november 2003

an uns

Leserbriefe

Zur Bürgerlisten-Kampagne mit Promi-Zitaten

auch im »kunstfehler« Okt. 2003

Aristokratischer

Radikalismus?

Salzburgs Bürgerliste plakatiert ein Zitat des Philosophen Nietzsche. [...]

Nun hängt die Salzburger Bürgerliste den im Stau stehenden Pendlern ein Transparent vor die Nase, auf dem diese lesen: „Willst du das Leben leicht haben, so bleibe immer bei der Herde. (Friedrich Nietzsche) Bürgerliste.” Das kann man sich bei Nietzsche ausleihen. Soll man aber nicht. Soll man nicht, zumindest wenn man von sich behauptete, irgendetwas mit progressiver, emanzipatorischer Politik zu tun zu haben. Denn Nietzsche redet von der Herde, wenn er ein sich durch sein Werk ziehendes Motiv entwickelt: seinen „aristokratischen Radikalismus”, wie er ihn selbst nennt.

Dieser aristokratische Radikalismus denkt im Gegensatzpaar der Sklavenmoral und aristokratischer Moral. Wenn Nietzsche von der Herde spricht, meint er verachtend diejenigen, die in ihrem Leben reagieren und nicht agieren. Reagieren steht für jedes Handeln, das ausgelöst wurde durch Sympathie, Mitleid, Gehorsam, Nächstenliebe, Altruismus oder zum Nutzen eines anderen erfolgt. Die Begründung der eigenen Tat nicht aus sich selbst bestimmt bei Nietzsche die Sklavenmoral. Die Aristokraten, die die Herde verlassen haben oder besser nie zu ihr gehört haben, sollen diese Herde keineswegs leiten, sondern auf ihr stehen, sie als Basis nutzen, auf der sie als höhere Spezies ihre eigenen Aufgaben leben. Widerwärtig empfindet Nietzsche den Gedanken, die Herde könnte sich wehren. Der Sklavenaufstand ist an sich wieder Reaktion und somit wieder in der Skavenmoral verhaftet. Folgerichtig meint Nietzsche, dass das Unrecht nicht in ungleichen Rechten sondern in „gleichen“ Rechten liegt. Diese wiederum drohen nach dem Sklavenaufstand. Aufgabe des höheren Menschen, allen Stolzes, ist es, sich über die Masse, die Herde zu stellen und den Widerspruch zu ignorieren oder bestenfalls zurückzuweisen. Jetzt könnte es natürlich sein, dass die Bürgerliste, oder ihre Werbeagentur, ihr Zitat in unverdächtigem Umfeld gefunden hat. Aber leider ist auch das nicht der Fall. [...] Das Zitat lautet in ganzer Länge so: „Willst du das Leben leicht haben, so bleibe immer bei der Herde. Vergiß dich über der Herde! Liebe den Hirten und ehre das Gebiß seines Hundes! Verstehst du zu bellen und zu beißen, nun – so sei der Hund der Herde: so machst du dir das Leben leicht.“ Danach verfolgt Nietzsche im Text dieses Bild nicht weiter. Das Zitat bringt aristokratischen Radikalismus auf den Punkt.

Natürlich bietet sich eine böse Unterstellung an: Ist nicht genau diese Ablehnung der „dumpfen Masse“ ein kultureller Kern der Grünen, ist nicht gerade der anti-aufklärerische Impuls der Vater der grünen Bewegung, ist nicht gerade die von den Grünen gerne verbreitete Endzeitstimmung ein Bild, das wir mit Nietzsche in Verbindung bringen können? Ist das Plakat bzw. das Transparent nicht das Bekenntnis zu alldem?

Natürlich nicht. Denn erstens treffen alle diese scheinbaren Bezugspunkte nicht wirklich zu, und zweitens funktioniert Werbung nicht so kompliziert. Man hat bei einem Zitat ungenügend aufgepasst. Das passiert jedem. Bei Nietzsche sollte man aber gewarnt sein.

Übrigens: Der Satz direkt vor dem von der Bürgerliste zitierten: „Alles am Weibe ist Räthsel – alles am Weibe hat Eine Lösung: Schwangerschaft.“ Auch das noch.

Stefan Wally ist Sekretär von Landesrat Othmar Raus und unterrichtet Vergleichende Politikwissenschaften.

(Text redaktionell gekürzt)

Zur ASF-Berichterstattung im »kunstfehler«

Social Forum Punching

Die männliche Riege der »kunstfehler«-Redakteure hat einen neuen Sport entdeckt: Punching – schlagt auf alles, was sich bewegt! Aus der sicheren Kammer der Redaktion wird vom Schreibtisch aus alles niedergemäht, was sich auch nur annähernd in Richtung eines politischen Subjektes entwickelt. LieblingsgegnerInnen sind scheinbar die AktivistInnen rund um das österreichische (ASF) und das Salzburg Social Forum (SSF). Diese werden entweder in die Nähe zu Rechtsextremen gerückt „... in der ‚rotbraunen Querfront’ marschieren Ultralinke und Rechtsextremisten Hand in Hand“ (Neuhold), befinden sich dann auf „Erholungsurlaub nach dem Austrian Social Forum“ (Neidhart), beseelt von der „Volksfest-Glückseligkeit“ (Neuhold), die sie beim dem ASF in Hallein – laut »kunstfehler« – breitgemacht hätte. Ärgerlich an diesen Artikeln ist nicht die Kritik an sich an der Sozialforenbewegung – die inzwischen weltweit gegen Neoliberalismus, Krieg und für soziale Rechte für alle eintritt.

Ärgerlich ist meines Erachtens die Larmoyanz, die Besserwisserei und der Mangel an kritischer Solidarität, die aus diesen Artikeln sprechen.

Spannend und konstruktiv wäre es vielmehr, darüber nachzudenken, was die Qualität dieser neuen Bewegung ausmacht, welche sich jenseits von Parteiförmigkeit als politischer Faktor in der außerparlamentarischen Landschaft in Österreich und in Europa entwickelt, und welche Anforderungen an Struktur und Inhalt (Stichwort partizipative Demokratie) sich daraus auch für eine sozio-kulturelle Einrichtung wie die ARGEkultur ergeben. (Nicht erst seit GATS ist bekannt, dass die Privatisierung von Dienstleistungen auch Kultureinrichtungen treffen kann.)

In diesem Sinne verstehe ich den Leserinnenbrief als einen Appell und gleichzeitig auch als ein Angebot an die Redaktion, zur Hebung des Niveaus und der Qualität der politischen Diskussion in kritisch-solidarischer Weise beizutragen bzw. in eine solche Diskussion einzusteigen. Ansonsten bleibt der »kunstfehler«- Text ohne Kontext, ein reines Schriftstück, das nichts mit der politischen Realität zu tun hat.

ulli gschwandtner,

salzburg social forum

www.salzburgsocialforum.org

Zur Blattlinie des »kunstfehler«

Ich habe in den 80er-Jahren in Salzburg gelebt und studiert und mich nach Wien verabschiedet. Als Verbindung zu Salzburg gibt es bis heute einige gute Freunde, die SN, die man mit wechselndem Vergnügen, aber doch immer wieder liest – und den »kunstfehler«.

Was eure Redaktion da zusammen bringt, verdient endlich einmal Lob. Habe eine sentimentale Träne im Knopfloch zerdrückt, als ich die Geschichte vom Niedergang der (einst so gern besuchten) Lieferinger Trabrennbahn las. Und schmunzle immer wieder bei der Aufdeckung der „grausamen Orte”.

Ganz wesentlich ist allerdings eure kritische Auseinandersetzung mit kulturellen und politischen Fragen.

Mag die Aufregung um die Piss-Skulptur auch skurril erscheinen: Man muss hinterfragen, warum solche Aufregung entsteht. Und dass es gerade in Salzburg jemanden braucht, der den rechten Rand des Politspektrums mit wachsamen Augen beobachtet, zeigt sich nicht nur in Fragen der Aufarbeitung brauner Vergangenheit, sondern leider auch bei zeitgenössischen und fortschrittlichen Veranstaltungen wie dem ASF. Ich hoffe, der kritische und aufmerksame Geist des »kunstfehler« bleibt erhalten und ist für mich weiter eine lebendige connection in meine studienstadt.

dr. manfred schlitzer,

wien 16

Zu „Interimistische Leiterin des Museums Moderner Kunst

in Kärnten“ im »kunstfehler« Aug/Sept 2003

Darin wird von einer „Kontoüberziehung“ von 65.918 Euro auf Grund schlecht ausgehandelter Verträge berichtet. Das „Konto“ des Rupertinum wurde 2002 nicht überzogen, das geht aus dem Rechnungsabschluss 2002 hervor. Zudem ist es unüblich und zumeist gar nicht möglich, Transportverträge „auszuhandeln“, da es nur eine geringe Anzahl von Kunstspeditionen gibt. Diese lassen kaum nennenswerte Spielräume für Preisverhandlungen zu. Mir ist keine Ausstellung aus 2002 bekannt, die aus dem genannten Grund Mehrkosten verursacht hätte.

Durchaus nicht unüblich ist, dass sich geschätzte Plankosten von den tatsächlichen Kosten unterscheiden können, da beispielsweise kurzfristige inhaltliche Änderungen oder auch Sonderwünsche der Leihgeber nicht vorhersehbar sind. Dafür sind jedoch Kalkulations-Reserven vorgesehen, sodass das „Konto nicht überzogen“ werden muss.

Gottfried Paulus

Wirtschaftsdirektor Museum der Moderne Salzburg. Rupertinum

Zur Blattgestaltung und zur ASF-Berichterstattung im »kunstfehler«

Die Redaktion des »kunstfehler« widmete in der letzten Ausgabe einem Leserbrief eine ganze Seite („Gunst hinter dem Bauzaun – Was darf Gunst in Salzburg?”). Von diesem lässt sich zumindest sagen, dass er wirklich nicht witzig war. Diesmal aber hat Doc Holliday keinen moralisierend-coolen Senf dazugedrückt – dieser Leserbrief war offenbar vital dissident genug.

Der Senf zu den kritischen Äußerungen von Werner Riemer hingegen hat zum aktuellen Gesamtgeruch des »kunstfehler« gepasst; die Linie zieht seit einiger Zeit den selbstgefälligen Mief eines Männerstammtisches nach sich: ein bissl über all die anderen jammern, und wenn sie uns verstehen würden, blieben wir trotzdem lieber bei uns (grins!).

Tatsächlich waren in der letzten Ausgabe ausschließlich Beiträge von männlichen Autoren zu lesen (oder spielt gar das biologische Geschlecht bei vital antisexistischen Stammtischen keine Rolle?).

Das elitäre Politikverständnis, welches gelegentlich durchblitzt (die Neuhold’sche Faszination über die total dissidente Koalition des SSF mit dem Wirtschaftsbund), ist da durchaus kein Widerspruch. Der „Kleine Mann“ ist ja in seinem vitalen Widerstand auch von „denen da oben“ fasziniert. Neu war allerdings dann doch die Qualität der Frage von Didi Neidhart an das Austrian Social Forum: „Ja wo seid ihr denn gewesen,

als ... ?”

Das kannte ich bisher eher von der Offiziersgesellschaft.

Ingo Bieringer