Bücher
Günter Amendt
No Drugs No Future. Drogen im
Zeitalter der Globalisierung
Hamburg-Wien 2003, Europa Verlag
Der Hamburger Soziologe und Publizist Günter Amendt beschäftigt sich in seinen Arbeiten seit über 30 Jahren auf seriöse Weise mit drei Themenkomplexen: Sex, Drugs & Rock’ n’Roll. Was 1970 mit, besser an der „Sexfront“ begann, führte über die Dylan-Exegese in drei Büchern und die Untersuchungen zur politischen Ökonomie des Drogenhandels, „Sucht, Profit, Sucht“, zu vorliegendem Werk. Darin fasst Amendt die Forschungsergebnisse zum Thema Drogen nüchtern und ohne Polemik zusammen. Das fördert für Kundige wenig Neues zu Tage, für die große Mehrheit der Menschen stellen viele der zentralen Thesen jedoch noch immer eine unvorstellbare Provokation dar. In der von den USA dominierten internationalen Drogenpolitik sieht der Autor eine der gravierendsten Fehlentwicklungen der Globalisierung. Der „War On Drugs“ – mit seinem aktuellen „Plan Colombia“ – dient einerseits ökonomischen Interessen, andererseits zur Bekämpfung der Linken in den nach wie vor nicht vollständig „befriedeten“ Teilen Südamerikas. Drogen als Mittel der Leistungssteigerung, „die Pharmakologisierung des Alltags“ (um im Leistungsstress der kapitalistischen Realität zu bestehen), Doping, die Finanzierung des Terrors durch die Verbotspolitik, die (Profit)Interessen von Mafia und Banken an derselben, die Propaganda der Medien, die Dämonisierung von Cannabis – der „harmlosesten aller psychoaktiven Substanzen“: Das sind nur einige Stichwörter zu den Themen dieses gescheiten Buches. Die Lösung des Drogenproblems sieht Amendt darin, sich von der Illusion einer drogenfreien Gesellschaft zu verabschieden, eine Politik der praktischen Vernunft zu verfolgen und eine differenzierte Drogenlegalisierung zu verwirklichen. Wer das Buch vorurteilsfrei liest, wird Sinn und Vorteile dieses Ansatzes besser verstehen können.
Doc Holliday
Andreas Krauß (Hrsg.)
Queer Denken. Queer Studies
edition suhrkamp 2003
Frage: Tragen wirklich alle Schwule schrille Hemden und können dabei das Gesamtwerk von Abba auswendig rückwärts singen, wie es im Fernsehen immer wieder zusehen ist? Sind der „Life Ball“ oder „Gay Parades“ „politische“ Aktionen oder rein „gesellschaftliche“ Events (schwul-lesbische Politik reduziert und de-politisiert als Party im Sinne heterosexueller Definitionen von „Schrillness“)? Antworten auf diese und andere Fragen liefern im vorliegenden Sammelband zehn, großteils erstmals übersetzte angloamerikanische Basistexte (u. a. von Sedgwick, Butler), die dabei nicht nur „Queer Studies“ (als „Theorie“) erklären/vorstellen wollen, sondern auch gleich direkt mitten in aktuelle Diskurse reingehen. Aber ebenso auch die „Erfindung der Homosexualität“ im 19. Jahrhundert (etwa in David M. Halperins bahnbrechendem Essay „Ein Wegweiser zur Geschichtsschreibung der männlichen Homosexualität“) und die eigene, d.h., „queere“ Geschichte & Mythologie (z. B. Scott Bravemanns entlang der Kategorien gender/race/ class aufgefädelte Dekonstruktion „Queere Fiktionen von Stonewall“) verhandeln.
Dabei wird auch klar nachvollziehbar, wie sehr sich „queeres Denken“ von herkömmlichem, fast könnte gesagt werden „europäischem“ schwul/lesbischen Denken vor allem dadurch unterscheidet, dass hier ein Konzept wie „Gay Liberation“ nicht als „pathologisch“, sondern als „politisch“ geerdet definiert wird. In starker Anlehnung an Michel Foucault wird nicht nur „Geschlecht“ („gender“) als „diskursiver Effekt“ sozialer und gesellschaftlicher Konstruktionen gelesen, sondern geht es auch um gleichermaßen anti-essentialistische Taktiken der „Denaturalisierung normativer Konzepte“ (also auch von „sex“, als biologischem/anatomischem Geschlecht, wie etwa in den radikal-dekonstruktivistischen Texten von Judith Butler). Nach Annamarie Jagoses „Queer Theory. Eine Einführung“ (Querverlag/Berlin 2001) der zweite große Theorieband in Deutsch zum Themenkomplex sexueller Pluralismus, polymorphe Geschlechter-Konstruktionen und „drittes Geschlecht“. Ein spannendes wie provozierendes Hirnfutter zugleich. Klassebuch!
Didi Neidhart
Gerd Holzheimer
Wider den genitalen Ernst.
Sex von den 68ern bis
zur Love-Parade
Leipzig 2002, Reclam Verlag
Der Münchner Autor Gerd Holzheimer legt eine witzige Kulturgeschichte der Sexualität vor. Den entscheidenden Wendepunkt in der Geschichte der sexuellen Aufklärung markiert das ominöse Jahr 1968. Davor, in den miefigen 50er Jahren, gab es überraschenderweise auch schon Nackte – vorzugsweise in den so genannten „Kulturfilmen“ und den Illustrierten: „Quick“, „Bravo“. Gegen diese Gefahren kämpfte tapfer, aber wie uns die Geschichte gezeigt hat erfolglos, der berühmte Jesuitenpater Leppich. Das „Maschinengewehr Gottes“ führte einen Abwehrkampf gegen die drei großen Menschheitsplagen: den Materialismus, den Sexualismus und den Liberalismus.
Holzheimer gebührt das Verdienst einige der besten Wortspenden des Paters aus dem Dunkel der Archive hervorgekramt zu haben.
Von der „sexuellen Revolution“ führt der Weg in die Gegenwart mit all den einschlägigen Talkshows und Boulevardmedien, denen das Geschwätz über Sex als bloßes Mittel zur Profitsteigerung dient. Holzheimer exhumiert eine Fülle an Material, outet sich als Austrophiler. Aber auch wer Österreich liebt, benötigt einen wachen Lektor. Zumindest rächt es sich, die alte Regel, dass man mit Namen keine Witze machen soll, zu verletzen. Der Vorsitzende der GPA heißt nämlich nicht „Stallmutter“, wie Holzheimer auf Seite 157 wiederholt behauptet, sondern Sallmutter. Die Recherche des korrekten Namens hätte dem Autor wohl die Pointe vermasselt, aber seiner Glaubwürdigkeit nicht geschadet. Dies ist übrigens nicht der einzige Fall, in dem Holzheimer „neue“ Namen kreiert.
Doc Holliday