november 2003

Michi Petrowitsch

Alles bleibt schlechter

Graz 2003, die so genannte freie Szene und das Später

Über dem Grazer Kulturbetrieb liegt ein Nebel gespeist aus einer Mischung von Kraft- und Orientierungslosigkeit. Die Eröffnung des neuen Kunsthauses dieser Tage und die Euphorie über jene Gelder die via Tourismus nach Graz zurückfließen und das Kulturhauptstadtjahr in irgendeiner Form legitimieren soll, verstellen den Blick auf die üblichen Probleme der freien Szene, die im Jahr 03plus extrem virulent werden.

Was haben wir gelernt aus Graz 2003? Zuerst einmal, dass Medienpartnerschaft und Kritiklosigkeit eng beieinander liegen können. Der letzte kritische Standard-Beitrag zum Thema datiert mit Dezember 2002, der sommerliche TV-Auftritt von Intendant Lorenz, wobei er sich zwei Vertreter aus der freien Szene vorknöpfen und sie vorführen durften, hatte mehr Aussagekraft in der Symbolik als durch den Content, und die Kleine Zeitung zeigt sich etwas bemüht um Nachhaltigkeit, wobei mitunter immer mal wieder eine Fortführung der 2003 Gesellschaft oder einer ähnlichen Institution herbeigeschrieben wurde. Beim neuen Wirtschafts-, Tourismus- und Kulturstadtrat Christian Buchmann ist dies auf wenig Gegenliebe gestoßen. Der hat unterdessen einen so genannten „open space“ initiiert, bei dem er an die 200 Institutionsvertreter, Initiativlinge und Kulturschaffende zusammengetrommelt hat, um sie ein bißl mitgestalten zu lassen. Die miese Stimmung unter den unbefriedigten Kulturarbeitern von ganz groß (weniger unbefriedigt, wie Peter Pakesch, dem frisch bestellten Kunsthausleiter, der mit seinem Statement mit einigen anderen die Veranstaltung so weit rettete, dass sie überhaupt über die erste halbe Stunde hinauskam) bis ganz klein (sehr unbefriedigt, ca. 80 Prozent der Anwesenden) mußte eine Linzer Moderationsfirma abfedern. Gut kalkuliert! So kam es an dem Nachmittag im neuen Grazer Literaturhaus Anfang September 2003 gar nicht erst zur Infragestellung der gesamten Vorgangsweise. Eine mögliche einheitliche Haltung gegen den Plan, in wenigen Wochen ein Kulturentwicklungskonzept aus dem Boden zu stampfen, das bis 2008 gelten soll, scheiterte an der Entsolidarisierung der Masse und an der erfolgreichen Segmentierung in „kritische Stimmen“, die sich zuerst zögerlich und dann umso vehementer und also de facto gegenseitig in einen Strukturarbeitskreis hinein nominiert hatten. Der wiederum arbeitete dann an drei Tagen Strategien aus, welche vor 800 (sic!) Geladenen in der neuen Listhalle präsentiert und nochmals zerredet wurden. Ein Vorgang irgendwo zwischen scheindemokratischer Fact-Finding Mission und strategisch geschicktem Schachzug. Dass in wenigen Stunden durch selbstinitiierte Workshops von seit Jahren und Jahrzehnten in diesen und artverwandten Business Tätigen unentgeltlich ausgespuckte Wissen hat beim Hochrechnen der Mannstunden einen fantastischen Mehrwert. Zudem wäre dies von keiner Firma der westlichen Hemisphäre zustande evaluiert worden, nicht in zwei Jahren. Selbstredend, dass Stadtrat Buchmann immer wieder davon spricht, dass es nicht mehr Geld abzuholen gibt. Das Land wiederum hat eine Evaluierungskommission beauftragt, um zu entscheiden wer was kriegt und wer nicht, sehr zum Unmut jener, die nicht in der Kommission sitzen und somit nicht über ihre eigenen Projekte entscheiden können.

Freilich platzt nun mittendrin die Nachricht herein, dass einigen Grazer Kulturplattformen wie KIG! (Kultur in Graz) nächstes Jahr der endgültige Todesstoß versetzt wird. Das AMS streicht kategorisch 50 Prozent der Gelder für Langzeitarbeitslosenprojekte, das Land wird dem von rot erfundenen und von schwarz missliebig übernommenen Projekt STWUK nicht mehr ewig die Treue halten.

Dass bei der Pressekonferenz zur Kunsthauseröffnung ausgerechnet der Künstler, der sein Eröffnungseintönen erklären wollte, mitten im Statement von der Moderation abgedreht wurde, nachdem alle von der Landespatronin bis zum Intendanten fleißig referiert haben, widerspiegelt die Dialektik des Scheinens. Graz hat über ein Jahrhundert auf sein Kunsthaus gewartet und füllt es jetzt mit einigen auserwählten Initiativen. Camera Austria, Grazer Kunstverein und Haus der Architektur haben es geschafft. Ein Schreiben des Autors dieser Zeilen an die neue Intendanz, um eine Art Starterzentrum für Kleininititativen in ein Kammerl des Hauses hineinzureklamieren, wurde bis Redaktionsschluss nicht beantwortet. Andererseits definiert sich Graz momentan über die offene Rede und eine inflationäre Ansammlung von Kulturdialogen, Foren, Jours fixes bei Stadt und Land und Institutionen: Reden hilft.

Die Kulturhauptstadt 2000 war Helsinki, dessen Intendant war dieser Tage zu Gast und beklagte die mangelnde Nachhaltigkeit seines Projekts und begründete dies unter anderem damit, „dass jeder auf den anderen gewartet hat, dass etwas getan wird“ und somit die Verantwortlichkeit hin und her geschoben wurde. Das Argument geht also in Richtung Eigenverantwortlichkeit. Dass bei Herrn Eskelinens Auftritt in Graz nur Kulturmanager und ein paar handverlesene Journalisten anwesend waren und „die Wirtschaft“ komplett ausgelassen hat, lässt einen trotz wiederholten Bemühens des Idioms „Kultur als harter Standortfaktor“ nicht mal mehr müde lächeln, wenn die Härte sich darin erschöpft, dass die Bauwirtschaft seit den 50er Jahren das erste Mal wieder ordentlich im Rahmen von Kunst und Kultur in den öffentlichen Raum eingreifen durfte. Kunsthaus, Murinsel, Stadthalle etc. sind in ihrer Härte unantastbar. Was tun? Der Rundfunk- und Fernsehschilling wird zweckentfremdet verwendet, die Freien brauchen Zugang zu den neuen Kulturstätten, das steiermärkische Kunst- und Kulturförderungsgesetz bedarf einer dringenden Reform, die Kulturinitiativen fordern einen Anteil aus den Verkäufen von öffentlichem Eigentum, der Tourismuszuwachs betrug in Graz im Jahr 2003 um bis zu 28 Prozent, die freie Szene hätte gern, dass ... usw. Und wer sich in den späten Septembertagen die Mühe machte die Kleine-Zeitung-Internetdebatte über die Zukunft der Kulturhauptstadt zu verfolgen und den Link anklickte, kam zu: „Lieber Besucher auf Kleine Zeitung Online, Sie sind auf einer Seite unseres Dienstes gelandet, die wir für gewöhnlich nicht der Öffentlichkeit präsentieren.“ Symbolik einseitiger Transparenz.