september-oktober 1999

Didi Neidhart
gehört

KODWO ESHUN - Heller als die Sonne

Heller als die Sonne: Abenteuer in der Sonic Fiction: ID Verlag 1999, 238 S., ca. 205 .- ÖS

Aus gegebenem Anlass ein Buch auf dieser Seite. Nicht nur weil Kodwo Eshuns »Heller als die Sonne« seit der englischen Erstveröffentlichung 1998 zu den meistdiskutierten und meistzitierten »Musik«-Büchern in Sachen elektronischer afro-futuristischer Musikformen gehört. Viel eher geht es dabei um Eshuns fundierten Rundumschlag gegen universitäre Kreise, die vor lauter »Cultural Studies«-Euphorie minoritäre Musiken - wenn überhaupt - einzig und allein unter soziologischen Gesichtspunkten betrachten, sowie gegen einen (weißen) Musikjournalismus, der Beats und Grooves als nichttheoretisierbar klassifiziert, da es sonst mit dem »körperlichen Genuß« aus sei. Demgegenüber fordert Eshun eine radikale Auseinandersetzung mit jenem Material und den dadurch transportierten Informationen, die sich primär auf Tonträgern und ihren Covern befinden. Was Eshun auch vielerorts den Vorwurf eines entpolitisierenden Ästhetizismus eingebracht hat.

Bei genauerer Betrachtung geht es jedoch genau ums Gegenteil. Für Eshun ist »Blackness« nichts anderes als eine rassistisch motivierte »weiße Mythologie« (mit dem »Rhythmus im Blut« und dem Blues als Urmythen), deren Grundbestandteile jedoch auch immer wieder von schwarzen MusikerInnen übernommen wurden. Gegen dieses Arrangieren mit einem System repressiver Toleranz stellt Eshun die radikale »Zurückweisung jeglicher Vorstellung einer unhintergehbaren schwarzen Befindlichkeit« sowie den Verzicht auf Herkunftsbestimmungen und den Mythos »Straße« (die »street knowledge« und das »keep it real« des HipHop). Gegenentwürfe dazu findet er bei elektronifizierten Stilen wie Free/Electronic Jazz, Dub, Funk, HipHop, Electro, Drum'n'Bass, Jungle und Techno. Namentlich bei Teo Macero & Miles Davis, John & Alice Coltrane, Jungle Brothers, Parliament/Funkadelic, Sun Ra, Lee »Scratch« Perry, Underground Resistance, Grandmaster Flash, Tricky, Goldie. Sie alle brauchen nicht nur keine theoretischen Unterstützungen von außen (etwa der weißen Musikpresse), da sie als Producer und »mixadelische Studiowissenschaftler« ihre Musik breits theoretisch konzepieren. Sie arbeiten auch an jenen »Sonic Fictions«, die für Eshun einen »Afro-Diasporischen Futurismus« kennzeichnen, der sich als globales Netzwerk aus »Computerrhythmen, Maschinenmytholog-ien, Konzepttechnik« manifestiert und dadurch eine »digitale Diaspora« darstellt, »die Großbritannien mit den USA und die Karibik mit Europa und Afrika verbindet«.

Eshun interessieren dabei vor allem Breaks, Cuts, Einbrüche, Future Shocks. Momente, in denen bestimmte Musik (etwa Coltrans Spätwerk, oder Miles Davis' elektronische Phase) wie fremde Signale aus der Zukunft klang. Wie Musik, für die erst neue Worte, eine neue Sprache gefunden werden müssen. Und da läuft Eshun zur Hochform auf. Mixt und cuttet seine Sprache wie ein DJ und erfindet dabei neue, aus der Musik herausdestillierte Wortkombinationen. In seinem »Black Secret technologies«-Universum aus Alien-Musiken wimmelt es nur so vor »spektalem Dub«, »Phantomfunk«, »Futurhytmaschinen« (SCHREIBT SICH SOOO), »Polyrhythmaschinen«, »Sampladelik«, »Scratchadelik«, »MatheMagie« und »Unidentifizierbaren Audio Objekten«. Dabei vertieft sich Eshun mitunter in seitenlangen Analysen einzelner Aspekte gewisser Sounds und Platten, ohne dabei das sichtbare Vergnügen, das er beim Hören, Genießen und Theoretisieren hat, hinten anstehen zu lassen. Kurz, »Heller als die Sonne« besteht nicht nur fast alle Nachhörtests, sondern eröffnet auch rein als Text konsumiert neue Dimensionen des Hörens. Gehört gelesen.