august-september 2003

Karl-Markus Gauß
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Kleines Salzburger Sommer-ABC

Abkassieren. Es ist nicht so, dass in Salzburg das Abkassieren eine spezifisch sommerliche Kulturtechnik wäre. Aber wenn die halbnackten Proleten und die völlig verschwitzten Smokingträger auftauchen, dann gibt es gar keinen Genierer mehr, und ich denke mir immer: mehr als die Einheimischen, die von den Touristen leben und sie trotzdem verachten, kann niemand einer Stadt antun.

Mir träumte, Silvio Berlusconi habe Salzburg als Präsident der Europäischen Union einen Besuch abgestattet und mir auf dem ansonsten völlig menschenverlassenen Kapitelplatz mit starkem Akzent zugerufen: „Ich bin ein Salzburger!“

Café. Wer einmal Witzbolde bei der Arbeit sehen möchten, die die Aufnahmsprüfung für Ö3 nicht geschafft haben, der muss ins ins Segafredo gehen. Dort werden die überwiegend jungen Besucher von Kellnern, die sich für Kings halten, verspottet und dürfen dafür einen Espresso trinken, der schmeckt, als wäre er direkt durch den Putzlappen gefiltert. Das Konzept, Verspotten und Putzlappen, scheint aber wohlüberlegt zu sein, denn Filialen der Kette gibt es mittlerweile in halb Europa.

Im August hat der Salzburger Maler Anton Drioli, der sich immer Mühe gegeben hat, dass man ihn unterschätze, seinen sechzigsten Geburtstag. In seiner Jugend präsentierte er in Salzburg als erster die internationalen Avantgardisten Johnny Gallo, Max Mattone und Aurelia Waasa, von denen er erst dreißig Jahre später einräumte, dass er sie erfunden und alle Bilder der Ausstellung selber gemalt hatte. Das war damals, als die Avantgarde noch nicht pragmatisiert war; heute malt er so altmeisterlich, dass es denen, die noch immer den Gallo, Mattone und Waasa hinterhetzen, ganz fürchterlich graut.

Einheimische siehe Abkassieren.

Festspiele. Die schlechte Nachricht: kurzfristig mussten alle Premieren abgesagt werden. Die gute: die Premierenfeiern finden wie vorgesehen bei Schönwetter in der Vip-Lounge des Domplatzes, bei Regen im Agnesinum statt.

Ich gestehe, den Mund zu voll genommen zu haben, als ich letztes Jahr, angewidert von der sozialen Kälte in der heißen Jahreszeit, von der rohen Unkultiviertheit, mit der da geprunkt und geprotzt und die Bewohner ihrer eigenen Stadt enteignet wurden, öffentlich ankündigte, Salzburg im Sommer künftig zu meiden. Die erwarteten Einladungen, die Zeit angenehm anderswo zu verbringen, Haus in Ligurien, Apartement in Paris etc., hielten sich beschämend gering, sodass mir nichts bleibt, als frei nach Achternbusch so lange in meiner Stadt auszuharren, bis man es ihr anmerkt.

Auf dem kleinen Stückchen Rasen beim Hanusch-Platz steht auch heuer wieder ein Denkmal von rätselhafter Symbolkraft. Es handelt sich um einen Luxuswagen der Firma Audi, von dem man nicht recht weiß, warum er mitten in der Parkbewirtschaftungszone abgestellt wurde. Aber da Salzburg eine Kulturstadt ist, in der Werbung als innovative Kunst gehandelt wird, will er uns wahrscheinlich sagen: „Seht her, ich bin Ware, nichts als Ware, und insoferne bin ich wahre Kunst.“

Vor dem ehemaligen Stadtkino, in dem ich vor 35 Jahren den unvergesslichen Film „Ein Kampf um Rom“ gesehen habe und das heute Republic heißt, steht den Szene-Sommer über eine Installation, die mich heftig an Rom erinnert. Dort wurde Anfang des letzten Jahrhunderts der Futurismus erfunden, der die Schönheit der Maschinen feierte und später mitsamt seinem Kult von Technik und Stärke in den Faschismus abgedankt ist. So schlimm wird es bei uns nicht kommen. Dass die Baukräne der Firma Palfinger, wie vielfach lobend erwähnt, bei ihrem mechanischen Tanz fast menschlich anmuteten, braucht aber weder zu begeistern noch zu wundern. Immerhin leben wir in einer Ära, in der an der digitalen und genetischen Veredelung der menschlichen Gattung gearbeitet wird. Wo die Menschen ein bisschen wie Maschinen werden, müssen umgekehrt die Maschinen natürlich zu menscheln beginnen. Der Choreograph scheint sich aber weniger für diese neue Barbarei interessiert zu haben als für die aparten ästhetischen Figurationen, die er ihr abzugewinnen versteht.

Jeder siehe Zum Schluss.

Unlängst, in einem Salzburger Möbelhaus, fällt mir ein Transparent auf, das mit dem Slogan „Die neue Kultur des Schlafens“ den Weg zu den Schauräumen weist. Ja, man kommt ihr nicht mehr aus, der Kultur, nicht einmal, wenn man nichts tut.

Apropos: Von einem städtischen Verkehrsmittel erwarte ich mir, dass es regelmäßig, pünktlich und zügig fährt. Nicht erwarte ich mir von einem öffentlichen Verkehrsmittel, dass es zusätzlich zu den Fahrgästen auch noch Lyrik oder Musik transportiert. Schlimm war es im letzten Jahr, als man sich mit dem Erwerb eines Fahrscheines auch der Gefahr aussetzte, im Obus einen Kübel übergestülpt zu bekommen, in dem sich ein von der hiesigen „Objektwerbung“ zusammengerührter Brei aus klebriger Unterhaltungsmusik befand. Jetzt fährt ein mit Lyrik austapezierter so genannter Poesie-Bus durch die Stadt. Im Gegensatz zu vielen, die meinen, damit würde Dichtung unter das Volk gebracht, halte ich das für eine lyrische Behübschung, die auch der Dichtung noch ihr Potenzial an Widerständigkeit austreibt, und im Übrigen für eine Marketing-Aktion, die nicht das Geringste dazu beiträgt, dass die öffentlichen Verkehrsmittel tun, was ihr urbaner Zweck ist, nämlich pünktlich, zügig, regelmäßig zu fahren.

An der Stelle, wo er im Mai 1996 am Mönchsberg ermordet wurde, planen Anrainer ein Denkmal für den ermordeten Sandler Eduard Friedrich Wawrik, genannt Professor. Salzburg hätte damit an seinem Stadtberg nicht nur ein Museum für Kunst, wie es fast überall eines gibt, sondern auch ein Denkmal für einen Obdachlosen, das vermutlich weltweit einzigartig ist. Ein solches Denkmal wäre aber gerade in Salzburg, wo es bekanntlich genügend Bestien des Wohlstands gibt, die lieber als die Armut die Armen beseitigen möchten, eine wichtige Sache.

Ob es wirklich eine Niederlage für Salzburg ist, dass uns die Olympiade 2010 durch eine Verschwörung des IOC gestohlen wurde? Und das, obwohl wir als einzige schon jetzt richtige Riesenslalompisten vorzuweisen hatten (so ein gewisser Giger, der die Riesenslalompisten der Welt kennt und jene mit dieser verwechselt, fassungslos im Fernsehen).

Was haben wir nicht über ihn geschimpft, aber jetzt ist es mit ihm zuende, in Salzburg und anderswo. Oder hat jemand den Eindruck, dass der Populismus noch immer die Politik regiert und sich die internationalen und die lokalen Politiker einen Deut darum scheren, was ihre Wähler denken und fühlen? Ob England oder Spanien, der Irak-Krieg ist von der überwältigenden Mehrheit der Bevölkerung abgelehnt worden, und trotzdem haben die Regierungen sich für ihn entschieden. Und in Salzburg? Keine schlechte Nachrede, weder empörte Bürgerversammlungen noch maliziöse Kommentare in der Presse können die Befugten noch davon abhalten durchzuziehen, was sie gegen Vernunft und Augenschein, ihre eigenen Regeln und öffentliche Ausschreibungen durchzuziehen entschlossen sind. Die öffentliche Stimmung, der sich der simple Populist immer beugte und die der begnadete Populist instinktiv erahnte und miterschuf, ficht sie nicht mehr an, denn sie wissen, dass in der medialen Ära ohnehin keine Stimmung mehr hält und morgen vergessen ist, was die Leute gestern noch aufgebracht hat. Das Problem mit dem Populismus ist, dass auf ihn eine merkwürdige Form von Feudalismus folgt.

An und für sich spräche, abgesehen von Populismus und Feudalismus, die aus unterschiedlichen Gründen manchmal dafür und manchmal dagegen sind, auch in Salzburg nichts gegen Qualität.

Regen siehe Festspiele.

Sponsoren nennen wir Konzerne, denen es für erstaunlich geringe Summen erlaubt wird, erstaunlich große Teile der Stadt in Besitz zu nehmen.

Ich nutze die Gelegenheit, um meine vor rund zehn Jahren schriftlich geäußerte Vermutung, unter den Salzburger Taxifahrern gäbe es mehr Nazis als Führerscheinbesitzer, ausdrücklich zu widerrufen! Richtig ist vielmehr, dass selbst der einzige Nazi, der mich im letzten Jahren chauffiert hat, kein richtiger Nazi, sondern nur ein orientierungsloser Rohling war, der mir zuerst begeistert darlegte, wie es ihm gelungen war, von drei betrunkenen Jugendlichen den dreifachen Fuhrlohn zu ergaunern, und dann, als ich seine Begeisterung nicht teilte, so betreten war, daß er entschuldigend hinzufügte: Warn eh Türken!

Unverzüglich siehe Verbot.

Was ich mir zum Geburtstag wünsche: ein rigoroses Verbot, den gewohnheitsmäßigen Missbrauch des Namens Amadeus betreffend. Jedes Projekt, das es mit Amadeus, Amadea, Amadé versucht: Unverzüglich versenken!

Zum Schluss alle fehlenden Buchstaben. Ich wiederhole für jeden, der es noch hören will: eine private medizinische Fakultät – nur yber meine Leiche.