august-september 2003

Doc Holliday

Kunst in der Kiste

Einige Anmerkungen zum Begräbnis der Fernseh-Kultur am Karlsplatz und ein kleiner Kulturmagazin-Test

Seit den frühen 60er Jahren dient vorwiegend das Magazinformat als Präsentationsform von Kultur im Fernsehen. Also einige unterschiedliche, aber immer kurze (Film)Beiträge zu mehr oder weniger aktuellen Themen, oft von einem Moderator dargeboten. Seinerzeit fanden die Verantwortlichen nur Hochkultur für berichtenswürdig. Das sollte sich dann etwa um 1968 ändern. In diesem ominösen Jahr begann im WDR, „Spectrum – Ein Kulturmagazin“ kulturelle Ereignisse auf ihre symptomatische Bedeutung für die Kunst, aber auch die kulturelle und gesellschaftliche Entwicklung allgemein, abzuklopfen. Das ZDF etablierte zur Zeit der Studentenproteste „Aspekte“ (das heute noch jeden Freitag über den Schirm flimmert), dessen damaliger Leiter Reinhart Hoffmeister wesentlich zu einer offenen Politisierung der Berichterstattung beitrug. Folgerichtig erhielt er 1974 Hausverbot am Mainzer Lärchenberg. Die Politiker und ihre mächtigen Kettenhunde in den Anstalten haben seit jenen turbulenten Tagen unzweifelhaft dazugelernt: Einerseits tendieren sie dazu, die Magazine zu ignorieren (da ihre Einschaltquoten allein wegen der relativ späten Sendezeit, nie vor halb zehn am Abend, meistens nach 22 Uhr 30, sich in überschaubaren Grenzen halten), andererseits bieten die Beiträge ohnehin relativ brave „Serviceberichterstattung“. Wer sich tatsächlich einige Wochen durch alle Sendungen quält, der lernt unter Schmerzen die wahre Bedeutung der Klugscheißervokabel „Synergieeffekte“: wahlweise alten Wein in neuen oder doch nochmals in den alten Schläuchen serviert zu bekommen. Das Verdikt gilt für alle deutschen Kulturmagazine (mit ihren bereits im Titel zum Verwechseln ähnlich klingenden Namen). Ausnahmen bestätigen die Regel: „Metropolis“ (auf ARTE) profitiert davon, dass auch französische Journalisten Beiträge liefern. „Capriccio“ (Bayern) besitzt mit Thomas Palzer einen der besten, besonders auch popkulturell versierten Journalisten, dessen Essays durch Einfallsreichtum, Eigenwilligkeit und Brillanz zu begeistern wissen. Bisweilen können Palzers Beiträge auch in „Kulturzeit“ (werktags zur besten Sendezeit um 19:20 Uhr auf 3sat) gesehen werden. Von allen Magazinen liefert dieses zweifelsohne die vielfältigste und eine politisch „unangepasste“ Berichterstattung. Mitunter entsteht dort sogar so etwas wie ein Diskurs. Alexander Kluges DCTP-Sendungen – siehe auch „geschaut“ im »kunstfehler« 6/7 2003 – fallen ästhetisch und inhaltlich derart aus dem üblichen TV-Rahmen, dass hier (zumindest in vielen Fällen) von geglückten, weil künstlerisch interessanten Sendungen gesprochen werden kann.

Ganz anders verhält es sich mit dem ORF. Während „Treffpunkt Kultur“ samt Moderatorin Barbara Rett in gefälliger „Scheinobjektivität“ und affirmativer Langeweile dahindämmert, schaffte die neue Geschäftsführung erstmal die ohnehin bereits „entschärften“ „Kunst-Stücke“ ab. Danach hauten sich die großkalibrigsten Denkpanzer am Küniglberg auf ein Packerl, um nach reiflichen Überlegungen eine echte Wuchtel in den Äther zu pfeffern: „karls.platz“. Was mit der hohlen Referenz an das Digitalzeitalter beginnt, endet laufend in nichtssagendem, prätentiösem Gequatsche. Alles in dieser Sendung mit dem Mops (dessen bemüht-halbwitzige Sprechblasen den Gästen und Moderatorin Clarissa Stadler den Stand ihrer „Diskussionskultur“ vorzugeben scheinen) lässt einen zum Misanthropen werden. Die Anspielungen auf das Weltall (die Sendung wird im „Project Space“ der Wiener Kunsthalle aufgezeichnet, und die Macher der Filmzuspielungen aus anderen Städten gehen als „Satellites“ in die Fernsehgeschichte ein) oder Stadlers Drohung im „Falter“-Interview „so eine Art Kamingespräch für die Popgeneration“ produzieren zu wollen, all diese Zumutungen führen selbst gefestigte Menschen in die Trunksucht. „Achtung! Diese Sendung kann ihre Gesundheit gefährden“, zumindest ihre Leber in Mitleidenschaft ziehen. Mit „Kunst“, respektive der ORF-Kulturredaktion, hat diese Schaumschlägerei wohl deshalb zu tun, weil erstens: die Plaudertaschen sich in der Kunsthalle übergeben, zweitens: im normalerweise ironiefreien Nachspann „ORF Kultur“ zu lesen steht, drittens: Kunst wohl von halbwegs-gerade-vor-der-Kamera-sitzen-können kommt. Vielleicht tut man der Sendung aber auch Unrecht. Möglicherweise befand sich die Diskussion in der legendären ersten Sendung, die von Generalintendantin Lindner aus dem Programm gekippt wurde – (selbstironischer?) Titel: „Recht auf Rausch“ – ja tatsächlich auf einem anderen Niveau. Wir wissen es nicht. Wir wissen bloß zweierlei: erstens, dass GI Lindner nicht nur Böcke (ab)schießt, sondern auch angeblich Heikles aus den ORF-Laboratorien. Zweitens, dass der stattdessen ausgestrahlte Pilot „Verweigerung“ zum Thema hatte. Genau die sollte man bei dieser Sendung üben. Gute Nacht Österreich!