august-september 2003

gelesen

Bücher

Joe Ambrose

Gimme Danger: The Story

Of Iggy Pop

London 2002, Omnibus Press

Alvin Gibbs

Neighbourhood Threat: On Tour With Iggy Pop

Hove 2001, Codex Books

Am Anfang steht eine simple und vom Autor dieser Zeilen bereits unzählige Male überprüfte Wahrheit: Iggy Pop ist mit seinen 56 Lenzen noch immer der weltbeste, weil vitalste Rockperformer – und das seit 36 Jahren. In puncto Intensität kann ihm keiner der jungen Hupfer das Wasser reichen. Zuletzt überzeugte der Godfather von Punk und räudigem Straßenrock am 17. Juni auf der Bühne des Wiener Gasometers. Eine neue Biografie über Mr. James Osterberg, so der bürgerliche Name des Energiebündels, und ein kaum bekanntes Tourtagebuch lassen den Fan auch gern zum Druckwerk greifen. Der Bassist der bekannten englischen Punk-Combo UK Subs, Alvin Gibbs, begleitete Bühnenderwisch Iggy auf dessen „Instinct“-Tour 1988/89 rund um die Welt. Protokolliert hat er nicht nur die nervige und öde Tretmühle des Konzertgeschäftes sowie die üblichen „Sex and Drugs and Rock ’n’Roll“-Geschichten, sondern auch die Konzentration, die den Paten des Rock jeden Abend zu derart energiegeladenen Audienzen befähigt. Joe Ambrose erzählt die Lebensgeschichte der Ikone: Iggy mit seiner legendären Band The Stooges als Chronist der dunklen Seite von US-Gesellschaft und Hippieseligkeit. Leben am Rande des Nervenzusammenbruchs (bisweilen auch jenseits davon) mit allen erdenklichen Substanzen, das den inzwischen zumindest abseits der Bühne „gezähmten“ wilden Hund zum Symbol einer Ära, aber auch zum Muster einer sich ewig erneuernden trotzigen Attitüde werden ließ. Ambrose befragt viele ehemalige Kollegen und zeichnet so ein differenziertes Bild des Rock-Berserkers sowie das Psychogramm eines schwierigen Menschen. Den Heiligenschein muss sich Jim Osterberg jedes Mal neu verdienen, wenn er alive & kicking die Bühnen dieser Welt heimsucht und zu Iggy Pop mutiert.

Doc Holliday

Walter Moers

Rumo & Die Wunder im Dunklen

Piper Verlag, 693 Seiten

Eine Gruppe pazifistischer Lindwürmer bunkert sich in einer selbstgebauten Festung ein, um in Ruhe und Abgeschiedenheit der einzig wahren Beschäftigung nachzugehen: Dem schreiben von Gedichten. Heerscharen von Söldnern belagern die Lindwurmfeste, um an den angeblichen Reichtum der Literaten heranzukommen, doch vergeblich, die physisch und intellektuell überlegenen Saurier wehren erfolgreich alle Angriffe ab. Erst als ein Verleger vor die Festungsmauern tritt und durch erfolgreiche Publikation Ruhm und Ehre für die bis dahin mit sich selbst beschäftigten Lindwürmer verspricht, öffnen diese die Tore und werden, von den weltlichen Verlockungen verführt, schließlich vernichtend geschlagen. Und wo finden solche eigenartigen Geschichten statt? Im Land Zamonien.

Spätesten seit Walter Moers seinen Roman-Opus „Die 13 1/2 Leben des Käpt’n Blaubär“ veröffentlichte, ist das Land Zamonien ein Begriff geworden. Eine Welt voll von Skurrilität, Hintersinn, Aberwitz, zusammenspintisiert ohne Beschränkung und ohne jede Bodenhaftung.

Genau dort knüpft er mit seinem neuen Roman „Rumo & Die Wunder im Dunklen“ an. Rumo, der junge Wolpertinger, ist vordergründig die Hauptfigur in diesem in jeder Hinsicht schwergewichtigen Wälzer, seine Abenteuer sind der einzig nötige rote Faden im fantastischen Universum des Walter Moers.

Doch im Gegensatz zu anderen Helden ist Rumo introvertiert, unsicher und damit gar nicht wie „Das kleine Arschloch“ oder „Käpt’n Blaubär“, die vor allem durch ihr loses Mundwerk brillieren. Der schüchterne Rumo lernt Entscheidungen zu treffen und nicht darüber zu reden, um so doch noch die Welt vor dem Bösen zu retten.

Mehrfach bewährte Urlaubslektüre, komisch und spannend zu lesen, mit unglaublich treffsicheren Illustrationen des Autors.

Markus Grüner

Andrea Pollach, Isabella Reicher, Tanja Widman (Hrsg.)

Singen und Tanzen im Film

Paul Zsolnay Verlag

Wien 2003, 256 Seiten

Unter dem Titel „Singen und Tanzen im Film“ zeigte das Wiener Filmmuseum im vergangenen Mai über 50 Musik-Filme aus knapp sieben Jahrzehnten. Zeitgleich erschien dieses geradezu aus den Buchdeckeln berstendes Handbuch, das sich auch als äußerst leidenschaftliches Ergebnis langjähriger Forschungs- und Fan-Arbeit erweist.

Wobei neben zentralen Basistexten zum Thema von Alf Brustellin („Das Singen im Regen. Über die seltsamen Wirklichkeiten im amerikanischen Filmmusical“, 1969), Lucy Fischer („Das Bild der Frau als Bild: Die Optische Politik von »Dames«“, 1976) oder Richard Dyer („Entertainment und Utopie“, 1977) und Carol J. Clovers fantastischem Grundsatztext „Dancin’ in the Rain“ (1995) zum Thema „gestohlenes und nicht wieder zurückgegebenes [schwarzes] Talent“ im schwer rassistischen 1952er Klassiker „Singin’ In The Rain“, vor allem aktuelle Arbeiten wie Tobias Nagls „Afrika spricht! Modernismus, Jazz und „Rasse“ im Kino der Weimarer Republik“, Juliane Rebentischs „Musical, Camp, Queer Underground“ (das Musical als „verdrängten kulturindustriellen Ursprung des Experimentalfilms“) oder Ramón Reicherts Analyse „Choreografie der Arbeit“ über den sowjetischen Musikfilm unter dem Musical-Fan Stalin, bei dem „Arbeit“ als „Leistungsfreude“ in den „Fabriken und Kolchosen [als] ein immer währendes Vergnügen aus Singen und Tanzen“ propagiert wurde, für diskursive Spannungen sorgen.

Etwa wenn Alf Brustellin den Hollywood-Surrealismus der frühen US-Musicals als »Antiwelten« und »Gegenwelten« beschreibt, die sich – vergleichbar nur mit der Zeichentrick-Extravaganza eines Juck Jones, Tex Avery – durch „Parodie, Satire, Zitat, Anspielung“ definierten und dabei nicht nur „P!O!P!“ in Full Effect waren, sondern die Postmoderne schon praktizierten, bevor diese als Begriff überhaupt erfunden wurde.

Wimmelt es hier doch überall nur so von Transformationen, Wurmlöchern und Parallelwelten – vergleichbar eigentlich nur mit den unmöglichen Räumen eines Piranesi oder M.C. Escher – in denen erstens der Tanz als „Übergang von einer Welt zur anderen, [als] Eintritt in eine andere Welt: zugleich Einbruch und Erforschung“ (Gilles Deleuze) fungiert und die dabei zweitens paradoxe Welten/Räume beschreiten, von denen Science Fiction-Filme wie „Matrix Reloaded“ nur träumen können. „Let’s Face The Music And Dance!“

Didi Neidhart