august-september 2003

Doc Holliday

Kollektive Amnesie – Psychohygiene für den Volkskörper?

Über den unterschiedlichen Umgang mit der Nazizeit in Salzburg und Oberösterreich

In den Bundesländern Salzburg und Oberösterreich regiert jeweils ein ÖVP-Landeshauptmann. Damit enden die Gemeinsamkeiten aber auch schon. Deutliche Unterschiede offenbaren sich etwa in punkto Aufarbeitung der nationalsozialistischen Vergangenheit.

Im April 1998 beschloss der oberösterreichische Landtag auf Antrag der Grünen ein ambitioniertes Projekt: „Verbesserte Dokumentation und Kennzeichnung der oberösterreichischen Nebenlager des KZ Mauthausen sowie der Route des Todesmarsches der ungarischen Juden“. Mit der Leitung und Organisation des Vorhabens wurde das Oberösterreichische Landesarchiv betraut. Die Arbeit erweiterte sich bald auch um die Nebenlager des KZ Dachau (im damaligen Gau „Oberdonau“), um die „Arbeitserziehungslager“, „Zigeunerlager“ und Zwangsarbeitslager für Juden. Dezidiertes Ziel des Projektes war nicht allein eine verbesserte Kennzeichnung der früheren Standorte des Terrors, sondern die unzähligen Opfer der NS-Barbarei stärker ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zu rücken. Als Konsequenz entstand nach mehrjähriger Recherche eine umfassende Dokumentation in Buchform und eine (inzwischen ergänzte und überarbeitete) elektronische Version im Internet. Die Projektmitarbeiter erfassten 134 Gedenkstätten, darunter 36 ehemalige KZs. Die Dokumentation gliedert sich in drei Teile: Der erste versammelt grundlegende Darstellungen zur NS-Zeit von Historikern. Im Hauptabschnitt finden sich die Gedenkstätten gegliedert nach politischen Bezirken und Ortsgemeinden. Im dritten Teil stellen sich die Institutionen, Vereine und Initiativen, die in Oberösterreich Gedenkstätten betreuen und erforschen, selbst vor. Die zeitgeschichtlich wie pädagogisch vorbildhafte Arbeit wurde im April 2001 von allen im Linzer Landtag vertretenen Parteien dortselbst präsentiert.

Diese wegweisende „Erinnerungsarbeit“ ging selbst an den Salzburger Landespolitikern nicht gänzlich spurlos vorüber. Im Oktober 2001 stellte der SPÖ-Landtagsklub respektive der Klubvorsitzende Walter Thaler und der Abgeordnete David Brenner einen Antrag im Landtag. Darin heißt es unter anderem: „ Im Bundesland Salzburg fanden unmenschliche Gräueltaten des Nazi-Regimes statt. Es ist an der Zeit, dass das Land Salzburg einen Beitrag leistet, um die Orte des Verbrechens aus dem historischen Nebel des Vergessens herauszuholen“. Im Februar 2002 beschloss der Salzburger Landtag auch einen Beitrag zur Geschichtsbewältigung in der unmittelbaren Heimat zu leisten, nämlich durch die Errichtung von Gedenkstätten in Hallein und Uttendorf/Weißsee – an beiden Orten befanden sich Nebenlager des KZ Dachau.

Papier ist geduldig und beinahe zwei Jahre nach der Antragstellung gibt es noch keine konkreten Ergebnisse. Die Umsetzung dieser längst überfälligen Erinnerungsarbeit obliegt im Übrigen dem Ressort von Landeshauptmann Franz Schausberger, einem gelernten Historiker.

Der kf jedenfalls wird weiter über die Themenkomplexe Verdrängung, Geschichtsbewusstsein, selektive Wahrnehmung, Schneckentempo bei „heiklen“ politischen Entscheidungsprozessen und Amnesie berichten. Zudem darf hier auch nochmals die oberösterreichische Landesregierung gelobt, und das Befremden über den für die Salzburger Volkskultur zuständigen Landesrat Sepp Eisl (ÖVP) geäußert werden, der bei Jubiläumsfeiern für den Kameradschaftsbund auftritt und sich bei dessen Mitgliedern und Funktionären für ihr Engagement bedankt. Zitat von der 50-Jahr-Feier in Hintersee vom Juli 2002: „Die Ehrung der in den Weltkriegen gefallenen und vermissten Soldaten sowie die Erhaltung ihrer Gedenkstätten ist ein wichtiger Dienst an unseren Vätern und Großvätern“. Verdienen die Verfolgten des Naziregimes, darunter auch Antifaschisten aus christlichen Motiven, im Land Salzburg etwa keine Gedenkstätten?! Wer sind die Opfer, wer die Täter?! Oder dürfen politische Sonntagsreden ohnehin nie ernst genommen werden?!