oktober 2003

Georg Wimmer
zu gast

6th International Jazzseminar Salzburg in der ARGEkultur

Serve the music!

Die Sucht zu unterrichten sei eigentlich nur eine Ausweitung der Sucht, Musik zu machen. Erst wenn sie eine Zeitlang nicht unterrichtet, merke sie, dass in ihrem Leben etwas fehlt. Was die kanadische Trompeterin Ingrid Jensen sagt, klingt zunächst logisch. Da Sucht aber zumindest am Anfang auch etwas mit Genuss zu tun hat, fällt es doch schwer, sich vorzustellen, was sie in die Abhängigkeit gestürzt hat. Ingrid Jensen steht mindestens eine Stunde am Tag Backstage in der ARGEkultur am Kopierer und vervielfältigt Noten für ihre SchülerInnen. Der ideale Moment für einen Plausch, dann unterrichtet sie zwei Einheiten, bespricht sich mit den anderen DozentInnen, hält vielleicht noch einen Vortrag, und am Abend steht sie auf der Bühne und spielt um ihr Leben.

Schwer zu sagen, wie eng Suchtverhalten und Lust in diesem Fall beieinander liegen. Für das sechste ARGE-Jazzseminar diesen Sommer verkörperte Ingrid Jensen ebenso wie Wolfgang Muthspiel (Guitar), Jamey Haddad (Percussion), Dick Oats (Sax), Theo Blackmann (Vocals), Garry Dial (Piano) und Seminarleiter Peter Herbert (Bass) jedenfalls den Idealtyp DozentIn. Diesmal für eine Rekordzahl von 60 SchülerInnen unterschiedlichster Niveaus. Aber das Eingehen auf andere gehört ohnehin zu den Fähigkeiten, die JazzerInnen mitbringen müssen. Nicht nur Technik, sondern auch Social Skills sind gefragt. Jazz-MusikerInnen, sagt Ingrid Jensen, sind sensible Menschen. Fragile Seelen, die sich öffnen, um mit anderen Menschen zu kommunzieren.

Sie selbst geht auf die Bühne, oft ohne die anderen MusikerInnen zu kennen und denkt: „Ich will mit dir reden, und ich werde dich nicht unterbrechen.“

Bei einer Session komme es letztlich darauf an, wem man dienen möchte – der Musik oder seinem Ego. In langen Jahren gereifte handwerkliche Fähigkeiten würde man hier eigentlich bei allen Beteiligten voraussetzen. Aber dann gibt es Leute wie diesen 18-jährigen Drummer, der erst seit zwei Jahren spielt und klingt als hätte er ein halbes Jahrhundert nichts anderes getan, als das Schlagzeug zu bearbeiten. Auch Ingrid Jensen, vom Down Beat Magazine unter „die 25 wichtigsten Improvisationsmusikerinnen der Zukunft“ gewählt, kann noch staunen.

Neu war heuer die Intensität, die in dieses Jazzseminar eingebracht wurde. Nicht wie bisher drei Tage, sondern eine ganze Woche lang mit Kursen, Konzerten und Sessions in der ARGEkultur, im ARGE-Beisl, im Jazzit und sogar hoch oben am Untersberg. Der Ausflug auf den Salzburger Hausberg sollte, so Jazzseminar-Organisator Robert Kainar, dazu dienen, dass die SchülerInnen das Gelernte verdauen können. Weil man ja nichts übertreiben soll. DozentInnen und SchülerInnen müssen auch einmal abschalten können – sofern sie es schaffen. Ingrid Jensen kann diese Fähigkeit auch noch lernen. Während am Untersberg gemeinsam mit den Jungs von Present Tension gejamt wurde, stand sie Backstage in der ARGEkultur am Kopierer und vervielfältigte Noten für ihre SchülerInnen.