november 2003

Patricia Deiser
zu gast

In der Sackgasse des Wahnsinns

20. April 1945: Während die Russen im Vormarsch auf Berlin sind, feiert eine kleine, verschworene Gemeinschaft im Bunker eine letztes Fest: Hitlers 56. Geburtstag. Aber Partystimmung will so tief unter der Erde nicht aufkommen. Hitlers Freundin Eva ersäuft sich im Alkohol, Göring gibt einen Propagandasong für die Luftwaffe zum Besten, Goebbels hofft auf die Erlösung vom Unausweichlichen, wenn der Führer nur noch einmal die Stimme zum Volk erhebt. Doch der sitzt verloren auf einem Pferdekarussel, schaut in die Sterne – und schweigt. Bis er die Geburtstagstorte mit nur einer Kerze erspäht – da bricht die Wut durch. Währenddessen kann Goebbels Sohn Helmut nicht schlafen. Statt dessen philosophiert der kleine Besserwisser mit „Oberzimmerführer“ Linger (Hitlers Diener) über den Mond, der nicht wie im Schlaflied „aufgeht“ sondern die Erde „umkreist“, über Poesie und Dummheit, Dummheit die Empathie erzeugt.

„Stupidity produces Empathy“, dieser Satz läuft als roter Faden durch Neville Tranters Puppentheater „Schicklgruber alias Hitler“, mit dem der australische Theatermacher am 14. Oktober in der ausverkauften ARGEkultur gastierte. Eineinhalb Stunden saugt er sein Publikum in einen Miniaturkosmos emotionaler Extreme: die letzten Tage im Führerbunker als menschliche Tragödie. Tranters Spiel ist virtuos: wie er seine Figuren über die Bühne bewegt, ihnen ihre Stimme verleiht, sie interagieren lässt grenzt an Perfektion. Mit seinen zugleich komplexen und archetypischen Charakteren schafft er sich ein ideales Medium für sein Thema: die Strategien der Simplifizierungen und Verdummung der Massen durch politische Charismatiker. Diese Botschaft macht das Stück universal verständlich, denn: IRRE FÜHRER sind überall. Eine Rolle, die im Stück großes Gewicht erhält, ist die des – als einzigen uniformierten – Helmut. Durch seinen furchtlosen Blick auf das nahende Ende und seine kindlich-absolute Solidarisierung mit den „großen Männern“ im Bunker entlarvt er umso mehr die Verblendetheit, das Gescheitertsein der anderen.

Am Ende feiert nur noch einer: der Tod. Ein greller Entertainer, ein Scherzbold und Zauberer, der die Fäden zieht – genussvoll. Wenn er am Schluss des Stücks die Kerze ausbläst, sind alle im Bunker tot, die 30er -Jahre-Schlager Vergangenheit, das Schlaflied ist zum Todeslied mutiert. Das Lachen ist verstummt – auch im Publikum. Einhelliges Urteil: Ein außergewöhnlicher, großartiger Theaterabend!