september-oktober 1999

Doc Holliday
schön und gut

Ausgelatscht

Über das Aussterben einer (ehedem) linksalternativen Fußbekleidung

Die Frage, die jedem anständigen Schuhfetischisten auf den (Zehen)Nägeln brennt, lautet: warum sind die Espadrilles heute nahezu ausgestorben? Und gibt es einen Zusammenhang zwischen politischem Opportunismus und der Schuhmode? Kurz zur Erinnerung: die Espadrilles (fälschlich auch Espandrillos!) sind luftig-leichte Leinenschuhe mit einer Sohle aus Espartogras. Ursprünglich nur in den südlichen Gefilden rund ums Mittelmeer beheimatet, wurden diese Sommerpatschen Ende der 70er Jahre von einer durch Inter-Rail-Tickets auf Weltoffenheit getrimmten Alterna(t)iv-Butterfahrten-Generation auch in unsere Breiten eingeschleppt. Bald schon hatte jede WG, in der der Leitsatz »Phantasie an die Macht« ernst genommen wurde, und in der das Schlüsselwort »Betroffenheit« zumindest beim Ausdiskutieren des Abwaschplanes bemüht wurde, etliche Paar der südländischen Treter. Rauschebärte, die ihre radikale Weltsicht gut getarnt in einem Jute-statt-Plastik-Sack spazieren trugen, konnten mit den Espadrilles Lockerheit demonstrieren. Nehmen wir ein konkretes Beispiel: das Fußvolk der Grünen Partei Deutschlands und deren Führer wie der jetzige Außenminister Joschka Fischer marschierten im alternativen Schuhwerk, das ganz eindeutig auch ein »verändertes Politikverständnis« signalisieren sollte, in den 80ern durch die Illusionen, Entschuldigung, Institutionen. Zur Entspannung reisten die Ex-Revoluzzer mit den unvermeidlichen Espadrilles im Gepäck in die Toskana, um dort bei einigen Schoppen Rotwein ihre zukünftigen Regierungspartner von der SPD zu treffen. Alles sehr informell und leger. Heute hat es diese Basilikum-Fraktion geschafft. Sie können uneingeschränkt eine Politik betreiben, die sich auch nicht mehr in Nuancen von der der konservativen »Altparteien« unterscheidet. Als Krönung haben die Stahlhelm-Pazifisten das Deutsche Reich erstmals seit der Nazizeit wieder in einen Krieg geführt. Paradigmenwechsel und Etikettenschwindel auch bei der (Fuß)Bekleidung. Längst trägt ein Fischer nur mehr feinstes Tuch (Armani - auch irgendwie südländisch) und dazu maßgefertigte Designerschuhe. Sozusagen die Knobelbecher der Einsatzgruppen der »Neuen Mitte«. Da haben die Espadrilles ausgedient. Das ist aber das geringste Übel an diesem Politikwechsel.