie vom technischen Wunderwerk, der fabrikneuen „Taurus“-Lok steigt. Dass sie selbst lieber Lokführerin als Landeshauptmann-Stellvertreterin wäre, sagt sie dann doch nicht.

Aus Wien ist Conny Wieser dabei. 21 Jahr jung, hat sie die Ausbildung zur Lokführerin gerade abgeschlossen und tastet sich soeben im Berufsalltag weiter: „Verschub am Ostbahnhof, 300 Meter nach vurn, 300 Meter zruck.“ Wie ihre bayerische Kollegin („Wenn ma amoi woaß, wo man auf da Lok überall hinglanga muaß, geht’s scho“), so hat auch sie durchgehalten, in dieser hundertprozentig männlichen Chefpartie und Kollegenschaft.

Sie hat bis zur Prüfungsreife gelernt, wie eine Diesel- und eine E-Lok funktioniert; erkennen müssen, dass die Spielregeln der Straße im Vergleich zu jenen der Schiene ein Lercherl sind; verinnerlich, wie man mit der Verantwortung für hunderte Fahrgäste oder 3000 Tonnen Güterzug umgeht. „Einen Meter macht der Stapel der Lernunterlagen schon aus“, sagt Franz Reislhuber, Lehrlokführer und designierter Coach für acht Salzburger Kandidatinnen. „Also ein Band aus der Perlenreihe ‚Fahren leicht gemacht’ ist das nicht.“

Matura oder Berufsabschluss vorausgesetzt, sollen in 48 Wochen die Frauen zu Profis werden. Zum ersten Mal bieten die ÖBB am Standort Salzburg Flankenschutz durch den Verein „Frau und Arbeit“ an und locken ab Start der Ausbildung im April 2004 mit monatlichen rund 1630 Euro brutto. All das, um zu bewirken, dass es neben Polizistinnen und Soldatinnen, Frauen in Flieger-Cockpits und auf Kommandobrücken von Schiffen, Tramwayfahrerinnen, Bus- und Lkw-Lenkerinnen endlich auch „Triebfahrzeugführerinnen“ in herzeigbarer Zahl gibt.

Die Bundesbahnen brechen dabei mit jener klassischen Sozialisation vergangener Jahrzehnte, bei der 15-jährige Burschen in die Lehrwerkstätte kamen und vom ersten Tag an Mitglied der Gewerkschaftsjugend waren. Bis zur Bahre legten sie damit ihr weiteres Leben in den Schoß jener „Sozialistischen Eisenbahner“, die zum Beispiel bei den Personalvertretungswahlen 1989 einen Stimmenanteil von 88,4 Prozent erzielten.

„Frau am Steuer – ungeheuer“

Jene paar Frauen, die es wie Karin Pastötter und Conny Wieser in einer Männerwirtschaft geschafft haben, erleben offensichtlich mitunter eine Gratwanderung zwischen aufs Podest gestellter Vorzeigefrau und provokantem wie verunsichertem Männergehabe.

Da erzählt fürs Zeitschriften-Interview die junge Kölnerin, die es mittlerweile zum Führen der Prestige-Züge ICE gebracht hat, sie sei permanent von den Kollegen gefragt worden, ob sie denn auch einen Zug an die Lok anhängen könne: „Kannste denn auch kuppeln?“

In der Kundenzeitschrift, die in Zügen der Deutschen Bahn aufliegt, zitiert der Titel der Reportage über eine ebenso junge Frau, die mit dem 300-Stundenkilometer-Flitzer zwischen Köln und Frankfurt unterwegs ist, den Stoßseufzer „Huch, ’ne Frau am Steuer!“ Und, so ist zu lesen, der ablösende Kollege habe zum Journalisten gesagt: „Ist doch ’ne Süße, oder?“ Hat Textautor Hans Borchert diese Story eventuell am Rosenmontag recherchiert?

Bekannt aus Funk und Fernsehen, das galt um 1995 für die damals einzige Lokführerin der ÖBB. Auch ihr wurden stereotyp die Fragen gestellt, ob sie das alles schaffe, ob ihre Beziehung leide und ob sie Kinder wolle. Sie wiederum erzählte unverblümt, sie fange auf dem Führerstand eben laut zu singen an, wenn sie in einer endlos scheinenden Nacht mit einem Verschubgüterzug allein durch die Steiermark tingeln müsse und die Augen kaum mehr offen halten könne.Auch Karin Pastötter kennt diese Nächte aus ihrer Zeit mit den Güterzügen. Jetzt schaut ihr „Schichteln“ wenigstens nur mehr so aus, dass sie halt einmal um drei in der Früh heimkommt und ein anderes Mal um drei in der Früh aufstehen muss – Wochenenden und Feiertage eingeschlossen. Eine Besonderheit dieses Berufs, auf die auch die Bundesbahner in Salzburg immer wieder hinweisen.

Ein anderes Spezifikum wirft die Frage auf, warum erst jetzt die besondere Eignung von Frauen fürs Lokfahren entdeckt wird: Jungen Männern müsse das unbedingt notwendige defensive Fahrverhalten auf der Eisenbahn mühsam vermittelt werden, weil viele von ihnen ja auch auf der Straße gern aggressiv unterwegs sind – Frauen risikobereites Autofahren dagegen weitgehend fremd sei.