oktober 2003

Wolfram P. Kastner
titel

Ordnungsstörung* und Kunst im öffentlichen Raum

* So bezeichneten die Bundespolizei und ein Pseudogericht in Salzburg die Interventionen gegen die alljährlich stattfindenden öffentlichen Aufmärsche der Waffen-SS

Kunst hängt, steht oder bewegt sich üblicherweise in abgesonderten Räumen, die mitunter gerne als „Freiräume“ bezeichnet werden. Die tempelartige Architektur, die darin waltende weihevolle Stille sowie die oft gähnende Leere solcher Räume sind Ausdruck des verbreiteten und akzeptierten Bewusstseins, dass Kunst über oder neben den alltäglichen Realitäten steht. Museen und Galerien haben den Charakter von „beschützten Werkstätten“, und selbst eine politisch sich artikulierende Kunst wird darin zahn- und wirkungslos, denn alle wissen beim Betreten dieser Spielwiesen, es handelt sich bei allem, was da zu sehen ist, um Kunst als Kunst und sonst nichts.

Öffentliche Plätze, Straßen, Foren, Gebäude und selbst die Medien werden hingegen nach kommerziellen und funktionalen Gesichtspunkten von Spezialisten gestaltet oder verunstaltet, die als Architekten, Denkmalschützer, Baubehördler, Stadtplaner, Designer, Schaufenstergestalter und Werbegrafiker das Erscheinungsbild unserer Gesellschaft und unserer Städte zusammen mit Politikern und ihren Vereinen prägen. Kunst spielt da kaum eine Rolle. Das bisschen Kunst am Bau ist kaum mehr als affirmative Zierleiste des Bestehenden. Dafür sorgen schon die vielen Kunstkommissionen, die oft den Zensurkommissionen vordemokratischer Zeiten ähneln. Dorthin werden von opportunistischen Politikern ebenso opportunistische Experten entsandt, die in geheimen Sitzungen Standbilder und Skulpturen nach Kriterien aussuchen, die nicht zur Diskussion gestellt werden und den Verkäuflichkeitsmaßstäben des Kunstmarkts verwandt sind.

Kunst im öffentlichen Raum besteht nicht zufällig in aller Regel aus der Hardware feudaler Heroen- und Reiterstandbilder: aus Stein und Bronze oder – ganz gewagt – aus rostigem Eisen. In solcher Kunst im öffentlichen Raum findet sich der politische und geistige Mainstream wieder. Sie bildet den Themenpark ab, zu dem die Städte von ihren touristischen Marketing-Beratern und deren politischen Zu-Nickern geformt werden. New-York hat demzufolge einen vergoldeten Prometheus vor dem Rockefeller-Center, München einen gesichtslosen Flaneur vor der größten Versicherung sowie Ludwige und eine Bavaria, London seinen Churchill mit Zigarre und einen riesigen Betonpanzer mit bronzenen Riesenkriegern, und Salzburg braucht eigentlich nicht mehr als einen Mozart auf dem Mozartplatz. Daneben gibt es jede Menge Kriegsheldenmale und einige gut versteckte Erinnerungstafeln für die peinliche Geschichte (der NS-Zeit).

Öffentlicher Raum ist politischer Raum. Wesentliche Merkmale demokratischer Politik sind öffentliche Diskussion und Beratung. Kunst kann im öffentlichen Raum dazu ganz eigene wesentliche Beiträge liefern, wenn sie sich nicht zur Arabeske degradieren lässt. Sie kann auf überraschende eindringliche und irritierende Weise Fragestellungen, Konflikte und Zusammenhänge öffentlich sichtbar machen, wie kaum etwas sonst. Öffentlicher Raum ist allerdings auch gut behüteter Raum. Behütet durch Videokameras, Genehmigungsbehörden, Politiker und das uniformierte Auge des Gesetzes. Sie wachen darüber, dass dort nichts passiert, was die öffentliche Diskussion zu sehr anregen oder die Friede-Freude-Eierkuchen-Stimmung stören könnte.

Wenn Kunst, die ja verfassungsgemäß frei sein soll, in diesem öffentlichen Raum Fragen zur Militarisierung der Gesellschaft, zur Kontinuität von Antisemitismus und von Naziaufmärschen artikuliert, wenn sie die braunen Flecken auf dem Schokolodenmantel einer gemütlichen Festspielstadt ins Blickfeld rückt, dann werden die Instanzen der verordneten Harmlosigkeit sehr aktiv. Und sie schützen, was zu schützen ist: einen Aufmarsch der Waffen-SS-Kameraden, die seelische Unversehrtheit der Passanten vor der Erinnerung an die braune Geschichte und ihr Fortleben, ein sinnentstellend verkürztes Zitat vor seiner Vervollständigung, einen Platz vor den Spuren der Kulturvernichtung (Bücherverbrennung) usw. Dann verweigern Behörden Genehmigungen mit aberwitzigen Gründen (von ganz unten her), dann schreiten Polizisten (auch gerne mal zum Schutz von Nazis) ein, dann ermitteln Staatsanwälte und urteilen Richter über Kunst als „schwere Sachbeschädigung“ und winden sich Politiker wie Regenwürmer.

Das ist die eine Seite. Es wirkt manchmal so, als wollten die Herrschaften durch ihr beherztes Einschreiten dafür sorgen, dass die öffentliche Aufmerksamkeit für das Anliegen solcher Kunst im öffentlichen Raum erst richtig geweckt werde. Denn das ist die andere Seite: Die Chance für viele Menschen, etwas sichtbar zu machen, was man sonst nicht sieht, und dadurch etwas beizutragen zur Transparenz und zur Diskussion und damit zur Förderung demokratischer Prozesse, ist im öffentlichen Raum größer als in Galerien und Museen.