august-september 2003

Didi Neidhart

Wuchernde Archive

Transformationen von Kunstpraxen und Geschichts-Konstruktionen in der Salzburger Galerie 5020

Wenn man der Salzburger Galerie 5020 etwas nicht nachsagen kann, dann ist es diskursiver Elitismus im Geiste klassischen Kader/Avantgarde-Denkens. Und das nicht nur, weil wir es hier de facto mit einem (soweit wie möglich niedrigschwelligen) Ort zu tun haben, der erst dann „real“ wird, wenn er Räume für Diskurse schafft. Das wird zwar an anderen Orten auch gewollt und (aus)probiert, aber die Theorie darüber schafft dabei nur selten den Sprung zur philosophischen Praxis. Was auch durch eine Programmierung im Zeichen unterschiedlichster Sichtweisen/Positionen gewährleistet wird. Solche (perspektivischen) Vielheiten sind nicht nur gut für den Diskurs. Sie regen auch zu Disput an. Wo sonst kann man in (Kunst-)Diskussionen einfach herzhaft „Das ist einfach Scheiße!“ sagen? Die Kunst der „Fröhlichen Wissenschaften“ ist eben genauso wenig einfach wie Steven King nur „Horror“ ist. Wobei im Fall der Galerie 5020 zudem ein relativ schnelles Umsetzen von Ideen kommt. So verwundert es nicht, dass konstant scheinbar lose/unverbundene Fäden immer wieder aufgenommen, weitergesponnen und weiter miteinander verknüpft werden. So stellen etwa ausgefranste Enden der aktuellen Ausstellung „mutual fields“ gleichzeitig neue Anknüpfungspunkte für das von Ende September bis Ende Oktober stattfindende „trans/archive“-Projekt dar.

„Für Michel Foucault“, so Galerie-Leiterin Hildegard Fraueneder, „sind Archive keine passiven Speicher, sondern selber aktiv, flüchtig und in permanentem Fluss. Vergangenes aktualisiert sich im erneuten Lesen und wird so mit neuen Bedeutungen aufgeladen. Uns geht es dabei jedoch auch um die Frage was hier kontextualisiert und verknüpft wird und welches Wissen dabei generiert wird. Das ist eine der zentralen Fragen auch angesichts des grenzenlos scheinende Anything Goes im Bezug auf neuester Speicher- und Übertragungstechnologien.“

Womit natürlich auch Bilder/Images und deren Manipulation/Selektion – siehe etwa die „Bilder-Politik(en)“ bei 9/11 oder beim letzten Irak-Krieg – gemeint sind. Aber auch Korrekturen oberflächlicher Postmoderne-Lektüre. Fraueneder: „Klar sind Archive im Sinn von Foucault Rhizome. Aber Gilles Deleuze weist dabei auch immer wieder explizit darauf hin, dass nicht zu jedem Zeitpunkt jede beliebige Kombination möglich ist.“

Andererseits gilt auch hier die Dialektik des Elvis-Presley-Songs „I Forgot To Remember To Forget You“. Gerade wenn es um Ausblendungen, dem Vergessen, dem (sich) nicht Erinnern (können/wollen) geht, also um das Unbewusste. Denn „das Archiv als Baustelle phantasmatischer Fiktionen“ (Fraueneder) wird gerade dann geschichtsträchtig und realitätswirksam wenn es zur Bildung nationaler Identitäten hergenommen wird. Wo gibt es denn eine größere Auswahl an Mythen in Tüten als dort?

Dazu Fraueneder: „Die Zirkulation von Archiv und Gegenwart ist in der zeitgenössischen Kunstpraxis ein immer wiederkehrendes und spannend bleibendes Thema, immer neu herausgefordert durch hegemoniale Interpretationen von Realität, von Geschichte, von nationalen, kulturellen, geografischen, personalen, und anderen Identitäten.“ Somit geht es bei „trans/archive“ mehr um Transformationen, um Grenz/Feldüberschreitungen, denn um „Kunst“ im engen Sinne. Kurz um „Geschichte(n)“ als permanente Konstruktion(en) qua strategischer Manipulation signifikanter Elemente. Oder glaubt wirklich irgendwer, es gäbe so etwas wie einen genetischen Code für Gemütlichkeit, oder für Rhythmus im Blut oder für Fleiß? Eben!