oktober 2003

Wiglaf Droste

Wo ist zu Hause, Mama?

Johnny Cash, ein großer Tröster in dieser an Tröstern raren Welt, ist tot

Johnny Cash hatte sich schon verabschiedet. Auf seiner letzten CD „The Man comes around“ sang er „Hurt“; das Video dazu zeigte einen steinalten, todkranken Mann, das Gesicht eine zerklüftete Gebirgslandschaft, von der aus auf ältere Bilder von Cash geschnitten wurde, die ihn als jüngeren Mann zeigten. Der kurze Film zum Song war eine Reise durch das Leben des Sängers John Carter Cash: Das war ich, sagte Cash. Kuckt mich noch einmal an, hört mir noch einmal zu. Ich gehe.

Es war todtraurig, und es kam noch härter. June Carter Cash starb, die Frau, ohne die Cash nichts war als ein fahrender Sänger und ohne die er schon lange nicht mehr am Leben gewesen wäre. „Wo ist zu Hause Mama?“, heißt ein Lied, das Cash auf Deutsch sang. Das Lied stellt die zentrale Frage im Leben eines Mannes und verweigert eine eindeutige Antwort: „Vielleicht auf der großen Straße, vielleicht hinter blauen Bergen, vielleicht bei den hellen Sternen.“ Johnny Cash war ein Suchender, und er fand June Carter Cash - Liebe hieß die Antwort, Gott hieß die Antwort. Johnny Cash, das macht ihn singulär, wusste, dass die Antwort für alle, die sie nicht finden können, manchmal Mord heißt. Davon handeln seine Lieder: von Liebe, Gott und Mord. „I shot a man in Reno just to watch him die“, sang er, und in in einer frühen Folge von „Columbo“ spielte er sehr überzeugend einen Mörder.

Seine Frau starb vor ihm, und so war man, wie es so heißt, darauf gefasst, dass er ihr bald folgen werde. Er war krank, er war allein, es war abzusehen, und trotzdem tut es weh. „The whole life is vive la merde“, schrieb Joachim Ringelnatz. Johnny Cash ist tot, ein großer Tröster in dieser an Tröstern so raren Welt. In der Schmierwelt des Nashville-Mainstream-Country war Cash ein berserkernder Außenseiter – er zeigte dem Establishment den Finger, und, auch das macht ihn einzigartig: Er meinte es genau so. Simuliertes Rebellentum kann man an an jeder Ecke haben, die Gestik des Dagegenseins ist im Pop eine unerlässliche verkaufsfördernde Maßnahme. Nicht so bei Cash – der Mann war echt, ein hochexplosives Gemisch aus Widersprüchen.

Johnny Cash war eine Primzahl, teilbar nur durch sich selbst und durch eins. Was man von ihm hören muss, gibt es bei American Recordings und bei Bear Family, was man über ihn wissen muss, hat Franz Dobler in seinem Buch „The Beast in Me – Johnny Cash und die seltsame und schöne Welt der Countrymusik“ aufgeschrieben. Über das Sterben hat Johnny Cash gesungen: „I'm just a poor wayfaring stranger / travelling through this world below / there is no sickness, no toil, no danger / in that bright land to which I go.“ Johnny Cash ist nach Hause gegangen.